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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die gegenwärtige kolcmialpolitische Strömung

nicht zufrieden sind, Sie besitzen vielleicht das Geheimmittel, wodurch mehr
Hütte erreicht werden können. Aber unerhört ist es, daß man den Abschluß
des Vertrages von manchen Seiten so bezeichnete, als ob die Festung Metz
den Franzosen ausgeliefert worden wäre, ja daß man die Regierung Kaiser
Wilhelms II-, dessen koloniefreundlichc Gesinnung außer Zweifel steht, mit den
schwersten Vorwürfen überschüttete. Es hat dies gezeigt, daß die nationale
Empfindung, die unsre Kolonialpolitik bisher getragen hat und, wenn sie weiter
lebenskräftig bleiben soll, auch tragen muß, nicht frei vou schweren Aus¬
schreitungen geblieben ist. Ohne koloniale Begeisterung des Volkes ist es
für ein Land unmöglich, Kolonialpolitik zu treiben; mit der kolonialen Be¬
geisterung allein aber kann keine Kolonialpolitik betrieben werden. Eine
solche ist nur möglich unter Wahrung des allgemeinen Friedens, mit der Auf¬
wendung großer .Kapitalien und mit einer nüchternen, sparsamen Leitung der
Geschäfte, sowie mit kaufmännisch gebildeten Unternehmungen. Mit bloßen
"Resolutionen" in erhitzten Volksversammlungen ist es nicht gethan; erregte
Zeitungsartikel gewinnen der deutschen und christlichen Zivilisation nicht
einen Fuß breit unkultivirten Landes; der Thatendurst junger Männer darf
besonnenen Erwägungen nicht den Vorrang ablaufen. Mit demselben Recht,
mit dem Versammlungen angesehener Männer der Regierung die bittersten
Vorwürfe gemacht und die Nation aufgefordert haben, mit allen Kräften gegen
das englische Abkommen zu wirken, mit demselben Rechte können sozialdemo-
kratische Versammlungen die Abschaffung des Eigentums und Vernichtung der
bestehenden Gesellschaftsordnung verlangen. An die Stelle blinder Kvlvnial-
schwärmerei muß eine klare Kolouicilpolitik treten, wenn wir nicht unsern
Gegnern in die Hände arbeiten und durch die maßlose Verfolgung phantastischer
Pläne das bisher errungene aufs Spiel setzen wollen. Kein Mensch kann
mehr essen und trinken, als sein Magen verträgt, und keine Nation kann mehr
Länder erwerben, als sie zu kolonisiren vermag. Freilich dieses Kolvnisircn
ist eine ernste Arbeit, die weder am Klubtische uoch in Volksversammlungen
gethan wird, die auch in Festkommersen und Hurrarufen nicht ihren Zielpunkt
sieht. Den Männern wie Kolumbus und Vasco da Gama, die mit ihren
Thaten mit Recht die Welt erfüllt haben, muß die stille und unscheinbare
Arbeit der namenlosen Männer folgen, die mit Pflug und Hacke, in der Fak¬
torei und auf den Flüssen, als Missionäre und Vüreaubeamten thätig sind,
deren Werke aber den künftigen Geschlechtern, die an Stelle wüster Lnndereien
fruchttragende Fluren sehen werden, erkennbar sind. Vor allem wird es jetzt
darauf ankommen, daß dein Kriegszustande, wie er bisher an der ostafrikanischen
Küste geherrscht hat, ein Eude gemacht, daß dieser in friedliche Verhältnisse
übergeleitet werde. Denn es kann sich nicht darum handeln, in Ostafrika eine
Militärkolonie zu gründen und während der Friedenszeit in Europa die Pflege
kriegerischen Geistes an die ostnfrikauische Küste zu verlegen. An die Stelle


