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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Aus Elsaß - Lothringen

verhielte, als wäre man auf dem Gebiete der Gesetzgebung an bessere Kost
gewöhnt; aber im ganzen und großen können wir wohl annehmen, daß die
Ablehnung der Einladung zum ersten Schritte zur Nuuäheruug an das künftige
deutsche allgemeine bürgerliche Recht dem Wunsche entsprang, die bezüglich
ihrer Tragweite unberechenbare unheimliche Neuerung soweit als möglich hin-
auszuschieben.

Die günstige Finanzlage hatte seit Jahren den Landesausschuß bestimmt,
teils den Anregungen der Regierung folgend, teils diese, soweit sie zaghaft
vorging, aufmunternd, gemeinnützige Unternehmungen aller Art in Angriff zu
nehmen. Dabei ergab sich sehr bald, wie begreiflich, ein gewisser Zwiespalt,
heute zwischen Industrie und Landwirtschaft, morgen zwischen Elsaß und
Lothringen oder zwischen Ober- und Unterelsaß; eine Einigung über Vorzug
und Reihenfolge bei Erfüllung der Wünsche zu erzielen, ist manchmal kein
leichtes Unternehmen, und gar oft entstand unter altdeutschen Beobachtern die
Meinung, als ob der Landcsausschuß eine eigennützige Verstocktheit, eine ab¬
sichtliche Verkennung der Aufgaben eines deutschen Bundesstaates, sei es im
Innern, sei es in den Beziehungen zum Reiche, walten ließe. Das scheint
uns ein ungerechtes Urteil zu sein. In welcher deutschen Kammer kommen
nicht ganz ähnliche Bestrebungen vor? Man muß sich dabei die Vergangenheit
des Landes vergegenwärtige", das früher über sich eine große staatliche Einheit,
ganz Frankreich, wußte, während heute über den örtlichen Interessen nnr eine
kleine finanzielle Gemeinschaft -- das Reichsland -- schwebt. Aus deu frühern
Überlieferungen entstand die Neigung, die auch Entgegenkommen fand, z. B. bei
der Kaiser-Wilhelms-Universität, beim Baue von Eisenbahnen, bei der Stadt¬
erweiterung von Straßburg, vom Reiche als dem großen Ganzen, das an
Stelle Frankreichs getreten war, Zuschüsse oder Begünstigungen zu erlangen.
Ein französischer Staatsmann hat einmal gesagt, die Jmperativmandate ans
der Provinz seien die Rache für die staatliche Zentralisation; darunter sind
aber nicht etwa nur politische, sondern weit mehr Jnteressenmandate zu ver¬
stehen. Die Provinz verlangt vom Staate Gegenleistungen für die Zustimmung
zu deu Gesamtzwecken und die Regierungsvorlagen; man verlangt von der
Regierung, daß sie sich gegenüber den Wünschen der Vertreter willfährig er¬
weise, und auf diese Weise wollen die Vertreter mitregieren und mitverwnlten.
Diese Auffassung zeigte sich in der Haltung des Landesausschusfes bei der
Beratung über Zuschüsse des Landes zur Anlage der Bahnlinien Selz-Merz-
weiler und Hagenau-Nöschwoog; schließlich wurde nur ein Zuschuß für die
Teilstrecke Selz-Walburg genehmigt. Vergeblich wurde der Versammlung vor¬
gerechnet, daß von den seit 1870 aufgewendeten Kosten für die Bahnen des
Reichslandes (515 Millionen Mary 489 Millionen vom Reiche gezahlt, da¬
gegen nnr 15 Millionen vom Lande, 8 Millionen von den Bezirken und
2,7 Millionen von Gemeinden und Privaten beigesteuert worden sind. Das


Aus Elsaß - Lothringen

verhielte, als wäre man auf dem Gebiete der Gesetzgebung an bessere Kost
gewöhnt; aber im ganzen und großen können wir wohl annehmen, daß die
Ablehnung der Einladung zum ersten Schritte zur Nuuäheruug an das künftige
deutsche allgemeine bürgerliche Recht dem Wunsche entsprang, die bezüglich
ihrer Tragweite unberechenbare unheimliche Neuerung soweit als möglich hin-
auszuschieben.

