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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung

zeichnete, galt als die Vesiegelung eines verbriefte" Besitzes. Man machte
sich nicht ernstlich klar, daß eine Kolonisation nur im großen Stile getrieben
werden kann, und daß nur von der Aufwendung großer Kapitalien Erfolg zu
erwarten, möglich ist. Diese Kapitalien aber fehlten, da es ganz unmöglich
war, daß überall der deutsche Unternehmungsgeist hätte folgen können, wohin
Thatendrang und Abenteurerlust vorausgegangen war. Das Sprichwort, daß
die Völker büßen müssen, was die Könige thun, galt auf dem Gebiete der
Kolonialpolitik in timgekehrtem Sinne, denn die Regierungen mußten es tragen,
was die koloniale Begeisterung der Vevölkeruugeu anrichtete. Auf allen Seiten
des afrikanischen Kontinents, wo Deutschland festen Fuß gefaßt hatte, gab es
zwischen Deutschen und Engländern Händel, und die Regierungen, die nicht
bloß für Afrika, sondern auch für Europa zu sorgen hatten und insbesondre
für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens bemüht waren, gerieten
mehr und mehr in Reibungen und Konflikte. Selbstverständlich blieben auch
diese Verstimmungen den weitesten Kreisen nicht unbekannt, und auch dies war
ein Grund, weswegen in Deutschland das Kapital, das fiir solche Bewegungen sehr
feine Nerven hat, sich mit großer Vorsicht zurückhielt. Die Kvloninlpvlitik war
dahin gekommen, daß einerseits in Europa der Friede seine sichere Grundlage
zu verlieren schien, und daß anderseits in Afrika der deutsche Besitz bestritten
und angezweifelt wurde. Ein längeres Zuschauen war hier nicht mehr möglich,
die Regierung mußte aus ihrer neutralen Stellung heraus, und sie hat in dem
englisch-deutscheu Abkommen eine feste Stellung zu erringen gewußt. Es ist
hier uicht der Ort, zu untersuchen, ob eS möglich gewesen wäre, fiir Deutsch¬
land einige tausend Quadratmeilen unerforschten Landes in Afrika mehr her¬
auszuschlagen, als geschehen ist. Aber zweifellos ist, daß damit für Deutsch-
land ein so großer Besitz in sichern und nnangezweifelten Grenzen erworben
worden ist, daß dem deutschen Unternehmungsgeist und dem deutschen Kapital auf
mehrere Menschenalter hin ein weiter, gesicherter Spielraum zu reichster Ent¬
faltung der Kräfte geblieben ist; und für mehr zu sorgen, als für Menschen-
nlter hinaus, wird man unter den gegenwärtigen Verhältnissen keiner Regie¬
rung zumuten können. Was einmal geschehen wird, wenn diese Interessengebiete
die heute nach Breitengraden abgesteckt sind, wirklich der Menschheit durch
Kolonisation und ernste Arbeit zugänglich gemacht sind, das darf man getrost
der Zukunft überlassen. Wer wird voraussehen wollen, was dann Europa
und Afrika für ein Antlitz zeigen, und wer möchte nicht auch noch den künftigen
Geschlechtern etwas zu thun übrig lassen? Vorläufig genügt es, daß auf weite
Länderstrecken hin dem deutscheu Einfluß kein Gegner entstehen kann, und daß
deutsche Arbeit in ihrer Mühe gesichert bleibt, sowie daß deutsches Kapital
angelegt werden kaun ohne die Besorgnis, daß die Ergebnisse deutschen Fleißes
und deutscher Mittel nicht dem eignen Stamme zu gute kommen werden.

Trotzdem soll nicht gestritten werden mit denen, die mit diesem Abkommen


Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung

zeichnete, galt als die Vesiegelung eines verbriefte» Besitzes. Man machte
sich nicht ernstlich klar, daß eine Kolonisation nur im großen Stile getrieben
werden kann, und daß nur von der Aufwendung großer Kapitalien Erfolg zu
erwarten, möglich ist. Diese Kapitalien aber fehlten, da es ganz unmöglich
war, daß überall der deutsche Unternehmungsgeist hätte folgen können, wohin
Thatendrang und Abenteurerlust vorausgegangen war. Das Sprichwort, daß
die Völker büßen müssen, was die Könige thun, galt auf dem Gebiete der
Kolonialpolitik in timgekehrtem Sinne, denn die Regierungen mußten es tragen,
was die koloniale Begeisterung der Vevölkeruugeu anrichtete. Auf allen Seiten
des afrikanischen Kontinents, wo Deutschland festen Fuß gefaßt hatte, gab es
zwischen Deutschen und Engländern Händel, und die Regierungen, die nicht
bloß für Afrika, sondern auch für Europa zu sorgen hatten und insbesondre
für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens bemüht waren, gerieten
mehr und mehr in Reibungen und Konflikte. Selbstverständlich blieben auch
diese Verstimmungen den weitesten Kreisen nicht unbekannt, und auch dies war
ein Grund, weswegen in Deutschland das Kapital, das fiir solche Bewegungen sehr
feine Nerven hat, sich mit großer Vorsicht zurückhielt. Die Kvloninlpvlitik war
dahin gekommen, daß einerseits in Europa der Friede seine sichere Grundlage
zu verlieren schien, und daß anderseits in Afrika der deutsche Besitz bestritten
und angezweifelt wurde. Ein längeres Zuschauen war hier nicht mehr möglich,
die Regierung mußte aus ihrer neutralen Stellung heraus, und sie hat in dem
englisch-deutscheu Abkommen eine feste Stellung zu erringen gewußt. Es ist
hier uicht der Ort, zu untersuchen, ob eS möglich gewesen wäre, fiir Deutsch¬
land einige tausend Quadratmeilen unerforschten Landes in Afrika mehr her¬
auszuschlagen, als geschehen ist. Aber zweifellos ist, daß damit für Deutsch-
land ein so großer Besitz in sichern und nnangezweifelten Grenzen erworben
worden ist, daß dem deutschen Unternehmungsgeist und dem deutschen Kapital auf
mehrere Menschenalter hin ein weiter, gesicherter Spielraum zu reichster Ent¬
faltung der Kräfte geblieben ist; und für mehr zu sorgen, als für Menschen-
nlter hinaus, wird man unter den gegenwärtigen Verhältnissen keiner Regie¬
rung zumuten können. Was einmal geschehen wird, wenn diese Interessengebiete
die heute nach Breitengraden abgesteckt sind, wirklich der Menschheit durch
Kolonisation und ernste Arbeit zugänglich gemacht sind, das darf man getrost
der Zukunft überlassen. Wer wird voraussehen wollen, was dann Europa
und Afrika für ein Antlitz zeigen, und wer möchte nicht auch noch den künftigen
Geschlechtern etwas zu thun übrig lassen? Vorläufig genügt es, daß auf weite
Länderstrecken hin dem deutscheu Einfluß kein Gegner entstehen kann, und daß
deutsche Arbeit in ihrer Mühe gesichert bleibt, sowie daß deutsches Kapital
angelegt werden kaun ohne die Besorgnis, daß die Ergebnisse deutschen Fleißes
und deutscher Mittel nicht dem eignen Stamme zu gute kommen werden.

