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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die gegenwärtige koloilialpolitische Strömung

Kolonialpolitik infolge der schwankenden, bald zurückhaltender, bald vorwärts
treibenden Bewegung der Regierung fortwährend ihr Antlitz wechselte, und daß
dadurch auch in denselben Kreisen, die imstande und bereit gewesen wären,
mit ihren Mitteln einzugreifen, das Vertrauen sehr erschüttert wurde. Der
Kampf mit England um den Besitz in Ostafrika spielte dabei die Hauptrolle.
Zuerst war es nur gelungen, weit entfernt von der Küste, im Innern einzelne
Gebiete für die deutsche Kolonialpolitik zu gewinnen. Die Regierung wünschte
natürlich, daß diese Gebiete nicht brach liegen blieben, sondern wirtschaftlich
verwertet würden; die Folge davon war, daß sich die Ostafrikanische Gesell¬
schaft bemühte, im Innern Plantagen anzulegen und Stationen zu errichten,
deren Zweck lediglich die Erzielung tropischer Produkte war. Von einer
Verwertung konnte aber gar keine Rede sein, da die Berkehrsverbindung mit
der Küste so viel Zeit in Anspruch nahm, daß auf einen lohnenden Absatz der
gewonnenen Erzeugnisse in dem gegenwärtigen Menschenalter nicht hätte ge¬
rechnet werden können. Die geringen Mittel, die die nationale Begeisterung
zusammengebracht hatte, waren bald zu Ende; die Ostafrikanische Gesellschaft
wäre zweifellos finanziell zusammengebrochen, wenn es nicht inzwischen der
Einwirkung der Regierung gelungen wäre, auch angesehene Geschäftsleute für
das Unternehmen zu gewinnen. Dieses erhielt eine ganz andre Gestalt, als es
der deutschen Ausdauer wie dem Drängen der Regierung möglich war, einen
günstigen Pachtvertrag mit dem Sultan von Sansibar abzuschließen, der die
bis dahin schwer entbehrte Küste in einen thatsächlich dauernden deutschen Besitz
brachte. Alles, was bisher im Innern aufgewendet worden war, war fruchtlos
aufgewendet, denn mit dem Erwerb der Küste war es notwendig, das Schwer¬
gewicht auf die Erhebung der Zölle und deu Betrieb von Handel zu legen.
Aber auch hier wurden zunächst ungeheure Summen vergeblich aufgewendet,
denn die afrikanische Sonne hat leider auch die Eigenschaft, daß das
europäische Geld in den Taschen der Afrikareisenden wie Schnee schmilzt; man
machte die Erfahrung, daß mehr als einer der dortigen Beamten zwar ein
außerordentlich tapferer Mann und ein ebenso guter Patriot, aber ein sehr
schlechter Rechner und Finanzmann war. Es zeigte sich bald die Notwendigkeit,
daß an die Stelle der tapfern Männer, die in das Innere vorgedrungen waren,
Verträge und Blutsbrüderschaften abgeschlossen hatten und von einem neuen
ostafrikanischen Reich träumten, der nüchterne deutsche Geschäftsmann trete,
der es nicht bloß verstünde, im nationalen Interesse und mit patriotischer
Begeisterung sehr viel Geld auszugeben, sondern auch den Grund zu legen
zu einer wenn auch erst zukünftigen Nutzbarmachung des Gebietes. Alle
Anstalten waren auch dazu getroffen, als der Aufstand in Ostafrika auf-
band und nicht nur den bereits erworbenen Besitz, sondern mich alle
Hoffnungen gründlich zerstörte. Es soll hier nicht auf die Frage eingegangen
werden, was den Anlaß zu diesem Aufstande bildete. In den Zeitungen,


