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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Aluimieilmserinnerungei!

zweiunddreißig gezahlt ivurde, so kamen auf den Einzelnen -- natürlich wurde
abgestuft -- doch immer dreißig bis fünfzig Pfennige. Aber wie verfehlte
dieses Eßgeld seinen Zweck! Von Küchenferien war keine Rede, aber statt
einer Köchin gab es nun ein Dutzend Köche. Was konnte man mit vierzig
Pfennigen nicht alles anfangen! Da lief jeder und kaufte elln gehacktes
Rindfleisch, Butter, Kartoffeln, eine Gurke, und jeder war für diesen Tag sein
eigner Koch. Auf dein Küchenherd und auf Spirituslampen wurde gekocht
und gebräkelt, daß es eine Lust war, sogar über dem Zylinder einer Öllampe
wurde versucht, auf einem dünnen Blechteller ein Beefsteak zu braten! Und
wie köstlich schmeckte alles an diesem Tage!

An einem andern Ferieutage gab es statt des gewöhnlichen Mittag¬
essens -- Käsekeulchen. Die Bambeln war als Käsekeulcheubäckerin berühmt
in der ganzen Umgebung des Schulhauses. Sie but dann nicht bloß für uns,
sondern gab ihre Kunsterzeugnisse gegen ein Billiges auch über die Straße an
die Nachbarn ab, und auch wir begnügten uus uicht mit der uns zustehenden
Anzahl, sondern kauften uns immer noch etliche dazu, schickten wohl auch den
Eltern eine Probe. Etwas so Köstliches habe ich aber auch in meinem Leben
nicht wieder gegessen. Es ist nicht die alles verschönernde Zeitferne, die mir
dieses Gebäck mit einem solchen Nimbus umgiebt, es war wirklich etwas Be¬
sondres. Aus dem Teige wurden mit einem Trinkglase kleine, runde Keulchen
abgestochen -- wir standen natürlich dabei und sahen zu, es war ja höchst
lehrreich --, die wurden dann in einen großen Topf mit kochenden: Fett ge¬
worfen, und während sie darin schwammen, quollen sie zu großen, lockern
Bällen auf, die unbeschreiblich schön schmeckten. Das Rezept zu dem Teige
war das Geheimnis der Bambeln. Ich habe mich vergeblich bemüht, es ihr
für meine Mutter zu entlocken, sie war nicht dazu zu bewegen, es her¬
zugeben.

Einigemal im Jahre gab es gegen Abend eine besondre "Speisung,"
worauf dann die Arbeitsstunde ausfiel. Auch diese Speisungen waren offenbar
Stiftungen. Verköstigt wurden wir dabei stets mit Schweinebraten, und zwar
kam auf jeden Tisch eine ganze Schweinskeule, deren Schwärtchen die Bambeln
in lauter kleine Quadrate zerschnitten hatte, die sich braun und knusprig von
dem weißen Fettgrunde abhoben. An Aufessen war nicht zu denken; an diesen
Abenden wanderten alle Teller in die Schränke, mancher labte sich noch nach
zwei Tagen daran. Eine dieser Speisungen war besonders merkwürdig, wir
nannten sie die "Mitten-wir-im-Leben-sind-Speisung." Der fromme Stifter
hatte die seltsame Bestimmung getroffen, daß vor dem Essen jedesmal das
Gesaugbuchslied: "Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen" ge¬
sungen werden sollte, und daran wurde auch getreulich festgehalten. Nun
hatte das Lied zwar nur drei Strophen, aber die waren sehr lang, und dazu
kam, daß uns die Melodie ganz fremd war, denn das Lied wurde beim Gottes-


Aluimieilmserinnerungei!

zweiunddreißig gezahlt ivurde, so kamen auf den Einzelnen — natürlich wurde
abgestuft — doch immer dreißig bis fünfzig Pfennige. Aber wie verfehlte
dieses Eßgeld seinen Zweck! Von Küchenferien war keine Rede, aber statt
einer Köchin gab es nun ein Dutzend Köche. Was konnte man mit vierzig
Pfennigen nicht alles anfangen! Da lief jeder und kaufte elln gehacktes
Rindfleisch, Butter, Kartoffeln, eine Gurke, und jeder war für diesen Tag sein
eigner Koch. Auf dein Küchenherd und auf Spirituslampen wurde gekocht
und gebräkelt, daß es eine Lust war, sogar über dem Zylinder einer Öllampe
wurde versucht, auf einem dünnen Blechteller ein Beefsteak zu braten! Und
wie köstlich schmeckte alles an diesem Tage!

An einem andern Ferieutage gab es statt des gewöhnlichen Mittag¬
essens — Käsekeulchen. Die Bambeln war als Käsekeulcheubäckerin berühmt
in der ganzen Umgebung des Schulhauses. Sie but dann nicht bloß für uns,
sondern gab ihre Kunsterzeugnisse gegen ein Billiges auch über die Straße an
die Nachbarn ab, und auch wir begnügten uus uicht mit der uns zustehenden
Anzahl, sondern kauften uns immer noch etliche dazu, schickten wohl auch den
Eltern eine Probe. Etwas so Köstliches habe ich aber auch in meinem Leben
nicht wieder gegessen. Es ist nicht die alles verschönernde Zeitferne, die mir
dieses Gebäck mit einem solchen Nimbus umgiebt, es war wirklich etwas Be¬
sondres. Aus dem Teige wurden mit einem Trinkglase kleine, runde Keulchen
abgestochen — wir standen natürlich dabei und sahen zu, es war ja höchst
lehrreich —, die wurden dann in einen großen Topf mit kochenden: Fett ge¬
worfen, und während sie darin schwammen, quollen sie zu großen, lockern
Bällen auf, die unbeschreiblich schön schmeckten. Das Rezept zu dem Teige
war das Geheimnis der Bambeln. Ich habe mich vergeblich bemüht, es ihr
für meine Mutter zu entlocken, sie war nicht dazu zu bewegen, es her¬
zugeben.