Trotzdem soll nicht gestritten werden mit denen, die mit diesem Abkommen


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[0253] Die gegenwärtige kolonialpolitische Strömung zeichnete, galt als die Vesiegelung eines verbriefte» Besitzes. Man machte sich nicht ernstlich klar, daß eine Kolonisation nur im großen Stile getrieben werden kann, und daß nur von der Aufwendung großer Kapitalien Erfolg zu erwarten, möglich ist. Diese Kapitalien aber fehlten, da es ganz unmöglich war, daß überall der deutsche Unternehmungsgeist hätte folgen können, wohin Thatendrang und Abenteurerlust vorausgegangen war. Das Sprichwort, daß die Völker büßen müssen, was die Könige thun, galt auf dem Gebiete der Kolonialpolitik in timgekehrtem Sinne, denn die Regierungen mußten es tragen, was die koloniale Begeisterung der Vevölkeruugeu anrichtete. Auf allen Seiten des afrikanischen Kontinents, wo Deutschland festen Fuß gefaßt hatte, gab es zwischen Deutschen und Engländern Händel, und die Regierungen, die nicht bloß für Afrika, sondern auch für Europa zu sorgen hatten und insbesondre für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens bemüht waren, gerieten mehr und mehr in Reibungen und Konflikte. Selbstverständlich blieben auch diese Verstimmungen den weitesten Kreisen nicht unbekannt, und auch dies war ein Grund, weswegen in Deutschland das Kapital, das fiir solche Bewegungen sehr feine Nerven hat, sich mit großer Vorsicht zurückhielt. Die Kvloninlpvlitik war dahin gekommen, daß einerseits in Europa der Friede seine sichere Grundlage zu verlieren schien, und daß anderseits in Afrika der deutsche Besitz bestritten und angezweifelt wurde. Ein längeres Zuschauen war hier nicht mehr möglich, die Regierung mußte aus ihrer neutralen Stellung heraus, und sie hat in dem englisch-deutscheu Abkommen eine feste Stellung zu erringen gewußt. Es ist hier uicht der Ort, zu untersuchen, ob eS möglich gewesen wäre, fiir Deutsch¬ land einige tausend Quadratmeilen unerforschten Landes in Afrika mehr her¬ auszuschlagen, als geschehen ist. Aber zweifellos ist, daß damit für Deutsch- land ein so großer Besitz in sichern und nnangezweifelten Grenzen erworben worden ist, daß dem deutschen Unternehmungsgeist und dem deutschen Kapital auf mehrere Menschenalter hin ein weiter, gesicherter Spielraum zu reichster Ent¬ faltung der Kräfte geblieben ist; und für mehr zu sorgen, als für Menschen- nlter hinaus, wird man unter den gegenwärtigen Verhältnissen keiner Regie¬ rung zumuten können. Was einmal geschehen wird, wenn diese Interessengebiete die heute nach Breitengraden abgesteckt sind, wirklich der Menschheit durch Kolonisation und ernste Arbeit zugänglich gemacht sind, das darf man getrost der Zukunft überlassen. Wer wird voraussehen wollen, was dann Europa und Afrika für ein Antlitz zeigen, und wer möchte nicht auch noch den künftigen Geschlechtern etwas zu thun übrig lassen? Vorläufig genügt es, daß auf weite Länderstrecken hin dem deutscheu Einfluß kein Gegner entstehen kann, und daß deutsche Arbeit in ihrer Mühe gesichert bleibt, sowie daß deutsches Kapital angelegt werden kaun ohne die Besorgnis, daß die Ergebnisse deutschen Fleißes und deutscher Mittel nicht dem eignen Stamme zu gute kommen werden. Trotzdem soll nicht gestritten werden mit denen, die mit diesem Abkommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/253>, abgerufen am 26.06.2024.