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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Almmieumserinnerungen

Zentrum befindliche Butter durch kleine Gruben und Kanäle möglichst nach
seinem Drittel zu leiten. Sehr beglückt waren wir gerade nicht von diesen
Freitngsschttsseln. Wer von den Obern bei Kasse war, ging Freitags lieber
auf den Markt zu "Felßncr" und gönnte sich ein Beefsteak.

Zu den Strafen, mit denen ein Anderer von einem Obern belegt werden
konnte, gehörte auch das "Karireu" (<nrsr0). Man bekam dann nichts zu
Mittag und mußte während des Essens an der Thür des Eßsaales stehen und
zusehen. Es kam ja nicht gerade allzuhäufig vor, und namentlich einen, der
mit an seinem eignen Tische saß, wagte wohl nicht leicht ein Oberer zum
Kariren zu verurteilen, es hätte ja so ausgesehen, als ob er sich selbst damit eine
größere Part machen wollte; aber es kam doch häufig genug vor, um mir als
eine besondre Grausamkeit im Gedächtnis bleiben zu können; namentlich auch
der Kollaborator bestrafte gern mit Knriren, Was würde manche Mutter ge¬
sagt haben, wenn sie daheim an ihrem Mittagstische gewußt hätte, daß ihr
armer Junge jetzt an der Thüre stehen und hungern mußte!

Nach dem Mittagessen gab es für den Rest des Tages nichts weiter
als -- trocknes Vrot. Einen Tag um den andern schleppte die Maari vor
dem Mittagessen einen Tragkorb mit zweiunddreißig neubackenen Zweipfund¬
broten herbei, von denen immer je zwei zusammengebacken waren, sodaß sie
über der Tischkante ans einander gebrochen werden mußten. Das war unsre
ganze weitere Nahrung! Unterschiede wurden dabei weiter nicht gemacht, der
achtzehnjährige wie der neunjährige bekam jeder täglich sein Pfund Brot.
Das Brot war sehr gut, aber es war doch eben nur Brot. Wer Butter oder
Fleisch dazu haben wollte, mußte sichs kaufen, wenn ihm nicht, was allerdings
vielfach geschah, aus dem Elternhause von Zeit zu Zeit ein Butter- oder Wnrst-
kistchen geschickt wurde. An heißen Sommernachmittagen war es beliebt, sich
zum Vesper eine "Mährde" zu machen. Es war das eine Wasferkaltschale:
man krümelte sich eine Schüssel voll Brotkrume und rührte sie mit Wasser
ein, indem man für drei oder vier Pfennige Syrup zugoß. Wer sich bis zur
"Biermährde" versteigen wollte, bekam in einer Brauerei gleich hinter der
Kreuzkirche für wenige Pfennige ein Nösel Braunbier. Denn zu trinken gab
es offiziell das ganze Jahr über nichts als Wasser -- Kreuzbrunnen. In den
ganzen acht Jahren meiner Alnmnenzeit ist nicht ein einzigesmal ein Schluck
Bier auf unsern Eßtisch gekommen! Während des Essens standen auf den
Fensterbrettern die Wasserkrüge aus den Kammern, die die Ultimi, wie vor
jeder Arbeitsstunde, so auch vor jedem Mittagessen am Brunnen frisch gefüllt
haben mußten. Jeder, der vom Essen aufstand, ging ans Fensterbret und
labte sich, nachdem er sich den Schnabel gewischt oder auch uicht gewischt
hatte, durch einen Trunk aus dem Kruge. Gläser hatten wir nicht.

Zweimal im Jahre gab es eine kleine Weinspende. An dem Tage, wo die
kvnfirmirten Alumnen vormittags zur Kommunion gewesen waren, wurde


Almmieumserinnerungen

Zentrum befindliche Butter durch kleine Gruben und Kanäle möglichst nach
seinem Drittel zu leiten. Sehr beglückt waren wir gerade nicht von diesen
Freitngsschttsseln. Wer von den Obern bei Kasse war, ging Freitags lieber
auf den Markt zu „Felßncr" und gönnte sich ein Beefsteak.

Zu den Strafen, mit denen ein Anderer von einem Obern belegt werden
konnte, gehörte auch das „Karireu" (<nrsr0). Man bekam dann nichts zu
Mittag und mußte während des Essens an der Thür des Eßsaales stehen und
zusehen. Es kam ja nicht gerade allzuhäufig vor, und namentlich einen, der
mit an seinem eignen Tische saß, wagte wohl nicht leicht ein Oberer zum
Kariren zu verurteilen, es hätte ja so ausgesehen, als ob er sich selbst damit eine
größere Part machen wollte; aber es kam doch häufig genug vor, um mir als
eine besondre Grausamkeit im Gedächtnis bleiben zu können; namentlich auch
der Kollaborator bestrafte gern mit Knriren, Was würde manche Mutter ge¬
sagt haben, wenn sie daheim an ihrem Mittagstische gewußt hätte, daß ihr
armer Junge jetzt an der Thüre stehen und hungern mußte!

