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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

haben, daß die Unkenntnis (ig'moi'laco), die Nichtbeachtung (I'oubli) oder die Ver-
schmähung der Rechte des Menschen die alleinigen Ursachen des öffentlichen
Unglücks und der Verdorbenheit (vorruptioo) der Regierungen sind, haben sie
beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und
geheiligten (saLre") Menschenrechte auseinanderzusetzen (sxxo8ör), damit diese
Erklärung allen Gliedern des gesellschaftlichen Körpers beständig vor Augen
sei und ihnen ihre Rechte und Pflichten immerfort in Erinnerung bringe,
damit die Handlungen <Mos) der gesetzgebenden wie der ausübenden Gewalt,
indem sie jeden Augenblick mit dein Endzweck aller politischen Satzung (insti-
wtion) zusammengehalten werden können, dadurch mehr geachtet werden, damit
weiter die künftig von einfachen und unantastbaren Grundsätzen hergeleiteten
Ansprüche (röolMmtimis) der Bürger immer auf die Aufrechterhaltung der
Verfassung und die allgemeine Wohlfahrt gerichtet seien. Infolge dessen
erkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem
Schutze des allerhöchsten Wesens die folgenden Rechte des Menschen und
Bürgers."

Nach Feststellung des Wortlautes der Einleitung geht man weiter zur
Beratung der einzelnen Artikel. Ans Antrag Mouniers werden an Stelle
der ersten sechs Artikel der Vorlage des Verfassungsausschusses folgende
drei von Lafahette herrührende Artikel angenommen: Art. 1. Die Menschen
werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaft¬
lichen Unterschiede sollen nnr auf den allgemeinen Vorteil (utilitö) gegründet
sein. Art. 2. Der Endzweck jeder politischen Gesellschaft ist die Erhaltung
der natürlichen und unverjährbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die
Freiheit, das Eigentum (xroxrivtv), die Sicherheit und der Widerstand gegen
die Unterdrückung. Art. 3. Der Ursprung der Souveränität liegt wesentlich
in der Nation; keine Körperschaft, kein einzelner Bürger kann eine Gewalt
(-intorno) ausüben, die nicht ausdrücklich davon ausgeht.

Am 21. August wird die Debatte über Artikel 7 bis 10 fvrtgesetzt-
Alexander von Lameth schlägt statt der vier folgenden Artikel zwei, die nach
kurzer Aussprache genehmigt werden, vor: Art. 4. Die Freiheit besteht darin,
daß jeder thun kann, was dem andern nichts schadet; die Ausübung der natür¬
lichen Rechte jedes Menschen hat sonach nur solche Grenzen, die den andern
Gliedern der Gesellschaft den Genuß derselben Rechte verbürgen. Diese Grenzen
können nur durch das Gesetz bestimmt werden. Art. 5. Das Gesetz darf nur
solche Handlungen verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind; was durch das
Gesetz nicht verboten ist, kann nicht verhindert werden; niemand darf gezwungen
werden, zu thun, was eS nicht anordnet.

Bei Artikel 11 der Vorlage gelangt man nach längerer Debatte und mehr¬
fachen Amendements zur Annahme der von dem Bischof von Autun, Talleyrand-
Perigvrd, beantragten Fassung, die auch den Inhalt der Artikel 12, 13 und


Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

haben, daß die Unkenntnis (ig'moi'laco), die Nichtbeachtung (I'oubli) oder die Ver-
schmähung der Rechte des Menschen die alleinigen Ursachen des öffentlichen
Unglücks und der Verdorbenheit (vorruptioo) der Regierungen sind, haben sie
beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und
geheiligten (saLre«) Menschenrechte auseinanderzusetzen (sxxo8ör), damit diese
Erklärung allen Gliedern des gesellschaftlichen Körpers beständig vor Augen
sei und ihnen ihre Rechte und Pflichten immerfort in Erinnerung bringe,
damit die Handlungen <Mos) der gesetzgebenden wie der ausübenden Gewalt,
indem sie jeden Augenblick mit dein Endzweck aller politischen Satzung (insti-
wtion) zusammengehalten werden können, dadurch mehr geachtet werden, damit
weiter die künftig von einfachen und unantastbaren Grundsätzen hergeleiteten
Ansprüche (röolMmtimis) der Bürger immer auf die Aufrechterhaltung der
Verfassung und die allgemeine Wohlfahrt gerichtet seien. Infolge dessen
erkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem
Schutze des allerhöchsten Wesens die folgenden Rechte des Menschen und
Bürgers."