Einigemal im Jahre gab es gegen Abend eine besondre „Speisung,"
worauf dann die Arbeitsstunde ausfiel. Auch diese Speisungen waren offenbar
Stiftungen. Verköstigt wurden wir dabei stets mit Schweinebraten, und zwar
kam auf jeden Tisch eine ganze Schweinskeule, deren Schwärtchen die Bambeln
in lauter kleine Quadrate zerschnitten hatte, die sich braun und knusprig von
dem weißen Fettgrunde abhoben. An Aufessen war nicht zu denken; an diesen
Abenden wanderten alle Teller in die Schränke, mancher labte sich noch nach
zwei Tagen daran. Eine dieser Speisungen war besonders merkwürdig, wir
nannten sie die „Mitten-wir-im-Leben-sind-Speisung." Der fromme Stifter
hatte die seltsame Bestimmung getroffen, daß vor dem Essen jedesmal das
Gesaugbuchslied: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen" ge¬
sungen werden sollte, und daran wurde auch getreulich festgehalten. Nun
hatte das Lied zwar nur drei Strophen, aber die waren sehr lang, und dazu
kam, daß uns die Melodie ganz fremd war, denn das Lied wurde beim Gottes-


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[0239] Aluimieilmserinnerungei! zweiunddreißig gezahlt ivurde, so kamen auf den Einzelnen — natürlich wurde abgestuft — doch immer dreißig bis fünfzig Pfennige. Aber wie verfehlte dieses Eßgeld seinen Zweck! Von Küchenferien war keine Rede, aber statt einer Köchin gab es nun ein Dutzend Köche. Was konnte man mit vierzig Pfennigen nicht alles anfangen! Da lief jeder und kaufte elln gehacktes Rindfleisch, Butter, Kartoffeln, eine Gurke, und jeder war für diesen Tag sein eigner Koch. Auf dein Küchenherd und auf Spirituslampen wurde gekocht und gebräkelt, daß es eine Lust war, sogar über dem Zylinder einer Öllampe wurde versucht, auf einem dünnen Blechteller ein Beefsteak zu braten! Und wie köstlich schmeckte alles an diesem Tage! An einem andern Ferieutage gab es statt des gewöhnlichen Mittag¬ essens — Käsekeulchen. Die Bambeln war als Käsekeulcheubäckerin berühmt in der ganzen Umgebung des Schulhauses. Sie but dann nicht bloß für uns, sondern gab ihre Kunsterzeugnisse gegen ein Billiges auch über die Straße an die Nachbarn ab, und auch wir begnügten uus uicht mit der uns zustehenden Anzahl, sondern kauften uns immer noch etliche dazu, schickten wohl auch den Eltern eine Probe. Etwas so Köstliches habe ich aber auch in meinem Leben nicht wieder gegessen. Es ist nicht die alles verschönernde Zeitferne, die mir dieses Gebäck mit einem solchen Nimbus umgiebt, es war wirklich etwas Be¬ sondres. Aus dem Teige wurden mit einem Trinkglase kleine, runde Keulchen abgestochen — wir standen natürlich dabei und sahen zu, es war ja höchst lehrreich —, die wurden dann in einen großen Topf mit kochenden: Fett ge¬ worfen, und während sie darin schwammen, quollen sie zu großen, lockern Bällen auf, die unbeschreiblich schön schmeckten. Das Rezept zu dem Teige war das Geheimnis der Bambeln. Ich habe mich vergeblich bemüht, es ihr für meine Mutter zu entlocken, sie war nicht dazu zu bewegen, es her¬ zugeben. Einigemal im Jahre gab es gegen Abend eine besondre „Speisung," worauf dann die Arbeitsstunde ausfiel. Auch diese Speisungen waren offenbar Stiftungen. Verköstigt wurden wir dabei stets mit Schweinebraten, und zwar kam auf jeden Tisch eine ganze Schweinskeule, deren Schwärtchen die Bambeln in lauter kleine Quadrate zerschnitten hatte, die sich braun und knusprig von dem weißen Fettgrunde abhoben. An Aufessen war nicht zu denken; an diesen Abenden wanderten alle Teller in die Schränke, mancher labte sich noch nach zwei Tagen daran. Eine dieser Speisungen war besonders merkwürdig, wir nannten sie die „Mitten-wir-im-Leben-sind-Speisung." Der fromme Stifter hatte die seltsame Bestimmung getroffen, daß vor dem Essen jedesmal das Gesaugbuchslied: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen" ge¬ sungen werden sollte, und daran wurde auch getreulich festgehalten. Nun hatte das Lied zwar nur drei Strophen, aber die waren sehr lang, und dazu kam, daß uns die Melodie ganz fremd war, denn das Lied wurde beim Gottes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/239>, abgerufen am 25.07.2024.