Die günstige Finanzlage hatte seit Jahren den Landesausschuß bestimmt,
teils den Anregungen der Regierung folgend, teils diese, soweit sie zaghaft
vorging, aufmunternd, gemeinnützige Unternehmungen aller Art in Angriff zu
nehmen. Dabei ergab sich sehr bald, wie begreiflich, ein gewisser Zwiespalt,
heute zwischen Industrie und Landwirtschaft, morgen zwischen Elsaß und
Lothringen oder zwischen Ober- und Unterelsaß; eine Einigung über Vorzug
und Reihenfolge bei Erfüllung der Wünsche zu erzielen, ist manchmal kein
leichtes Unternehmen, und gar oft entstand unter altdeutschen Beobachtern die
Meinung, als ob der Landcsausschuß eine eigennützige Verstocktheit, eine ab¬
sichtliche Verkennung der Aufgaben eines deutschen Bundesstaates, sei es im
Innern, sei es in den Beziehungen zum Reiche, walten ließe. Das scheint
uns ein ungerechtes Urteil zu sein. In welcher deutschen Kammer kommen
nicht ganz ähnliche Bestrebungen vor? Man muß sich dabei die Vergangenheit
des Landes vergegenwärtige», das früher über sich eine große staatliche Einheit,
ganz Frankreich, wußte, während heute über den örtlichen Interessen nnr eine
kleine finanzielle Gemeinschaft — das Reichsland — schwebt. Aus deu frühern
Überlieferungen entstand die Neigung, die auch Entgegenkommen fand, z. B. bei
der Kaiser-Wilhelms-Universität, beim Baue von Eisenbahnen, bei der Stadt¬
erweiterung von Straßburg, vom Reiche als dem großen Ganzen, das an
Stelle Frankreichs getreten war, Zuschüsse oder Begünstigungen zu erlangen.
Ein französischer Staatsmann hat einmal gesagt, die Jmperativmandate ans
der Provinz seien die Rache für die staatliche Zentralisation; darunter sind
aber nicht etwa nur politische, sondern weit mehr Jnteressenmandate zu ver¬
stehen. Die Provinz verlangt vom Staate Gegenleistungen für die Zustimmung
zu deu Gesamtzwecken und die Regierungsvorlagen; man verlangt von der
Regierung, daß sie sich gegenüber den Wünschen der Vertreter willfährig er¬
weise, und auf diese Weise wollen die Vertreter mitregieren und mitverwnlten.
Diese Auffassung zeigte sich in der Haltung des Landesausschusfes bei der
Beratung über Zuschüsse des Landes zur Anlage der Bahnlinien Selz-Merz-
weiler und Hagenau-Nöschwoog; schließlich wurde nur ein Zuschuß für die
Teilstrecke Selz-Walburg genehmigt. Vergeblich wurde der Versammlung vor¬
gerechnet, daß von den seit 1870 aufgewendeten Kosten für die Bahnen des
Reichslandes (515 Millionen Mary 489 Millionen vom Reiche gezahlt, da¬
gegen nnr 15 Millionen vom Lande, 8 Millionen von den Bezirken und
2,7 Millionen von Gemeinden und Privaten beigesteuert worden sind. Das


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[0262] Aus Elsaß - Lothringen verhielte, als wäre man auf dem Gebiete der Gesetzgebung an bessere Kost gewöhnt; aber im ganzen und großen können wir wohl annehmen, daß die Ablehnung der Einladung zum ersten Schritte zur Nuuäheruug an das künftige deutsche allgemeine bürgerliche Recht dem Wunsche entsprang, die bezüglich ihrer Tragweite unberechenbare unheimliche Neuerung soweit als möglich hin- auszuschieben. Die günstige Finanzlage hatte seit Jahren den Landesausschuß bestimmt, teils den Anregungen der Regierung folgend, teils diese, soweit sie zaghaft vorging, aufmunternd, gemeinnützige Unternehmungen aller Art in Angriff zu nehmen. Dabei ergab sich sehr bald, wie begreiflich, ein gewisser Zwiespalt, heute zwischen Industrie und Landwirtschaft, morgen zwischen Elsaß und Lothringen oder zwischen Ober- und Unterelsaß; eine Einigung über Vorzug und Reihenfolge bei Erfüllung der Wünsche zu erzielen, ist manchmal kein leichtes Unternehmen, und gar oft entstand unter altdeutschen Beobachtern die Meinung, als ob der Landcsausschuß eine eigennützige Verstocktheit, eine ab¬ sichtliche Verkennung der Aufgaben eines deutschen Bundesstaates, sei es im Innern, sei es in den Beziehungen zum Reiche, walten ließe. Das scheint uns ein ungerechtes Urteil zu sein. In welcher deutschen Kammer kommen nicht ganz ähnliche Bestrebungen vor? Man muß sich dabei die Vergangenheit des Landes vergegenwärtige», das früher über sich eine große staatliche Einheit, ganz Frankreich, wußte, während heute über den örtlichen Interessen nnr eine kleine finanzielle Gemeinschaft — das Reichsland — schwebt. Aus deu frühern Überlieferungen entstand die Neigung, die auch Entgegenkommen fand, z. B. bei der Kaiser-Wilhelms-Universität, beim Baue von Eisenbahnen, bei der Stadt¬ erweiterung von Straßburg, vom Reiche als dem großen Ganzen, das an Stelle Frankreichs getreten war, Zuschüsse oder Begünstigungen zu erlangen. Ein französischer Staatsmann hat einmal gesagt, die Jmperativmandate ans der Provinz seien die Rache für die staatliche Zentralisation; darunter sind aber nicht etwa nur politische, sondern weit mehr Jnteressenmandate zu ver¬ stehen. Die Provinz verlangt vom Staate Gegenleistungen für die Zustimmung zu deu Gesamtzwecken und die Regierungsvorlagen; man verlangt von der Regierung, daß sie sich gegenüber den Wünschen der Vertreter willfährig er¬ weise, und auf diese Weise wollen die Vertreter mitregieren und mitverwnlten. Diese Auffassung zeigte sich in der Haltung des Landesausschusfes bei der Beratung über Zuschüsse des Landes zur Anlage der Bahnlinien Selz-Merz- weiler und Hagenau-Nöschwoog; schließlich wurde nur ein Zuschuß für die Teilstrecke Selz-Walburg genehmigt. Vergeblich wurde der Versammlung vor¬ gerechnet, daß von den seit 1870 aufgewendeten Kosten für die Bahnen des Reichslandes (515 Millionen Mary 489 Millionen vom Reiche gezahlt, da¬ gegen nnr 15 Millionen vom Lande, 8 Millionen von den Bezirken und 2,7 Millionen von Gemeinden und Privaten beigesteuert worden sind. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/262>, abgerufen am 26.06.2024.