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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die gegenwältige kolonialpolitische Strömung

in Parlamenten und in Versammlungen ist das Für und Wider zum Überdruß
erörtert worden; Thatsache aber ist, daß die Ostafrikanische Gesellschaft nichts
unternommen hat, ohne von dem damaligen deutschen Generalkonsul beraten
zu sein, und daß, wenn wirklich Mißgriffe vorgekommen sind, diese in gleicher
Weise den Vertretern der Gesellschaft wie denen der Regierung zur Last fallen.
Das eine Gute hatte aber doch der Aufstand bewirkt, daß die öffentliche
Meinung in Deutschland sich mehr und mehr für die ostafrikanischen Besitzungen
erwärmte, daß die nationale Gesinnung sich die religiösen und braunen
Empfindungen des Volkes zu verbinden verstand, unc> daß auch die Vertretung
der Nation sich genötigt sah, die Mittel zu bewilligen, die zur Dämpfung des
Aufstandes erforderlich waren. Aber es zeugte immer noch von dem geringen
Vertrauen, das sowohl Regierung wie Reichstag in die Sache setzten, daß
sie beide die eigne Verantwortung möglichst einzuschränken sich bemühten.
Ohne irgend eine nähere Organisation wird lediglich eine Summe bewilligt
und einem Reichskommissar gegeben, damit er nach eignem Gutdünken
und auf eigne Faust Ruhe und Ordnung wieder herstelle. In unserm Jahr¬
hundert militärischer Disziplin, in dem Musterstaate europäischer Kriegsmacht
wird plötzlich nach alter Landsknechtsart die Werbetrommel gerührt, und aus
die Fahne eines berühmten Afrikareisenden schwören zahlreiche junge Männer.
Die Wahl des Majors von Wißmann zeigte sich bald als eine außerordentlich
glückliche; er hat die Aufgabe, die ihm gestellt war, erfüllt und Friede und
Ordnung an der Küste des ostafrikanischen Festlandes wieder hergestellt. In¬
zwischen war es gerade während dieser militärischen Operation klar geworden,
wie unsicher und zweifelhaft die Rechtsverhältnisse an dieser Küste waren.
Unter der nomineller Hoheit eines afrikanischen Sultans befehligte ein deut¬
scher unabhängiger Feldhauptmann, regierten die Beamten einer deutscheu
Kvlonialgesellschaft und manövrirten die Schiffe Seiner Majestät des Kaisers
im Verein mit englischen Geschwadern. Die Emin-Pascha-Expedition, die
im Zusammenhang mit der Kolonialpolitik Gegenstand nationaler Erregung
in Deutschland wurde, hatte weitere Sehnsucht erweckt, den deutschen Einfluß
in das Innere Afrikas zu erstrecken. Dies hatte die Nebenbuhlerschaft
englischer Gesellschaften hervorgerufen, eine Expedition jagte die andre, Ver¬
treter von deutschen und englischen Gesellschaften suchten einander den Rang
abzugewinnen in dem Abschluß fragwürdiger Verträge mit ebenso fragwürdigen
Häuptlingen, in Blutsbrüderschaften und dergleichen, und das deutsche Volk
erregte sich mehr und mehr an den Thaten seiner afrikanischen Helden und
verfolgte sie mit demselben Interesse, wie die Jugend den Erzählungen über
Christoph Kolumbus und Vasco da Genua lauscht. Mit wahrer Genugthuung
berichteten die Zeitungen, wenn es wieder gelungen war, durch einen solchen
Vertrag Tausende von Quadratmeilen für Deutschland zu erwerben, lind jeder
Pinselstrich, der quer durch Afrika den Abschluß einer solchen Erwerbung be-