Nach Feststellung des Wortlautes der Einleitung geht man weiter zur
Beratung der einzelnen Artikel. Ans Antrag Mouniers werden an Stelle
der ersten sechs Artikel der Vorlage des Verfassungsausschusses folgende
drei von Lafahette herrührende Artikel angenommen: Art. 1. Die Menschen
werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaft¬
lichen Unterschiede sollen nnr auf den allgemeinen Vorteil (utilitö) gegründet
sein. Art. 2. Der Endzweck jeder politischen Gesellschaft ist die Erhaltung
der natürlichen und unverjährbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die
Freiheit, das Eigentum (xroxrivtv), die Sicherheit und der Widerstand gegen
die Unterdrückung. Art. 3. Der Ursprung der Souveränität liegt wesentlich
in der Nation; keine Körperschaft, kein einzelner Bürger kann eine Gewalt
(-intorno) ausüben, die nicht ausdrücklich davon ausgeht.

Am 21. August wird die Debatte über Artikel 7 bis 10 fvrtgesetzt-
Alexander von Lameth schlägt statt der vier folgenden Artikel zwei, die nach
kurzer Aussprache genehmigt werden, vor: Art. 4. Die Freiheit besteht darin,
daß jeder thun kann, was dem andern nichts schadet; die Ausübung der natür¬
lichen Rechte jedes Menschen hat sonach nur solche Grenzen, die den andern
Gliedern der Gesellschaft den Genuß derselben Rechte verbürgen. Diese Grenzen
können nur durch das Gesetz bestimmt werden. Art. 5. Das Gesetz darf nur
solche Handlungen verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind; was durch das
Gesetz nicht verboten ist, kann nicht verhindert werden; niemand darf gezwungen
werden, zu thun, was eS nicht anordnet.

Bei Artikel 11 der Vorlage gelangt man nach längerer Debatte und mehr¬
fachen Amendements zur Annahme der von dem Bischof von Autun, Talleyrand-
Perigvrd, beantragten Fassung, die auch den Inhalt der Artikel 12, 13 und


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[0275] Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich haben, daß die Unkenntnis (ig'moi'laco), die Nichtbeachtung (I'oubli) oder die Ver- schmähung der Rechte des Menschen die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verdorbenheit (vorruptioo) der Regierungen sind, haben sie beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten (saLre«) Menschenrechte auseinanderzusetzen (sxxo8ör), damit diese Erklärung allen Gliedern des gesellschaftlichen Körpers beständig vor Augen sei und ihnen ihre Rechte und Pflichten immerfort in Erinnerung bringe, damit die Handlungen <Mos) der gesetzgebenden wie der ausübenden Gewalt, indem sie jeden Augenblick mit dein Endzweck aller politischen Satzung (insti- wtion) zusammengehalten werden können, dadurch mehr geachtet werden, damit weiter die künftig von einfachen und unantastbaren Grundsätzen hergeleiteten Ansprüche (röolMmtimis) der Bürger immer auf die Aufrechterhaltung der Verfassung und die allgemeine Wohlfahrt gerichtet seien. Infolge dessen erkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem Schutze des allerhöchsten Wesens die folgenden Rechte des Menschen und Bürgers." Nach Feststellung des Wortlautes der Einleitung geht man weiter zur Beratung der einzelnen Artikel. Ans Antrag Mouniers werden an Stelle der ersten sechs Artikel der Vorlage des Verfassungsausschusses folgende drei von Lafahette herrührende Artikel angenommen: Art. 1. Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaft¬ lichen Unterschiede sollen nnr auf den allgemeinen Vorteil (utilitö) gegründet sein. Art. 2. Der Endzweck jeder politischen Gesellschaft ist die Erhaltung der natürlichen und unverjährbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum (xroxrivtv), die Sicherheit und der Widerstand gegen die Unterdrückung. Art. 3. Der Ursprung der Souveränität liegt wesentlich in der Nation; keine Körperschaft, kein einzelner Bürger kann eine Gewalt (-intorno) ausüben, die nicht ausdrücklich davon ausgeht. Am 21. August wird die Debatte über Artikel 7 bis 10 fvrtgesetzt- Alexander von Lameth schlägt statt der vier folgenden Artikel zwei, die nach kurzer Aussprache genehmigt werden, vor: Art. 4. Die Freiheit besteht darin, daß jeder thun kann, was dem andern nichts schadet; die Ausübung der natür¬ lichen Rechte jedes Menschen hat sonach nur solche Grenzen, die den andern Gliedern der Gesellschaft den Genuß derselben Rechte verbürgen. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden. Art. 5. Das Gesetz darf nur solche Handlungen verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind; was durch das Gesetz nicht verboten ist, kann nicht verhindert werden; niemand darf gezwungen werden, zu thun, was eS nicht anordnet. Bei Artikel 11 der Vorlage gelangt man nach längerer Debatte und mehr¬ fachen Amendements zur Annahme der von dem Bischof von Autun, Talleyrand- Perigvrd, beantragten Fassung, die auch den Inhalt der Artikel 12, 13 und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/275>, abgerufen am 26.06.2024.