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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung

des Schwertes muß jetzt Bibel und Pflug treten, und es muß mit allen
Mitteln gesucht werden, daß die kostspielige militärische Verwaltung in eine
sparsame und ordnungsgemäße übergeleitet werde, wie dies deutsche Art und
Gewohnheit seit Jahrhunderten ist. Denn nur Ordnung und Sparsamkeit
haben Preußen groß und fähig gemacht, in einem einigen Deutschland auf¬
zugehen. Es ist unmöglich, daß nnr für die nächsten Jahre gleich hohe
Kosten ans die ostafrikanische Küste, wie bisher, verwandt werden. Nach der
gegenwärtigen Zusammensetzung des Reichstages ist auch nicht zu erwarten,
daß gleiche Bewilligungen erfolgen. Wer es also mit dein Erwerb von Ost¬
afrika durch Deutschland ehrlich meint, der muß sich bestreben, dahin zu wirken,
daß diese Kosten sich verringern, und daß dem deutschen Kaufmann und dem
dentschen Pflanzer eine Zeit lang gegönnt werde, nun die bewaffnete Macht nach
Möglichkeit abzulösen. Dann wird eine Periode kommen, wo die Zeitungen
vielleicht weniger von Ostafrika werden zu berichten haben, wo aber bei
ruhiger Arbeit das erhalten werden kann, was uns der jugendliche Mut deutscher
Männer erworben und erhalten hat.

Die Ausschreitungen auf dem Gebiete der Kolonialpolitik, wie sie sich in
den letzten Wochen ereignet haben, zeigen zu unserm Bedauern, daß das
politische Urteil in Deutschland noch nicht auf der Höhe steht. Ist es doch
vorgekommen, daß ganz ernstlich der Krieg mit England gepredigt wurde,
genügt es doch schon, daß eine Reise nach Sansibar den Reisenden sofort zum
Fachmann stempelt, dessen Urteil das allein maßgebende sein darf, hat es doch
ab und zu den Anschein, als ob die Thaten unsers Heeres im Jahre 1870
in deu Schatten gestellt würden durch die Streifzüge gegen Vuschiri und dessen
wilde Araberhorden. Bei aller Anerkennung der tapfern Thaten des Majors
von Wißmann und feiner Leute scheint es angemessen, um die Begriffe nicht
weiter zu verwirren, auch ein gewisses Maß zu üben und namentlich nicht aus
dem Auge zu verlieren, daß das deutsche Volk neben den t'oloninlpvlitischeu
Interessen auch noch andre zu verfolgen hat, und daß, wenn die Regierung
gezwungen werden sollte, all den maßlosen Forderungen nachzugeben, die vou
den Kvlvnialphantasten gestellt worden sind, der Zerfall des Reiches eine not¬
wendige Folge davon sein würde. Welcher Widerspruch würde sich erheben,
wenn der Landwirtschaftsrat den Anspruch machen wollte, daß nicht die Re¬
gierung, sondern er allein die Entscheidung in landwirtschaftlichen Fragen hätte,
und welcher Sturm würde entstehen, wenn die Handelskammern und nicht die
Regierung mit den gesetzgebenden Faktoren den Zolltarif festsetzen wollten.
Aber daß ein Kolonialrat nicht bloß sein Gutachten abzugeben, sondern noch
mehr als ein Parlament die ausschließliche Entscheidung haben soll, das wird
mit einer staunenerregenden Unbefangenheit in öffentlichen Blättern mit Ernst
verkündet und jeder Afrikareisende schon durch diese seine Eigenschaft zum
genialen Staatsmann und Verwaltungsbeamten gestempelt. Nur eins haben


Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung

des Schwertes muß jetzt Bibel und Pflug treten, und es muß mit allen
Mitteln gesucht werden, daß die kostspielige militärische Verwaltung in eine
sparsame und ordnungsgemäße übergeleitet werde, wie dies deutsche Art und
Gewohnheit seit Jahrhunderten ist. Denn nur Ordnung und Sparsamkeit
haben Preußen groß und fähig gemacht, in einem einigen Deutschland auf¬
zugehen. Es ist unmöglich, daß nnr für die nächsten Jahre gleich hohe
Kosten ans die ostafrikanische Küste, wie bisher, verwandt werden. Nach der
gegenwärtigen Zusammensetzung des Reichstages ist auch nicht zu erwarten,
daß gleiche Bewilligungen erfolgen. Wer es also mit dein Erwerb von Ost¬
afrika durch Deutschland ehrlich meint, der muß sich bestreben, dahin zu wirken,
daß diese Kosten sich verringern, und daß dem deutschen Kaufmann und dem
dentschen Pflanzer eine Zeit lang gegönnt werde, nun die bewaffnete Macht nach
Möglichkeit abzulösen. Dann wird eine Periode kommen, wo die Zeitungen
vielleicht weniger von Ostafrika werden zu berichten haben, wo aber bei
ruhiger Arbeit das erhalten werden kann, was uns der jugendliche Mut deutscher
Männer erworben und erhalten hat.

Die Ausschreitungen auf dem Gebiete der Kolonialpolitik, wie sie sich in
den letzten Wochen ereignet haben, zeigen zu unserm Bedauern, daß das
politische Urteil in Deutschland noch nicht auf der Höhe steht. Ist es doch
vorgekommen, daß ganz ernstlich der Krieg mit England gepredigt wurde,
genügt es doch schon, daß eine Reise nach Sansibar den Reisenden sofort zum
Fachmann stempelt, dessen Urteil das allein maßgebende sein darf, hat es doch
ab und zu den Anschein, als ob die Thaten unsers Heeres im Jahre 1870
in deu Schatten gestellt würden durch die Streifzüge gegen Vuschiri und dessen
wilde Araberhorden. Bei aller Anerkennung der tapfern Thaten des Majors
von Wißmann und feiner Leute scheint es angemessen, um die Begriffe nicht
weiter zu verwirren, auch ein gewisses Maß zu üben und namentlich nicht aus
dem Auge zu verlieren, daß das deutsche Volk neben den t'oloninlpvlitischeu
Interessen auch noch andre zu verfolgen hat, und daß, wenn die Regierung
gezwungen werden sollte, all den maßlosen Forderungen nachzugeben, die vou
den Kvlvnialphantasten gestellt worden sind, der Zerfall des Reiches eine not¬
wendige Folge davon sein würde. Welcher Widerspruch würde sich erheben,
wenn der Landwirtschaftsrat den Anspruch machen wollte, daß nicht die Re¬
gierung, sondern er allein die Entscheidung in landwirtschaftlichen Fragen hätte,
und welcher Sturm würde entstehen, wenn die Handelskammern und nicht die
Regierung mit den gesetzgebenden Faktoren den Zolltarif festsetzen wollten.
Aber daß ein Kolonialrat nicht bloß sein Gutachten abzugeben, sondern noch
mehr als ein Parlament die ausschließliche Entscheidung haben soll, das wird
mit einer staunenerregenden Unbefangenheit in öffentlichen Blättern mit Ernst
verkündet und jeder Afrikareisende schon durch diese seine Eigenschaft zum
genialen Staatsmann und Verwaltungsbeamten gestempelt. Nur eins haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/255>, abgerufen am 26.06.2024.