Die gegenwärtige koloilialpolitische Strömung

Kolonialpolitik infolge der schwankenden, bald zurückhaltender, bald vorwärts
treibenden Bewegung der Regierung fortwährend ihr Antlitz wechselte, und daß
dadurch auch in denselben Kreisen, die imstande und bereit gewesen wären,
mit ihren Mitteln einzugreifen, das Vertrauen sehr erschüttert wurde. Der
Kampf mit England um den Besitz in Ostafrika spielte dabei die Hauptrolle.
Zuerst war es nur gelungen, weit entfernt von der Küste, im Innern einzelne
Gebiete für die deutsche Kolonialpolitik zu gewinnen. Die Regierung wünschte
natürlich, daß diese Gebiete nicht brach liegen blieben, sondern wirtschaftlich
verwertet würden; die Folge davon war, daß sich die Ostafrikanische Gesell¬
schaft bemühte, im Innern Plantagen anzulegen und Stationen zu errichten,
deren Zweck lediglich die Erzielung tropischer Produkte war. Von einer
Verwertung konnte aber gar keine Rede sein, da die Berkehrsverbindung mit
der Küste so viel Zeit in Anspruch nahm, daß auf einen lohnenden Absatz der
gewonnenen Erzeugnisse in dem gegenwärtigen Menschenalter nicht hätte ge¬
rechnet werden können. Die geringen Mittel, die die nationale Begeisterung
zusammengebracht hatte, waren bald zu Ende; die Ostafrikanische Gesellschaft
wäre zweifellos finanziell zusammengebrochen, wenn es nicht inzwischen der
Einwirkung der Regierung gelungen wäre, auch angesehene Geschäftsleute für
das Unternehmen zu gewinnen. Dieses erhielt eine ganz andre Gestalt, als es
der deutschen Ausdauer wie dem Drängen der Regierung möglich war, einen
günstigen Pachtvertrag mit dem Sultan von Sansibar abzuschließen, der die
bis dahin schwer entbehrte Küste in einen thatsächlich dauernden deutschen Besitz
brachte. Alles, was bisher im Innern aufgewendet worden war, war fruchtlos
aufgewendet, denn mit dem Erwerb der Küste war es notwendig, das Schwer¬
gewicht auf die Erhebung der Zölle und deu Betrieb von Handel zu legen.
Aber auch hier wurden zunächst ungeheure Summen vergeblich aufgewendet,
denn die afrikanische Sonne hat leider auch die Eigenschaft, daß das
europäische Geld in den Taschen der Afrikareisenden wie Schnee schmilzt; man
machte die Erfahrung, daß mehr als einer der dortigen Beamten zwar ein
außerordentlich tapferer Mann und ein ebenso guter Patriot, aber ein sehr
schlechter Rechner und Finanzmann war. Es zeigte sich bald die Notwendigkeit,
daß an die Stelle der tapfern Männer, die in das Innere vorgedrungen waren,
Verträge und Blutsbrüderschaften abgeschlossen hatten und von einem neuen
ostafrikanischen Reich träumten, der nüchterne deutsche Geschäftsmann trete,
der es nicht bloß verstünde, im nationalen Interesse und mit patriotischer
Begeisterung sehr viel Geld auszugeben, sondern auch den Grund zu legen
zu einer wenn auch erst zukünftigen Nutzbarmachung des Gebietes. Alle
Anstalten waren auch dazu getroffen, als der Aufstand in Ostafrika auf-
band und nicht nur den bereits erworbenen Besitz, sondern mich alle
Hoffnungen gründlich zerstörte. Es soll hier nicht auf die Frage eingegangen
werden, was den Anlaß zu diesem Aufstande bildete. In den Zeitungen,


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[0251] Die gegenwärtige koloilialpolitische Strömung Kolonialpolitik infolge der schwankenden, bald zurückhaltender, bald vorwärts treibenden Bewegung der Regierung fortwährend ihr Antlitz wechselte, und daß dadurch auch in denselben Kreisen, die imstande und bereit gewesen wären, mit ihren Mitteln einzugreifen, das Vertrauen sehr erschüttert wurde. Der Kampf mit England um den Besitz in Ostafrika spielte dabei die Hauptrolle. Zuerst war es nur gelungen, weit entfernt von der Küste, im Innern einzelne Gebiete für die deutsche Kolonialpolitik zu gewinnen. Die Regierung wünschte natürlich, daß diese Gebiete nicht brach liegen blieben, sondern wirtschaftlich verwertet würden; die Folge davon war, daß sich die Ostafrikanische Gesell¬ schaft bemühte, im Innern Plantagen anzulegen und Stationen zu errichten, deren Zweck lediglich die Erzielung tropischer Produkte war. Von einer Verwertung konnte aber gar keine Rede sein, da die Berkehrsverbindung mit der Küste so viel Zeit in Anspruch nahm, daß auf einen lohnenden Absatz der gewonnenen Erzeugnisse in dem gegenwärtigen Menschenalter nicht hätte ge¬ rechnet werden können. Die geringen Mittel, die die nationale Begeisterung zusammengebracht hatte, waren bald zu Ende; die Ostafrikanische Gesellschaft wäre zweifellos finanziell zusammengebrochen, wenn es nicht inzwischen der Einwirkung der Regierung gelungen wäre, auch angesehene Geschäftsleute für das Unternehmen zu gewinnen. Dieses erhielt eine ganz andre Gestalt, als es der deutschen Ausdauer wie dem Drängen der Regierung möglich war, einen günstigen Pachtvertrag mit dem Sultan von Sansibar abzuschließen, der die bis dahin schwer entbehrte Küste in einen thatsächlich dauernden deutschen Besitz brachte. Alles, was bisher im Innern aufgewendet worden war, war fruchtlos aufgewendet, denn mit dem Erwerb der Küste war es notwendig, das Schwer¬ gewicht auf die Erhebung der Zölle und deu Betrieb von Handel zu legen. Aber auch hier wurden zunächst ungeheure Summen vergeblich aufgewendet, denn die afrikanische Sonne hat leider auch die Eigenschaft, daß das europäische Geld in den Taschen der Afrikareisenden wie Schnee schmilzt; man machte die Erfahrung, daß mehr als einer der dortigen Beamten zwar ein außerordentlich tapferer Mann und ein ebenso guter Patriot, aber ein sehr schlechter Rechner und Finanzmann war. Es zeigte sich bald die Notwendigkeit, daß an die Stelle der tapfern Männer, die in das Innere vorgedrungen waren, Verträge und Blutsbrüderschaften abgeschlossen hatten und von einem neuen ostafrikanischen Reich träumten, der nüchterne deutsche Geschäftsmann trete, der es nicht bloß verstünde, im nationalen Interesse und mit patriotischer Begeisterung sehr viel Geld auszugeben, sondern auch den Grund zu legen zu einer wenn auch erst zukünftigen Nutzbarmachung des Gebietes. Alle Anstalten waren auch dazu getroffen, als der Aufstand in Ostafrika auf- band und nicht nur den bereits erworbenen Besitz, sondern mich alle Hoffnungen gründlich zerstörte. Es soll hier nicht auf die Frage eingegangen werden, was den Anlaß zu diesem Aufstande bildete. In den Zeitungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/251>, abgerufen am 26.06.2024.