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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

15 der Vorlage mit einschließt: Art, 6. Das Gesetz ist der Ausdruck des all¬
gemeinen Willens. Alle Staatsbürger haben das Recht, persönlich oder durch
ihre Vertreter bei Formulirung (torirmlion) desselben mitzuwirken. Es soll für
alle dasselbe sein, mag es beschütze" oder bestrafe". Da alle Bürger vor ihm
gleich siud, so können sie zu jeder Würde, Stelle (iK^v) und öffentlichen An¬
stellung nach ihrer Fähigkeit und ohne andern Unterschied als den ihrer Tugenden
und Talente gelangen ("out -läroiLÄdlos).

Eine lebhafte Aussprache und zahlreiche Anträge verursacht am 22. August
der Kriminalartikel 14 der Vorlage; man einigt sich schließlich den Anträgen
von Target und Duport gemäß dahin, an Stelle des einen Artikels drei mit
folgendem Wortlaut zu setzen: Art. 7. Niemand kann bestraft, verhaftet oder
gefangen gehalten werden, als in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und
uach den Formen, die es vorschreibt. Die, die eigenmächtige Anordnungen
(in.'are!8 !U'l)itrcuroL) treffen, fördern, ausführen oder ausführen lassen, sollen
bestraft werdeu; dagegen soll jeder Bürger, der ans Grund des Gesetzes ange-
rufen ("Wolv) oder ergriffen wird, sofort gehorchen; er macht sich durch seinen
Widerstand strafbar. Art. 8. Das Gesetz soll nur Strafen verfügen, die un¬
abweisbar und augenscheinlich notwendig sind, und niemand darf bestraft
werden, als ans Grund eines vorher in Betreff des Vergehens beschlossenen
und veröffentlichten Gesetzes, das vorschriftsgemäß anzuwenden ist. Art. 9. Jeder
Mensch hat als unschuldig zu gelten, bis er für schuldig erklärt worden ist;
hält man es für unabweislich, ihn zu verhaften, so soll jede Härte, die nicht
nötig ist, sich seiner Person zu versichern, durch das Gesetz streng unterdrückt
werden.

Hierauf wird in die Diskussion über die auf die Freiheit des Denkens
und die Achtung vor dem öffentlichen Kultus bezüglichen Artikel 16, 17 und
18 der Vorlage eingetreten; es beteiligen sich daran eine Anzahl Geistliche,
wie der Bischof von Clermont, Talleyrand-Perigord, der Bischof von Lytta,
aber auch hervorragende weltliche Mitglieder der Versammlung, wie Mirabeau,
Putiou de Villeneuve, M. de Castellane, Rabaud-Saint-Etienne. Nach fast
zweitägigem Nedekampfe faßt man am 23. August die drei Artikel in deu von
Castellnue beantragten einen zusammen: Art. 10. Niemand soll wegen feiner
Meinungen, selbst der religiösen, beunruhigt werden, wenn ihre Äußerung die
durch das Gesetz geschaffene öffentliche Ordnung nicht stört.

Am 24. August wird auf Antrag des Duc de la Rochefoucauld Art. 1!)
des Verfassungsausschusses nach längerer Debatte, an der sich hervorragende
Redner, wie Raband-Se.-Etienne, Bnröre, Robespierre, beteiligen, in folgendem
Wortlailt angenommen: Art. 11. Die freie Mitteilung der Gedanken und
Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen; jeder Bürger kann
mithin frei sprechen, schreiben und drucken mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit
für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen.


Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

15 der Vorlage mit einschließt: Art, 6. Das Gesetz ist der Ausdruck des all¬
gemeinen Willens. Alle Staatsbürger haben das Recht, persönlich oder durch
ihre Vertreter bei Formulirung (torirmlion) desselben mitzuwirken. Es soll für
alle dasselbe sein, mag es beschütze» oder bestrafe». Da alle Bürger vor ihm
gleich siud, so können sie zu jeder Würde, Stelle (iK^v) und öffentlichen An¬
stellung nach ihrer Fähigkeit und ohne andern Unterschied als den ihrer Tugenden
und Talente gelangen (»out -läroiLÄdlos).

Eine lebhafte Aussprache und zahlreiche Anträge verursacht am 22. August
der Kriminalartikel 14 der Vorlage; man einigt sich schließlich den Anträgen
von Target und Duport gemäß dahin, an Stelle des einen Artikels drei mit
folgendem Wortlaut zu setzen: Art. 7. Niemand kann bestraft, verhaftet oder
gefangen gehalten werden, als in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und
uach den Formen, die es vorschreibt. Die, die eigenmächtige Anordnungen
(in.'are!8 !U'l)itrcuroL) treffen, fördern, ausführen oder ausführen lassen, sollen
bestraft werdeu; dagegen soll jeder Bürger, der ans Grund des Gesetzes ange-
rufen (»Wolv) oder ergriffen wird, sofort gehorchen; er macht sich durch seinen
Widerstand strafbar. Art. 8. Das Gesetz soll nur Strafen verfügen, die un¬
abweisbar und augenscheinlich notwendig sind, und niemand darf bestraft
werden, als ans Grund eines vorher in Betreff des Vergehens beschlossenen
und veröffentlichten Gesetzes, das vorschriftsgemäß anzuwenden ist. Art. 9. Jeder
Mensch hat als unschuldig zu gelten, bis er für schuldig erklärt worden ist;
hält man es für unabweislich, ihn zu verhaften, so soll jede Härte, die nicht
nötig ist, sich seiner Person zu versichern, durch das Gesetz streng unterdrückt
werden.

