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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

Artikel 20 und 21 der Vorlage werden einstimmig angenommen. Sie lauten:
Art. 12. Die Berbürgnug (g'-Wutiö) der Menschen- und Bürgerrechte macht
eine öffentliche Macht notwendig; diese ist zum Vorteil aller eingesetzt und nicht
für den besondern Nutzen derer, denen sie anvertraut ist. Art. 13. Zur Unter¬
haltung der öffentlichen Macht und zur Bestreitung der Verwaltungskosten ist
eine allgemeine Steuer notwendig; diese soll unter alle Bürger mit Rücksicht
auf ihre Vermögensverhältnisse gleichmäßig verteilt werden. Auch Artikel 22,
23 und 24 werden nach kurzer Debatte am 26. August in dein Wortlaut der
Vorlage angenommen: Art. 14. Alle Bürger sind berechtigt, entweder selbst
oder durch ihre Vertreter sich vou der Notwendigkeit der öffentlichen Steuer
zik vergewissern, sie frei zu bewilligen, ihre Verwendung zu verfolgen und den
Betrag (la quollen), die Verteilung, Eintreibung und Dauer derselben zu be¬
stimmen. Art. 15. Die Gesellschaft (sovivro) ist befugt, vou jedem öffentlichen
Beamten Rechenschaft über seine Amtsführung zu verlangen. Art. 16. Jede
staatliche Vereinigung (80oivtv), in der die Sicherheit der Rechte nicht ver¬
bürgt und die Trennung der Gewalten nicht bestimmt ist, hat keine wahre
(vvritMs) Verfassung. Auf Duponts Antrag wird zuletzt noch, nachdem
der Wunsch ausgesprochen worden ist, es möge auch ein ans das Eigentum
bezüglicher Artikel in die Erklärung der Menschenrechte aufgenommen werden,
Art. 16 beschlossen: Das Eigentum (proxrivtö) ist ein unverletzliches und
geheiligtes Recht; niemand kann seiner beraubt werde", wenn eS uicht die
gesetzlich beurkundete (czon.8t"los) öffentliche Notwendigkeit unabweislich (vvi-
cIt!iQin<zue) fordert und eine gerechte vorherige Schadloshaltung (mÄömnir")
eingetreten ist.

Diese Erklärung der Rechte, die der ersten französischen Verfassung vom
3. September 17!)1, deren Beratung sich an die der Menschenrechte unmittelbar
anschließt, vorangesetzt wurde, war zunächst Gegenstand lebhafter Kontroverse
zwischen König und Volksvertretung, bis Ludwig XVI. sich auf die Nachricht
von erneuten Unruhen in Paris im Oktober 17L9 für deren Annahme ent¬
schied. Als Lafayette am 5. Oktober an der Spitze der Pariser Nationalgarde
nach Versailles kam und sich beim Könige melden ließ, ließ dieser ihm
sagen, er sehe seinem Erscheinen mit Vergnügen entgegen und stehe im Begriff,
seine Erklärung der Menschenrechte anzunehmen. Wie sehr übrigens Lafayette
in der Umgebung des Königs als Republikaner galt, geht aus einem Vor¬
kommnis in dem bekannten Vorzimmer des Andienzsaales im Versailler Schloß
(I'MÜ-av-dont') hervor; ein Herr rief bei seinem Eintritt: Voilü, (Äoimvoll!
Lafayette antwortete ihm: "Mein Herr, Cromwell würde nicht allein einge¬
treten sein!"

Ein flüchtiger Blick in die Erklärung der Menschenrechte genügt, um in
ihr die Quintessenz des modernen Staatsrechtes zu finden, wie es gegenwärtig
ne den Reichen der zivilisirten Welt gehandhabt wird. Die frühern Unterlagen


Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

Artikel 20 und 21 der Vorlage werden einstimmig angenommen. Sie lauten:
Art. 12. Die Berbürgnug (g'-Wutiö) der Menschen- und Bürgerrechte macht
eine öffentliche Macht notwendig; diese ist zum Vorteil aller eingesetzt und nicht
für den besondern Nutzen derer, denen sie anvertraut ist. Art. 13. Zur Unter¬
haltung der öffentlichen Macht und zur Bestreitung der Verwaltungskosten ist
eine allgemeine Steuer notwendig; diese soll unter alle Bürger mit Rücksicht
auf ihre Vermögensverhältnisse gleichmäßig verteilt werden. Auch Artikel 22,
23 und 24 werden nach kurzer Debatte am 26. August in dein Wortlaut der
Vorlage angenommen: Art. 14. Alle Bürger sind berechtigt, entweder selbst
oder durch ihre Vertreter sich vou der Notwendigkeit der öffentlichen Steuer
zik vergewissern, sie frei zu bewilligen, ihre Verwendung zu verfolgen und den
Betrag (la quollen), die Verteilung, Eintreibung und Dauer derselben zu be¬
stimmen. Art. 15. Die Gesellschaft (sovivro) ist befugt, vou jedem öffentlichen
Beamten Rechenschaft über seine Amtsführung zu verlangen. Art. 16. Jede
staatliche Vereinigung (80oivtv), in der die Sicherheit der Rechte nicht ver¬
bürgt und die Trennung der Gewalten nicht bestimmt ist, hat keine wahre
(vvritMs) Verfassung. Auf Duponts Antrag wird zuletzt noch, nachdem
der Wunsch ausgesprochen worden ist, es möge auch ein ans das Eigentum
bezüglicher Artikel in die Erklärung der Menschenrechte aufgenommen werden,
Art. 16 beschlossen: Das Eigentum (proxrivtö) ist ein unverletzliches und
geheiligtes Recht; niemand kann seiner beraubt werde», wenn eS uicht die
gesetzlich beurkundete (czon.8t»los) öffentliche Notwendigkeit unabweislich (vvi-
cIt!iQin<zue) fordert und eine gerechte vorherige Schadloshaltung (mÄömnir«)
eingetreten ist.