Nach dem Mittagessen gab es für den Rest des Tages nichts weiter
als — trocknes Vrot. Einen Tag um den andern schleppte die Maari vor
dem Mittagessen einen Tragkorb mit zweiunddreißig neubackenen Zweipfund¬
broten herbei, von denen immer je zwei zusammengebacken waren, sodaß sie
über der Tischkante ans einander gebrochen werden mußten. Das war unsre
ganze weitere Nahrung! Unterschiede wurden dabei weiter nicht gemacht, der
achtzehnjährige wie der neunjährige bekam jeder täglich sein Pfund Brot.
Das Brot war sehr gut, aber es war doch eben nur Brot. Wer Butter oder
Fleisch dazu haben wollte, mußte sichs kaufen, wenn ihm nicht, was allerdings
vielfach geschah, aus dem Elternhause von Zeit zu Zeit ein Butter- oder Wnrst-
kistchen geschickt wurde. An heißen Sommernachmittagen war es beliebt, sich
zum Vesper eine „Mährde" zu machen. Es war das eine Wasferkaltschale:
man krümelte sich eine Schüssel voll Brotkrume und rührte sie mit Wasser
ein, indem man für drei oder vier Pfennige Syrup zugoß. Wer sich bis zur
„Biermährde" versteigen wollte, bekam in einer Brauerei gleich hinter der
Kreuzkirche für wenige Pfennige ein Nösel Braunbier. Denn zu trinken gab
es offiziell das ganze Jahr über nichts als Wasser — Kreuzbrunnen. In den
ganzen acht Jahren meiner Alnmnenzeit ist nicht ein einzigesmal ein Schluck
Bier auf unsern Eßtisch gekommen! Während des Essens standen auf den
Fensterbrettern die Wasserkrüge aus den Kammern, die die Ultimi, wie vor
jeder Arbeitsstunde, so auch vor jedem Mittagessen am Brunnen frisch gefüllt
haben mußten. Jeder, der vom Essen aufstand, ging ans Fensterbret und
labte sich, nachdem er sich den Schnabel gewischt oder auch uicht gewischt
hatte, durch einen Trunk aus dem Kruge. Gläser hatten wir nicht.

Zweimal im Jahre gab es eine kleine Weinspende. An dem Tage, wo die
kvnfirmirten Alumnen vormittags zur Kommunion gewesen waren, wurde


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[0237] Almmieumserinnerungen Zentrum befindliche Butter durch kleine Gruben und Kanäle möglichst nach seinem Drittel zu leiten. Sehr beglückt waren wir gerade nicht von diesen Freitngsschttsseln. Wer von den Obern bei Kasse war, ging Freitags lieber auf den Markt zu „Felßncr" und gönnte sich ein Beefsteak. Zu den Strafen, mit denen ein Anderer von einem Obern belegt werden konnte, gehörte auch das „Karireu" (<nrsr0). Man bekam dann nichts zu Mittag und mußte während des Essens an der Thür des Eßsaales stehen und zusehen. Es kam ja nicht gerade allzuhäufig vor, und namentlich einen, der mit an seinem eignen Tische saß, wagte wohl nicht leicht ein Oberer zum Kariren zu verurteilen, es hätte ja so ausgesehen, als ob er sich selbst damit eine größere Part machen wollte; aber es kam doch häufig genug vor, um mir als eine besondre Grausamkeit im Gedächtnis bleiben zu können; namentlich auch der Kollaborator bestrafte gern mit Knriren, Was würde manche Mutter ge¬ sagt haben, wenn sie daheim an ihrem Mittagstische gewußt hätte, daß ihr armer Junge jetzt an der Thüre stehen und hungern mußte! Nach dem Mittagessen gab es für den Rest des Tages nichts weiter als — trocknes Vrot. Einen Tag um den andern schleppte die Maari vor dem Mittagessen einen Tragkorb mit zweiunddreißig neubackenen Zweipfund¬ broten herbei, von denen immer je zwei zusammengebacken waren, sodaß sie über der Tischkante ans einander gebrochen werden mußten. Das war unsre ganze weitere Nahrung! Unterschiede wurden dabei weiter nicht gemacht, der achtzehnjährige wie der neunjährige bekam jeder täglich sein Pfund Brot. Das Brot war sehr gut, aber es war doch eben nur Brot. Wer Butter oder Fleisch dazu haben wollte, mußte sichs kaufen, wenn ihm nicht, was allerdings vielfach geschah, aus dem Elternhause von Zeit zu Zeit ein Butter- oder Wnrst- kistchen geschickt wurde. An heißen Sommernachmittagen war es beliebt, sich zum Vesper eine „Mährde" zu machen. Es war das eine Wasferkaltschale: man krümelte sich eine Schüssel voll Brotkrume und rührte sie mit Wasser ein, indem man für drei oder vier Pfennige Syrup zugoß. Wer sich bis zur „Biermährde" versteigen wollte, bekam in einer Brauerei gleich hinter der Kreuzkirche für wenige Pfennige ein Nösel Braunbier. Denn zu trinken gab es offiziell das ganze Jahr über nichts als Wasser — Kreuzbrunnen. In den ganzen acht Jahren meiner Alnmnenzeit ist nicht ein einzigesmal ein Schluck Bier auf unsern Eßtisch gekommen! Während des Essens standen auf den Fensterbrettern die Wasserkrüge aus den Kammern, die die Ultimi, wie vor jeder Arbeitsstunde, so auch vor jedem Mittagessen am Brunnen frisch gefüllt haben mußten. Jeder, der vom Essen aufstand, ging ans Fensterbret und labte sich, nachdem er sich den Schnabel gewischt oder auch uicht gewischt hatte, durch einen Trunk aus dem Kruge. Gläser hatten wir nicht. Zweimal im Jahre gab es eine kleine Weinspende. An dem Tage, wo die kvnfirmirten Alumnen vormittags zur Kommunion gewesen waren, wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/237>, abgerufen am 25.07.2024.