Hierauf wird in die Diskussion über die auf die Freiheit des Denkens
und die Achtung vor dem öffentlichen Kultus bezüglichen Artikel 16, 17 und
18 der Vorlage eingetreten; es beteiligen sich daran eine Anzahl Geistliche,
wie der Bischof von Clermont, Talleyrand-Perigord, der Bischof von Lytta,
aber auch hervorragende weltliche Mitglieder der Versammlung, wie Mirabeau,
Putiou de Villeneuve, M. de Castellane, Rabaud-Saint-Etienne. Nach fast
zweitägigem Nedekampfe faßt man am 23. August die drei Artikel in deu von
Castellnue beantragten einen zusammen: Art. 10. Niemand soll wegen feiner
Meinungen, selbst der religiösen, beunruhigt werden, wenn ihre Äußerung die
durch das Gesetz geschaffene öffentliche Ordnung nicht stört.

Am 24. August wird auf Antrag des Duc de la Rochefoucauld Art. 1!)
des Verfassungsausschusses nach längerer Debatte, an der sich hervorragende
Redner, wie Raband-Se.-Etienne, Bnröre, Robespierre, beteiligen, in folgendem
Wortlailt angenommen: Art. 11. Die freie Mitteilung der Gedanken und
Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen; jeder Bürger kann
mithin frei sprechen, schreiben und drucken mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit
für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen.


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[0276] Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich 15 der Vorlage mit einschließt: Art, 6. Das Gesetz ist der Ausdruck des all¬ gemeinen Willens. Alle Staatsbürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter bei Formulirung (torirmlion) desselben mitzuwirken. Es soll für alle dasselbe sein, mag es beschütze» oder bestrafe». Da alle Bürger vor ihm gleich siud, so können sie zu jeder Würde, Stelle (iK^v) und öffentlichen An¬ stellung nach ihrer Fähigkeit und ohne andern Unterschied als den ihrer Tugenden und Talente gelangen (»out -läroiLÄdlos). Eine lebhafte Aussprache und zahlreiche Anträge verursacht am 22. August der Kriminalartikel 14 der Vorlage; man einigt sich schließlich den Anträgen von Target und Duport gemäß dahin, an Stelle des einen Artikels drei mit folgendem Wortlaut zu setzen: Art. 7. Niemand kann bestraft, verhaftet oder gefangen gehalten werden, als in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und uach den Formen, die es vorschreibt. Die, die eigenmächtige Anordnungen (in.'are!8 !U'l)itrcuroL) treffen, fördern, ausführen oder ausführen lassen, sollen bestraft werdeu; dagegen soll jeder Bürger, der ans Grund des Gesetzes ange- rufen (»Wolv) oder ergriffen wird, sofort gehorchen; er macht sich durch seinen Widerstand strafbar. Art. 8. Das Gesetz soll nur Strafen verfügen, die un¬ abweisbar und augenscheinlich notwendig sind, und niemand darf bestraft werden, als ans Grund eines vorher in Betreff des Vergehens beschlossenen und veröffentlichten Gesetzes, das vorschriftsgemäß anzuwenden ist. Art. 9. Jeder Mensch hat als unschuldig zu gelten, bis er für schuldig erklärt worden ist; hält man es für unabweislich, ihn zu verhaften, so soll jede Härte, die nicht nötig ist, sich seiner Person zu versichern, durch das Gesetz streng unterdrückt werden. Hierauf wird in die Diskussion über die auf die Freiheit des Denkens und die Achtung vor dem öffentlichen Kultus bezüglichen Artikel 16, 17 und 18 der Vorlage eingetreten; es beteiligen sich daran eine Anzahl Geistliche, wie der Bischof von Clermont, Talleyrand-Perigord, der Bischof von Lytta, aber auch hervorragende weltliche Mitglieder der Versammlung, wie Mirabeau, Putiou de Villeneuve, M. de Castellane, Rabaud-Saint-Etienne. Nach fast zweitägigem Nedekampfe faßt man am 23. August die drei Artikel in deu von Castellnue beantragten einen zusammen: Art. 10. Niemand soll wegen feiner Meinungen, selbst der religiösen, beunruhigt werden, wenn ihre Äußerung die durch das Gesetz geschaffene öffentliche Ordnung nicht stört. Am 24. August wird auf Antrag des Duc de la Rochefoucauld Art. 1!) des Verfassungsausschusses nach längerer Debatte, an der sich hervorragende Redner, wie Raband-Se.-Etienne, Bnröre, Robespierre, beteiligen, in folgendem Wortlailt angenommen: Art. 11. Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen; jeder Bürger kann mithin frei sprechen, schreiben und drucken mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/276>, abgerufen am 26.06.2024.