Diese Erklärung der Rechte, die der ersten französischen Verfassung vom
3. September 17!)1, deren Beratung sich an die der Menschenrechte unmittelbar
anschließt, vorangesetzt wurde, war zunächst Gegenstand lebhafter Kontroverse
zwischen König und Volksvertretung, bis Ludwig XVI. sich auf die Nachricht
von erneuten Unruhen in Paris im Oktober 17L9 für deren Annahme ent¬
schied. Als Lafayette am 5. Oktober an der Spitze der Pariser Nationalgarde
nach Versailles kam und sich beim Könige melden ließ, ließ dieser ihm
sagen, er sehe seinem Erscheinen mit Vergnügen entgegen und stehe im Begriff,
seine Erklärung der Menschenrechte anzunehmen. Wie sehr übrigens Lafayette
in der Umgebung des Königs als Republikaner galt, geht aus einem Vor¬
kommnis in dem bekannten Vorzimmer des Andienzsaales im Versailler Schloß
(I'MÜ-av-dont') hervor; ein Herr rief bei seinem Eintritt: Voilü, (Äoimvoll!
Lafayette antwortete ihm: „Mein Herr, Cromwell würde nicht allein einge¬
treten sein!"

Ein flüchtiger Blick in die Erklärung der Menschenrechte genügt, um in
ihr die Quintessenz des modernen Staatsrechtes zu finden, wie es gegenwärtig
ne den Reichen der zivilisirten Welt gehandhabt wird. Die frühern Unterlagen


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[0277] Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich Artikel 20 und 21 der Vorlage werden einstimmig angenommen. Sie lauten: Art. 12. Die Berbürgnug (g'-Wutiö) der Menschen- und Bürgerrechte macht eine öffentliche Macht notwendig; diese ist zum Vorteil aller eingesetzt und nicht für den besondern Nutzen derer, denen sie anvertraut ist. Art. 13. Zur Unter¬ haltung der öffentlichen Macht und zur Bestreitung der Verwaltungskosten ist eine allgemeine Steuer notwendig; diese soll unter alle Bürger mit Rücksicht auf ihre Vermögensverhältnisse gleichmäßig verteilt werden. Auch Artikel 22, 23 und 24 werden nach kurzer Debatte am 26. August in dein Wortlaut der Vorlage angenommen: Art. 14. Alle Bürger sind berechtigt, entweder selbst oder durch ihre Vertreter sich vou der Notwendigkeit der öffentlichen Steuer zik vergewissern, sie frei zu bewilligen, ihre Verwendung zu verfolgen und den Betrag (la quollen), die Verteilung, Eintreibung und Dauer derselben zu be¬ stimmen. Art. 15. Die Gesellschaft (sovivro) ist befugt, vou jedem öffentlichen Beamten Rechenschaft über seine Amtsführung zu verlangen. Art. 16. Jede staatliche Vereinigung (80oivtv), in der die Sicherheit der Rechte nicht ver¬ bürgt und die Trennung der Gewalten nicht bestimmt ist, hat keine wahre (vvritMs) Verfassung. Auf Duponts Antrag wird zuletzt noch, nachdem der Wunsch ausgesprochen worden ist, es möge auch ein ans das Eigentum bezüglicher Artikel in die Erklärung der Menschenrechte aufgenommen werden, Art. 16 beschlossen: Das Eigentum (proxrivtö) ist ein unverletzliches und geheiligtes Recht; niemand kann seiner beraubt werde», wenn eS uicht die gesetzlich beurkundete (czon.8t»los) öffentliche Notwendigkeit unabweislich (vvi- cIt!iQin<zue) fordert und eine gerechte vorherige Schadloshaltung (mÄömnir«) eingetreten ist. Diese Erklärung der Rechte, die der ersten französischen Verfassung vom 3. September 17!)1, deren Beratung sich an die der Menschenrechte unmittelbar anschließt, vorangesetzt wurde, war zunächst Gegenstand lebhafter Kontroverse zwischen König und Volksvertretung, bis Ludwig XVI. sich auf die Nachricht von erneuten Unruhen in Paris im Oktober 17L9 für deren Annahme ent¬ schied. Als Lafayette am 5. Oktober an der Spitze der Pariser Nationalgarde nach Versailles kam und sich beim Könige melden ließ, ließ dieser ihm sagen, er sehe seinem Erscheinen mit Vergnügen entgegen und stehe im Begriff, seine Erklärung der Menschenrechte anzunehmen. Wie sehr übrigens Lafayette in der Umgebung des Königs als Republikaner galt, geht aus einem Vor¬ kommnis in dem bekannten Vorzimmer des Andienzsaales im Versailler Schloß (I'MÜ-av-dont') hervor; ein Herr rief bei seinem Eintritt: Voilü, (Äoimvoll! Lafayette antwortete ihm: „Mein Herr, Cromwell würde nicht allein einge¬ treten sein!" Ein flüchtiger Blick in die Erklärung der Menschenrechte genügt, um in ihr die Quintessenz des modernen Staatsrechtes zu finden, wie es gegenwärtig ne den Reichen der zivilisirten Welt gehandhabt wird. Die frühern Unterlagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/277>, abgerufen am 26.06.2024.