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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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mittags aus dein königlichen Kufenhause eine Lase Rotwein -- Meißner Ge¬
wächs -- geschickt, wohl auch infolge einer alten Stiftung. Aber die glück¬
lichen Empfänger waren nur -- die beiden Präfekten. Die hielten für diesen
Tag eine Anzahl leerer Weinflaschen bereit, die sie sich irgendwo zusammen¬
geschnurrt hatten, und füllten die Lase schleunigst auf die Flaschen. Waren
es noble Kerls, so bekamen natürlich die guten Freunde ein Glas davon; aber
es gab auch schäbige Kerle, die am liebsten alles allein gesoffen hätten. Die
zweite Weinspende, von etwas Kuchen begleitet, traf gewöhnlich einige Tage
nach dein Palmsonutagskonzert ein ^ eine Belohnung, die, wie mir heute
scheinen will, nicht entfernt dem entsprach, was wir geleistet hatten; damals
waren wir aber sehr vergnügt darüber.

Willkommene Abwechslung brachten, wie in das Einerlei der Schule,
so auch in das der täglichen Verköstigung die Ferien. Von allen Schulferien
hatten wir Chvrschüler immer nur die Hälfte, da der Chordienst natürlich
ununterbrochen fortging und versorgt werden mußte. Wer zu Ostern in die
Ferien ging, mußte zu Pfingsten dableiben, wer zu Michaeli gewesen war,
konnte nicht zu Weihnachten gehen, und die vierwöchentlichen Sommerferien
wurden halbirt. Wir empfanden das aber durchaus nicht als Opfer oder Be¬
schränkung, im Gegenteil, es war nie so hübsch aus dem Alumueum wie in
den Ferien, und die Motette, die jedesmal nach der letzten Schulstunde vor
den großen Ferien oben in der ersten Kammer angestimmt wurde, nachdem
alle Fenster aufgerissen waren (wir konnten sie alle auswendig, es war: "Lobet
den Herrn, ihr Heiden"), wurde von allen mit demselben Jubel gesungen,
gleichviel, ob sie jetzt oder erst zwei Wochen später ausfliegen konnten. So
oft wir diese Ferienmotette sangen, habe ich stets die Extraner bedauert, die
ferrum aus der Schule liefen, stumm, denn Reden und Schreien ist nicht
Singen; unsre Motette, das war die einzig wahre Fcriensprnche, wir mußten
sie singen, wir konnten gnr nicht anders! Gott, wenn man sich noch einmal
so freuen könnte!

In den Ferien fiel früh und abends die Arbeitsstunde weg und wurde
auf den Vormittag verlegt. Da konnte mau richtig ausschlafen, man konnte
sich seinem Herbarium, seiner Steiuscunmluug, seiner Siegelsammlung widmen.
Einer hatte einmal sein Herbarium tagelang im Arbeitssaale ausgebreitet,
sodaß ein andrer endlich, den Dresdner Stadtrat parodirend, an einem
Stückchen eine Papptafel an den Tisch hing mit der Aufschrift: "Diese Anlagen
werden dem Schutze des Publikums empfohlen." Vor allem aber gab es in den
Ferien auch beim Essen einmal eine Abweichung von der täglichen Gewohnheit.
Da war zunächst in jeder Ferienhälfte ein Tag, wo es gar kein Mittagessen,
sondern statt dessen "Eßgeld" gab. Die Küche sollte doch auch einmal wissen,
daß Ferien wärein Da nur die Hälfte, bisweilen nur die kleinere Hälfte,
vierzehn, sogar bloß dreizehn im Hause waren, aber die volle Summe für alle


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mittags aus dein königlichen Kufenhause eine Lase Rotwein — Meißner Ge¬
wächs — geschickt, wohl auch infolge einer alten Stiftung. Aber die glück¬
lichen Empfänger waren nur — die beiden Präfekten. Die hielten für diesen
Tag eine Anzahl leerer Weinflaschen bereit, die sie sich irgendwo zusammen¬
geschnurrt hatten, und füllten die Lase schleunigst auf die Flaschen. Waren
es noble Kerls, so bekamen natürlich die guten Freunde ein Glas davon; aber
es gab auch schäbige Kerle, die am liebsten alles allein gesoffen hätten. Die
zweite Weinspende, von etwas Kuchen begleitet, traf gewöhnlich einige Tage
nach dein Palmsonutagskonzert ein ^ eine Belohnung, die, wie mir heute
scheinen will, nicht entfernt dem entsprach, was wir geleistet hatten; damals
waren wir aber sehr vergnügt darüber.

Willkommene Abwechslung brachten, wie in das Einerlei der Schule,
so auch in das der täglichen Verköstigung die Ferien. Von allen Schulferien
hatten wir Chvrschüler immer nur die Hälfte, da der Chordienst natürlich
ununterbrochen fortging und versorgt werden mußte. Wer zu Ostern in die
Ferien ging, mußte zu Pfingsten dableiben, wer zu Michaeli gewesen war,
konnte nicht zu Weihnachten gehen, und die vierwöchentlichen Sommerferien
wurden halbirt. Wir empfanden das aber durchaus nicht als Opfer oder Be¬
schränkung, im Gegenteil, es war nie so hübsch aus dem Alumueum wie in
den Ferien, und die Motette, die jedesmal nach der letzten Schulstunde vor
den großen Ferien oben in der ersten Kammer angestimmt wurde, nachdem
alle Fenster aufgerissen waren (wir konnten sie alle auswendig, es war: „Lobet
den Herrn, ihr Heiden"), wurde von allen mit demselben Jubel gesungen,
gleichviel, ob sie jetzt oder erst zwei Wochen später ausfliegen konnten. So
oft wir diese Ferienmotette sangen, habe ich stets die Extraner bedauert, die
ferrum aus der Schule liefen, stumm, denn Reden und Schreien ist nicht
Singen; unsre Motette, das war die einzig wahre Fcriensprnche, wir mußten
sie singen, wir konnten gnr nicht anders! Gott, wenn man sich noch einmal
so freuen könnte!