Die gegenwältige kolonialpolitische Strömung

in Parlamenten und in Versammlungen ist das Für und Wider zum Überdruß
erörtert worden; Thatsache aber ist, daß die Ostafrikanische Gesellschaft nichts
unternommen hat, ohne von dem damaligen deutschen Generalkonsul beraten
zu sein, und daß, wenn wirklich Mißgriffe vorgekommen sind, diese in gleicher
Weise den Vertretern der Gesellschaft wie denen der Regierung zur Last fallen.
Das eine Gute hatte aber doch der Aufstand bewirkt, daß die öffentliche
Meinung in Deutschland sich mehr und mehr für die ostafrikanischen Besitzungen
erwärmte, daß die nationale Gesinnung sich die religiösen und braunen
Empfindungen des Volkes zu verbinden verstand, unc> daß auch die Vertretung
der Nation sich genötigt sah, die Mittel zu bewilligen, die zur Dämpfung des
Aufstandes erforderlich waren. Aber es zeugte immer noch von dem geringen
Vertrauen, das sowohl Regierung wie Reichstag in die Sache setzten, daß
sie beide die eigne Verantwortung möglichst einzuschränken sich bemühten.
Ohne irgend eine nähere Organisation wird lediglich eine Summe bewilligt
und einem Reichskommissar gegeben, damit er nach eignem Gutdünken
und auf eigne Faust Ruhe und Ordnung wieder herstelle. In unserm Jahr¬
hundert militärischer Disziplin, in dem Musterstaate europäischer Kriegsmacht
wird plötzlich nach alter Landsknechtsart die Werbetrommel gerührt, und aus
die Fahne eines berühmten Afrikareisenden schwören zahlreiche junge Männer.
Die Wahl des Majors von Wißmann zeigte sich bald als eine außerordentlich
glückliche; er hat die Aufgabe, die ihm gestellt war, erfüllt und Friede und
Ordnung an der Küste des ostafrikanischen Festlandes wieder hergestellt. In¬
zwischen war es gerade während dieser militärischen Operation klar geworden,
wie unsicher und zweifelhaft die Rechtsverhältnisse an dieser Küste waren.
Unter der nomineller Hoheit eines afrikanischen Sultans befehligte ein deut¬
scher unabhängiger Feldhauptmann, regierten die Beamten einer deutscheu
Kvlonialgesellschaft und manövrirten die Schiffe Seiner Majestät des Kaisers
im Verein mit englischen Geschwadern. Die Emin-Pascha-Expedition, die
im Zusammenhang mit der Kolonialpolitik Gegenstand nationaler Erregung
in Deutschland wurde, hatte weitere Sehnsucht erweckt, den deutschen Einfluß
in das Innere Afrikas zu erstrecken. Dies hatte die Nebenbuhlerschaft
englischer Gesellschaften hervorgerufen, eine Expedition jagte die andre, Ver¬
treter von deutschen und englischen Gesellschaften suchten einander den Rang
abzugewinnen in dem Abschluß fragwürdiger Verträge mit ebenso fragwürdigen
Häuptlingen, in Blutsbrüderschaften und dergleichen, und das deutsche Volk
erregte sich mehr und mehr an den Thaten seiner afrikanischen Helden und
verfolgte sie mit demselben Interesse, wie die Jugend den Erzählungen über
Christoph Kolumbus und Vasco da Genua lauscht. Mit wahrer Genugthuung
berichteten die Zeitungen, wenn es wieder gelungen war, durch einen solchen
Vertrag Tausende von Quadratmeilen für Deutschland zu erwerben, lind jeder
Pinselstrich, der quer durch Afrika den Abschluß einer solchen Erwerbung be-


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[0252] Die gegenwältige kolonialpolitische Strömung in Parlamenten und in Versammlungen ist das Für und Wider zum Überdruß erörtert worden; Thatsache aber ist, daß die Ostafrikanische Gesellschaft nichts unternommen hat, ohne von dem damaligen deutschen Generalkonsul beraten zu sein, und daß, wenn wirklich Mißgriffe vorgekommen sind, diese in gleicher Weise den Vertretern der Gesellschaft wie denen der Regierung zur Last fallen. Das eine Gute hatte aber doch der Aufstand bewirkt, daß die öffentliche Meinung in Deutschland sich mehr und mehr für die ostafrikanischen Besitzungen erwärmte, daß die nationale Gesinnung sich die religiösen und braunen Empfindungen des Volkes zu verbinden verstand, unc> daß auch die Vertretung der Nation sich genötigt sah, die Mittel zu bewilligen, die zur Dämpfung des Aufstandes erforderlich waren. Aber es zeugte immer noch von dem geringen Vertrauen, das sowohl Regierung wie Reichstag in die Sache setzten, daß sie beide die eigne Verantwortung möglichst einzuschränken sich bemühten. Ohne irgend eine nähere Organisation wird lediglich eine Summe bewilligt und einem Reichskommissar gegeben, damit er nach eignem Gutdünken und auf eigne Faust Ruhe und Ordnung wieder herstelle. In unserm Jahr¬ hundert militärischer Disziplin, in dem Musterstaate europäischer Kriegsmacht wird plötzlich nach alter Landsknechtsart die Werbetrommel gerührt, und aus die Fahne eines berühmten Afrikareisenden schwören zahlreiche junge Männer. Die Wahl des Majors von Wißmann zeigte sich bald als eine außerordentlich glückliche; er hat die Aufgabe, die ihm gestellt war, erfüllt und Friede und Ordnung an der Küste des ostafrikanischen Festlandes wieder hergestellt. In¬ zwischen war es gerade während dieser militärischen Operation klar geworden, wie unsicher und zweifelhaft die Rechtsverhältnisse an dieser Küste waren. Unter der nomineller Hoheit eines afrikanischen Sultans befehligte ein deut¬ scher unabhängiger Feldhauptmann, regierten die Beamten einer deutscheu Kvlonialgesellschaft und manövrirten die Schiffe Seiner Majestät des Kaisers im Verein mit englischen Geschwadern. Die Emin-Pascha-Expedition, die im Zusammenhang mit der Kolonialpolitik Gegenstand nationaler Erregung in Deutschland wurde, hatte weitere Sehnsucht erweckt, den deutschen Einfluß in das Innere Afrikas zu erstrecken. Dies hatte die Nebenbuhlerschaft englischer Gesellschaften hervorgerufen, eine Expedition jagte die andre, Ver¬ treter von deutschen und englischen Gesellschaften suchten einander den Rang abzugewinnen in dem Abschluß fragwürdiger Verträge mit ebenso fragwürdigen Häuptlingen, in Blutsbrüderschaften und dergleichen, und das deutsche Volk erregte sich mehr und mehr an den Thaten seiner afrikanischen Helden und verfolgte sie mit demselben Interesse, wie die Jugend den Erzählungen über Christoph Kolumbus und Vasco da Genua lauscht. Mit wahrer Genugthuung berichteten die Zeitungen, wenn es wieder gelungen war, durch einen solchen Vertrag Tausende von Quadratmeilen für Deutschland zu erwerben, lind jeder Pinselstrich, der quer durch Afrika den Abschluß einer solchen Erwerbung be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/252>, abgerufen am 26.06.2024.