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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Almnnemnsennnerungen

dienst nie gesungen. Wir mußten also stets die Choralbüchcr zu Hilfe nehmen.
Da standen wir denn alle zweiunddreißig und würgten uns mit Todesverachtung
dnrch die drei langen Strophen hindurch, während die Augen zwischen Gesaug-
und Choralbuch und dem. schon auf dem Tische stehenden duftenden Schweine¬
braten hin- und hergingen! Um dieses einen Bildes willen -- daß man das
zu seinen Erinnerungen zählen kann, lohnt sichs, Alumnus der Kreuzschule
gewesen zu sein!

Zu Martini war "Gänsespeisung." Da erschien auf jedem Tische eine
gebratene Gans. Wie bei dieser Gelegenheit die Gleichmacher ihres Amtes
gewaltet haben, ist mir nicht mehr in der Erinnerung; vermutlich nicht ganz
kunstgerecht, aber geschmeckt hats uus auch.

Dreimal endlich im Jahre gab es früh statt des üblichen Dreierbrötchens
ein etwas üppigeres Backwerk, nämlich am ersten Feiertage der drei hohen
Feste. Wenn wir da vom Turmsingen herunter kamen, standen im großen
Auditorium auf den Arbeitstischen drei große Kuchenbretter mit frischem, eben
erst aus dem Ofen gekommenen Rosinenkuchen von Zollesdicke. Die Gleich¬
macher hatten sich für diesen Tag mit einem Bindfaden versehen, womit die
Kuchen erst sorgfältig der Länge und der Breite nach gemessen wurden; dann
wurde der Bindfaden in gleiche Teile zusammengefaltet, darnach die Knchenteile
abgepaßt, und nun erst trat das Messer in Thätigkeit. Zu Weihnachten lagen
statt der Kuchen zweiunddreißig allerliebste Miniatnrstollen auf den Brettern --
für Exemplare in Folio zu sorge" blieb dem Elternhause überlassen. Da
begann dann freilich dasselbe Aussuchen wie bei den Dreierbrötchen, der erste
Prüfekt hatte die Wahl ans zweiunddreißig! Glücklicherweise blieben hier
wenigstens die Hände ans dem Spiel; selbst die Hundemama, die doch sonst
alles gern betastete und beschnoberte, mußte sich hier mit dem durchdringenden
Scharfblick ihrer Brillenaugen begnügen.




Warum ich alle diese Kleinigkeiten so ausführlich erzählt habe? Nun
erstens, weil ich dachte, daß ich den alten Alumnen, nicht bloß der Kreuzschule
in Dresden, sondern auch andrer Schulen, die Alnmneen haben, und auf denen
vor dreißig, vierzig Jahren gewiß noch ähnliche Zustände bestanden haben,
eine kleine Freude damit machen würde. Sie sollen sagen: Ja, so wars,
genau so wars! Und sie werden so sagen, denn wahrheitsgetreu bis ins
Kleinste hinein zu schildern bin ich redlich bemüht gewesen; das wird anch der,
dem die Dinge fremd sind, herausfühlen. Aber ich habe nur Alumneums-
erinnerungen erzählen wollen, keine "Schulgeschichten," obwohl ich von denen
doppelt so viel hätte erzählen können. Gegen Schulgeschichten bin ich etwas
mißtrauisch, und ich würde es, glaube ich, selbst gegen meine eignen sein, denn
das Dichterwort: "Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein ver-


Almnnemnsennnerungen

dienst nie gesungen. Wir mußten also stets die Choralbüchcr zu Hilfe nehmen.
Da standen wir denn alle zweiunddreißig und würgten uns mit Todesverachtung
dnrch die drei langen Strophen hindurch, während die Augen zwischen Gesaug-
und Choralbuch und dem. schon auf dem Tische stehenden duftenden Schweine¬
braten hin- und hergingen! Um dieses einen Bildes willen — daß man das
zu seinen Erinnerungen zählen kann, lohnt sichs, Alumnus der Kreuzschule
gewesen zu sein!

Zu Martini war „Gänsespeisung." Da erschien auf jedem Tische eine
gebratene Gans. Wie bei dieser Gelegenheit die Gleichmacher ihres Amtes
gewaltet haben, ist mir nicht mehr in der Erinnerung; vermutlich nicht ganz
kunstgerecht, aber geschmeckt hats uus auch.

Dreimal endlich im Jahre gab es früh statt des üblichen Dreierbrötchens
ein etwas üppigeres Backwerk, nämlich am ersten Feiertage der drei hohen
Feste. Wenn wir da vom Turmsingen herunter kamen, standen im großen
Auditorium auf den Arbeitstischen drei große Kuchenbretter mit frischem, eben
erst aus dem Ofen gekommenen Rosinenkuchen von Zollesdicke. Die Gleich¬
macher hatten sich für diesen Tag mit einem Bindfaden versehen, womit die
Kuchen erst sorgfältig der Länge und der Breite nach gemessen wurden; dann
wurde der Bindfaden in gleiche Teile zusammengefaltet, darnach die Knchenteile
abgepaßt, und nun erst trat das Messer in Thätigkeit. Zu Weihnachten lagen
statt der Kuchen zweiunddreißig allerliebste Miniatnrstollen auf den Brettern —
für Exemplare in Folio zu sorge» blieb dem Elternhause überlassen. Da
begann dann freilich dasselbe Aussuchen wie bei den Dreierbrötchen, der erste
Prüfekt hatte die Wahl ans zweiunddreißig! Glücklicherweise blieben hier
wenigstens die Hände ans dem Spiel; selbst die Hundemama, die doch sonst
alles gern betastete und beschnoberte, mußte sich hier mit dem durchdringenden
Scharfblick ihrer Brillenaugen begnügen.