In den Ferien fiel früh und abends die Arbeitsstunde weg und wurde
auf den Vormittag verlegt. Da konnte mau richtig ausschlafen, man konnte
sich seinem Herbarium, seiner Steiuscunmluug, seiner Siegelsammlung widmen.
Einer hatte einmal sein Herbarium tagelang im Arbeitssaale ausgebreitet,
sodaß ein andrer endlich, den Dresdner Stadtrat parodirend, an einem
Stückchen eine Papptafel an den Tisch hing mit der Aufschrift: „Diese Anlagen
werden dem Schutze des Publikums empfohlen." Vor allem aber gab es in den
Ferien auch beim Essen einmal eine Abweichung von der täglichen Gewohnheit.
Da war zunächst in jeder Ferienhälfte ein Tag, wo es gar kein Mittagessen,
sondern statt dessen „Eßgeld" gab. Die Küche sollte doch auch einmal wissen,
daß Ferien wärein Da nur die Hälfte, bisweilen nur die kleinere Hälfte,
vierzehn, sogar bloß dreizehn im Hause waren, aber die volle Summe für alle


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[0238] Almnneilmserinttenmgen mittags aus dein königlichen Kufenhause eine Lase Rotwein — Meißner Ge¬ wächs — geschickt, wohl auch infolge einer alten Stiftung. Aber die glück¬ lichen Empfänger waren nur — die beiden Präfekten. Die hielten für diesen Tag eine Anzahl leerer Weinflaschen bereit, die sie sich irgendwo zusammen¬ geschnurrt hatten, und füllten die Lase schleunigst auf die Flaschen. Waren es noble Kerls, so bekamen natürlich die guten Freunde ein Glas davon; aber es gab auch schäbige Kerle, die am liebsten alles allein gesoffen hätten. Die zweite Weinspende, von etwas Kuchen begleitet, traf gewöhnlich einige Tage nach dein Palmsonutagskonzert ein ^ eine Belohnung, die, wie mir heute scheinen will, nicht entfernt dem entsprach, was wir geleistet hatten; damals waren wir aber sehr vergnügt darüber. Willkommene Abwechslung brachten, wie in das Einerlei der Schule, so auch in das der täglichen Verköstigung die Ferien. Von allen Schulferien hatten wir Chvrschüler immer nur die Hälfte, da der Chordienst natürlich ununterbrochen fortging und versorgt werden mußte. Wer zu Ostern in die Ferien ging, mußte zu Pfingsten dableiben, wer zu Michaeli gewesen war, konnte nicht zu Weihnachten gehen, und die vierwöchentlichen Sommerferien wurden halbirt. Wir empfanden das aber durchaus nicht als Opfer oder Be¬ schränkung, im Gegenteil, es war nie so hübsch aus dem Alumueum wie in den Ferien, und die Motette, die jedesmal nach der letzten Schulstunde vor den großen Ferien oben in der ersten Kammer angestimmt wurde, nachdem alle Fenster aufgerissen waren (wir konnten sie alle auswendig, es war: „Lobet den Herrn, ihr Heiden"), wurde von allen mit demselben Jubel gesungen, gleichviel, ob sie jetzt oder erst zwei Wochen später ausfliegen konnten. So oft wir diese Ferienmotette sangen, habe ich stets die Extraner bedauert, die ferrum aus der Schule liefen, stumm, denn Reden und Schreien ist nicht Singen; unsre Motette, das war die einzig wahre Fcriensprnche, wir mußten sie singen, wir konnten gnr nicht anders! Gott, wenn man sich noch einmal so freuen könnte! In den Ferien fiel früh und abends die Arbeitsstunde weg und wurde auf den Vormittag verlegt. Da konnte mau richtig ausschlafen, man konnte sich seinem Herbarium, seiner Steiuscunmluug, seiner Siegelsammlung widmen. Einer hatte einmal sein Herbarium tagelang im Arbeitssaale ausgebreitet, sodaß ein andrer endlich, den Dresdner Stadtrat parodirend, an einem Stückchen eine Papptafel an den Tisch hing mit der Aufschrift: „Diese Anlagen werden dem Schutze des Publikums empfohlen." Vor allem aber gab es in den Ferien auch beim Essen einmal eine Abweichung von der täglichen Gewohnheit. Da war zunächst in jeder Ferienhälfte ein Tag, wo es gar kein Mittagessen, sondern statt dessen „Eßgeld" gab. Die Küche sollte doch auch einmal wissen, daß Ferien wärein Da nur die Hälfte, bisweilen nur die kleinere Hälfte, vierzehn, sogar bloß dreizehn im Hause waren, aber die volle Summe für alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/238>, abgerufen am 25.07.2024.