Die gegenwärtige kolcmialpolitische Strömung

nicht zufrieden sind, Sie besitzen vielleicht das Geheimmittel, wodurch mehr
Hütte erreicht werden können. Aber unerhört ist es, daß man den Abschluß
des Vertrages von manchen Seiten so bezeichnete, als ob die Festung Metz
den Franzosen ausgeliefert worden wäre, ja daß man die Regierung Kaiser
Wilhelms II-, dessen koloniefreundlichc Gesinnung außer Zweifel steht, mit den
schwersten Vorwürfen überschüttete. Es hat dies gezeigt, daß die nationale
Empfindung, die unsre Kolonialpolitik bisher getragen hat und, wenn sie weiter
lebenskräftig bleiben soll, auch tragen muß, nicht frei vou schweren Aus¬
schreitungen geblieben ist. Ohne koloniale Begeisterung des Volkes ist es
für ein Land unmöglich, Kolonialpolitik zu treiben; mit der kolonialen Be¬
geisterung allein aber kann keine Kolonialpolitik betrieben werden. Eine
solche ist nur möglich unter Wahrung des allgemeinen Friedens, mit der Auf¬
wendung großer .Kapitalien und mit einer nüchternen, sparsamen Leitung der
Geschäfte, sowie mit kaufmännisch gebildeten Unternehmungen. Mit bloßen
„Resolutionen" in erhitzten Volksversammlungen ist es nicht gethan; erregte
Zeitungsartikel gewinnen der deutschen und christlichen Zivilisation nicht
einen Fuß breit unkultivirten Landes; der Thatendurst junger Männer darf
besonnenen Erwägungen nicht den Vorrang ablaufen. Mit demselben Recht,
mit dem Versammlungen angesehener Männer der Regierung die bittersten
Vorwürfe gemacht und die Nation aufgefordert haben, mit allen Kräften gegen
das englische Abkommen zu wirken, mit demselben Rechte können sozialdemo-
kratische Versammlungen die Abschaffung des Eigentums und Vernichtung der
bestehenden Gesellschaftsordnung verlangen. An die Stelle blinder Kvlvnial-
schwärmerei muß eine klare Kolouicilpolitik treten, wenn wir nicht unsern
Gegnern in die Hände arbeiten und durch die maßlose Verfolgung phantastischer
Pläne das bisher errungene aufs Spiel setzen wollen. Kein Mensch kann
mehr essen und trinken, als sein Magen verträgt, und keine Nation kann mehr
Länder erwerben, als sie zu kolonisiren vermag. Freilich dieses Kolvnisircn
ist eine ernste Arbeit, die weder am Klubtische uoch in Volksversammlungen
gethan wird, die auch in Festkommersen und Hurrarufen nicht ihren Zielpunkt
sieht. Den Männern wie Kolumbus und Vasco da Gama, die mit ihren
Thaten mit Recht die Welt erfüllt haben, muß die stille und unscheinbare
Arbeit der namenlosen Männer folgen, die mit Pflug und Hacke, in der Fak¬
torei und auf den Flüssen, als Missionäre und Vüreaubeamten thätig sind,
deren Werke aber den künftigen Geschlechtern, die an Stelle wüster Lnndereien
fruchttragende Fluren sehen werden, erkennbar sind. Vor allem wird es jetzt
darauf ankommen, daß dein Kriegszustande, wie er bisher an der ostafrikanischen
Küste geherrscht hat, ein Eude gemacht, daß dieser in friedliche Verhältnisse
übergeleitet werde. Denn es kann sich nicht darum handeln, in Ostafrika eine
Militärkolonie zu gründen und während der Friedenszeit in Europa die Pflege
kriegerischen Geistes an die ostnfrikauische Küste zu verlegen. An die Stelle


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[0254] Die gegenwärtige kolcmialpolitische Strömung nicht zufrieden sind, Sie besitzen vielleicht das Geheimmittel, wodurch mehr Hütte erreicht werden können. Aber unerhört ist es, daß man den Abschluß des Vertrages von manchen Seiten so bezeichnete, als ob die Festung Metz den Franzosen ausgeliefert worden wäre, ja daß man die Regierung Kaiser Wilhelms II-, dessen koloniefreundlichc Gesinnung außer Zweifel steht, mit den schwersten Vorwürfen überschüttete. Es hat dies gezeigt, daß die nationale Empfindung, die unsre Kolonialpolitik bisher getragen hat und, wenn sie weiter lebenskräftig bleiben soll, auch tragen muß, nicht frei vou schweren Aus¬ schreitungen geblieben ist. Ohne koloniale Begeisterung des Volkes ist es für ein Land unmöglich, Kolonialpolitik zu treiben; mit der kolonialen Be¬ geisterung allein aber kann keine Kolonialpolitik betrieben werden. Eine solche ist nur möglich unter Wahrung des allgemeinen Friedens, mit der Auf¬ wendung großer .Kapitalien und mit einer nüchternen, sparsamen Leitung der Geschäfte, sowie mit kaufmännisch gebildeten Unternehmungen. Mit bloßen „Resolutionen" in erhitzten Volksversammlungen ist es nicht gethan; erregte Zeitungsartikel gewinnen der deutschen und christlichen Zivilisation nicht einen Fuß breit unkultivirten Landes; der Thatendurst junger Männer darf besonnenen Erwägungen nicht den Vorrang ablaufen. Mit demselben Recht, mit dem Versammlungen angesehener Männer der Regierung die bittersten Vorwürfe gemacht und die Nation aufgefordert haben, mit allen Kräften gegen das englische Abkommen zu wirken, mit demselben Rechte können sozialdemo- kratische Versammlungen die Abschaffung des Eigentums und Vernichtung der bestehenden Gesellschaftsordnung verlangen. An die Stelle blinder Kvlvnial- schwärmerei muß eine klare Kolouicilpolitik treten, wenn wir nicht unsern Gegnern in die Hände arbeiten und durch die maßlose Verfolgung phantastischer Pläne das bisher errungene aufs Spiel setzen wollen. Kein Mensch kann mehr essen und trinken, als sein Magen verträgt, und keine Nation kann mehr Länder erwerben, als sie zu kolonisiren vermag. Freilich dieses Kolvnisircn ist eine ernste Arbeit, die weder am Klubtische uoch in Volksversammlungen gethan wird, die auch in Festkommersen und Hurrarufen nicht ihren Zielpunkt sieht. Den Männern wie Kolumbus und Vasco da Gama, die mit ihren Thaten mit Recht die Welt erfüllt haben, muß die stille und unscheinbare Arbeit der namenlosen Männer folgen, die mit Pflug und Hacke, in der Fak¬ torei und auf den Flüssen, als Missionäre und Vüreaubeamten thätig sind, deren Werke aber den künftigen Geschlechtern, die an Stelle wüster Lnndereien fruchttragende Fluren sehen werden, erkennbar sind. Vor allem wird es jetzt darauf ankommen, daß dein Kriegszustande, wie er bisher an der ostafrikanischen Küste geherrscht hat, ein Eude gemacht, daß dieser in friedliche Verhältnisse übergeleitet werde. Denn es kann sich nicht darum handeln, in Ostafrika eine Militärkolonie zu gründen und während der Friedenszeit in Europa die Pflege kriegerischen Geistes an die ostnfrikauische Küste zu verlegen. An die Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/254>, abgerufen am 26.06.2024.