Warum ich alle diese Kleinigkeiten so ausführlich erzählt habe? Nun
erstens, weil ich dachte, daß ich den alten Alumnen, nicht bloß der Kreuzschule
in Dresden, sondern auch andrer Schulen, die Alnmneen haben, und auf denen
vor dreißig, vierzig Jahren gewiß noch ähnliche Zustände bestanden haben,
eine kleine Freude damit machen würde. Sie sollen sagen: Ja, so wars,
genau so wars! Und sie werden so sagen, denn wahrheitsgetreu bis ins
Kleinste hinein zu schildern bin ich redlich bemüht gewesen; das wird anch der,
dem die Dinge fremd sind, herausfühlen. Aber ich habe nur Alumneums-
erinnerungen erzählen wollen, keine „Schulgeschichten," obwohl ich von denen
doppelt so viel hätte erzählen können. Gegen Schulgeschichten bin ich etwas
mißtrauisch, und ich würde es, glaube ich, selbst gegen meine eignen sein, denn
das Dichterwort: „Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein ver-


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[0240] Almnnemnsennnerungen dienst nie gesungen. Wir mußten also stets die Choralbüchcr zu Hilfe nehmen. Da standen wir denn alle zweiunddreißig und würgten uns mit Todesverachtung dnrch die drei langen Strophen hindurch, während die Augen zwischen Gesaug- und Choralbuch und dem. schon auf dem Tische stehenden duftenden Schweine¬ braten hin- und hergingen! Um dieses einen Bildes willen — daß man das zu seinen Erinnerungen zählen kann, lohnt sichs, Alumnus der Kreuzschule gewesen zu sein! Zu Martini war „Gänsespeisung." Da erschien auf jedem Tische eine gebratene Gans. Wie bei dieser Gelegenheit die Gleichmacher ihres Amtes gewaltet haben, ist mir nicht mehr in der Erinnerung; vermutlich nicht ganz kunstgerecht, aber geschmeckt hats uus auch. Dreimal endlich im Jahre gab es früh statt des üblichen Dreierbrötchens ein etwas üppigeres Backwerk, nämlich am ersten Feiertage der drei hohen Feste. Wenn wir da vom Turmsingen herunter kamen, standen im großen Auditorium auf den Arbeitstischen drei große Kuchenbretter mit frischem, eben erst aus dem Ofen gekommenen Rosinenkuchen von Zollesdicke. Die Gleich¬ macher hatten sich für diesen Tag mit einem Bindfaden versehen, womit die Kuchen erst sorgfältig der Länge und der Breite nach gemessen wurden; dann wurde der Bindfaden in gleiche Teile zusammengefaltet, darnach die Knchenteile abgepaßt, und nun erst trat das Messer in Thätigkeit. Zu Weihnachten lagen statt der Kuchen zweiunddreißig allerliebste Miniatnrstollen auf den Brettern — für Exemplare in Folio zu sorge» blieb dem Elternhause überlassen. Da begann dann freilich dasselbe Aussuchen wie bei den Dreierbrötchen, der erste Prüfekt hatte die Wahl ans zweiunddreißig! Glücklicherweise blieben hier wenigstens die Hände ans dem Spiel; selbst die Hundemama, die doch sonst alles gern betastete und beschnoberte, mußte sich hier mit dem durchdringenden Scharfblick ihrer Brillenaugen begnügen. Warum ich alle diese Kleinigkeiten so ausführlich erzählt habe? Nun erstens, weil ich dachte, daß ich den alten Alumnen, nicht bloß der Kreuzschule in Dresden, sondern auch andrer Schulen, die Alnmneen haben, und auf denen vor dreißig, vierzig Jahren gewiß noch ähnliche Zustände bestanden haben, eine kleine Freude damit machen würde. Sie sollen sagen: Ja, so wars, genau so wars! Und sie werden so sagen, denn wahrheitsgetreu bis ins Kleinste hinein zu schildern bin ich redlich bemüht gewesen; das wird anch der, dem die Dinge fremd sind, herausfühlen. Aber ich habe nur Alumneums- erinnerungen erzählen wollen, keine „Schulgeschichten," obwohl ich von denen doppelt so viel hätte erzählen können. Gegen Schulgeschichten bin ich etwas mißtrauisch, und ich würde es, glaube ich, selbst gegen meine eignen sein, denn das Dichterwort: „Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/240>, abgerufen am 25.07.2024.