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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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zu verstehe". Man würde lachen, wollte man jene Fähigkeiten vom Mann
aus dem Balle verlangen, aber man nimmt es sehr ernst, ihm dieses Ver¬
ständnis beizubringen. Es ist unnatürlich, Wald- und Wiesengestrüpp in einen
Kulturgarten zu schleppen; es ist thöricht, sich einzubilden, daß man die
Menschen glücklich machen könnte, wenn man sie aus ihrer geistigen Sphäre
in eine andre versetzt. Man gebe unserm Volke wieder, was des Volkes ist,
d. h. seine Gebräuche, seine Trachten, seine Bolksspielc und Belustigungen;
mau gebe ihm den Volkshumor wieder. Unser Volk kann nicht mehr lachen,
nicht mehr harmlos und herzlich lachen, das verlernt es schon bei unsern ver¬
bissenen Schulmeistern. Wir sind wirklich auf dem besten Wege, aus ihm ein
verschlossenes, finster brütendes, scheues Gesindel zu machen; in einigen Teilen
Norddeutsch lands sind wir schon so weit. Die polizeiliche Bevormundung und
Beobachtung selbst da, wo sie völlig überflüssig ist, wirkt geradezu lähmend
auf jede gesunde Regung der Volksseele. Der vielgerühmte Uufugsparagraph
in ttusrer Gesetzgebung ist das Grab des Volkshumors. Selbst Handlungen,
bei denen dem Bvlksbewnßtseiu jeder Gedanke an Straffälligkeit abgeht, bei
denen man nur die heitere Laune und den Mutterwitz anerkennen nud be¬
lachen müßte, werden vor den Richterstuhl gezogen. Man denke dabei nur an
den unglücklichen Provinziellen, der in der Silvesternacht seinen neuen Zhlinder-
hnt mit Stecknadeln spickt, um dem, der ihn einschlägt, einen Denkzettel zu
geben, und der schließlich wegen Körperverletzung bestraft wird, weil ein Über¬
mütiger ihm bei der ersten besten Gelegenheit den Zylinder über die Ohren
treibt. Wer singend durch die Dorfstraße zieht, wird bestraft; wer mit um¬
gekehrtem Überzieher über den Marktplatz schreitet, verfällt dem Unfugspara-
grnphen. Solche Fälle sind unzählig und tragen am meisten dazu bei, die
Freude an Spaß und Witz in unserm Volk völlig auszurotten, und den Duck¬
mäuser zum Ideal des Staatsbürgers zu machen. Es giebt nur wenige
Juristen, die sich bei ihren? verknöcherten Büreaukratismus überhaupt noch die
Mühe geben, den eigentümlichen Charakter des Volkes, seine Dialekte nud
Ausdrucksweisen kennen zu lernen, obwohl ihr Urteil durch diese Vertrautheit
mit dem Volksgeiste vielfach geändert werden würde. Ein Vorsitzender, der
bei der Beurteilung eines Korndiebstahls aus den Worten des Angeklagten
"Da war ook Kaff (Spreu) mang" fortwährend auf eine mitschuldige Person
mit Namen Kaff schließt und dadurch die Zeugen, die Schreiber, den ganzen
Gerichtshof in Verwirrung setzt, eignet sich nicht zu einer so verantwortungs¬
vollen Stellung. Der Verwaltungskörper unsrer Regierungsbeamten trennt
sich thatsächlich immer mehr von unserm Volksleben ab, bildet einen Orga¬
nismus für sich und sucht das gesunde Volksleben immer mehr in seinen toten
Formalismus hineinzuzwängen. Wir haben überall zu viel unproduktive
Juristen; der grüne Tisch und der Drehschemel sind die modernen Fvlterwerl-
zenge unsers Volkes. Ju den Stapeln von Akte", Berichten und Verfügungen,


Grenzboten III 1890 27
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zu verstehe». Man würde lachen, wollte man jene Fähigkeiten vom Mann
aus dem Balle verlangen, aber man nimmt es sehr ernst, ihm dieses Ver¬
ständnis beizubringen. Es ist unnatürlich, Wald- und Wiesengestrüpp in einen
Kulturgarten zu schleppen; es ist thöricht, sich einzubilden, daß man die
Menschen glücklich machen könnte, wenn man sie aus ihrer geistigen Sphäre
in eine andre versetzt. Man gebe unserm Volke wieder, was des Volkes ist,
d. h. seine Gebräuche, seine Trachten, seine Bolksspielc und Belustigungen;
mau gebe ihm den Volkshumor wieder. Unser Volk kann nicht mehr lachen,
nicht mehr harmlos und herzlich lachen, das verlernt es schon bei unsern ver¬
bissenen Schulmeistern. Wir sind wirklich auf dem besten Wege, aus ihm ein
verschlossenes, finster brütendes, scheues Gesindel zu machen; in einigen Teilen
Norddeutsch lands sind wir schon so weit. Die polizeiliche Bevormundung und
Beobachtung selbst da, wo sie völlig überflüssig ist, wirkt geradezu lähmend
auf jede gesunde Regung der Volksseele. Der vielgerühmte Uufugsparagraph
in ttusrer Gesetzgebung ist das Grab des Volkshumors. Selbst Handlungen,
bei denen dem Bvlksbewnßtseiu jeder Gedanke an Straffälligkeit abgeht, bei
denen man nur die heitere Laune und den Mutterwitz anerkennen nud be¬
lachen müßte, werden vor den Richterstuhl gezogen. Man denke dabei nur an
den unglücklichen Provinziellen, der in der Silvesternacht seinen neuen Zhlinder-
hnt mit Stecknadeln spickt, um dem, der ihn einschlägt, einen Denkzettel zu
geben, und der schließlich wegen Körperverletzung bestraft wird, weil ein Über¬
mütiger ihm bei der ersten besten Gelegenheit den Zylinder über die Ohren
treibt. Wer singend durch die Dorfstraße zieht, wird bestraft; wer mit um¬
gekehrtem Überzieher über den Marktplatz schreitet, verfällt dem Unfugspara-
grnphen. Solche Fälle sind unzählig und tragen am meisten dazu bei, die
Freude an Spaß und Witz in unserm Volk völlig auszurotten, und den Duck¬
mäuser zum Ideal des Staatsbürgers zu machen. Es giebt nur wenige
Juristen, die sich bei ihren? verknöcherten Büreaukratismus überhaupt noch die
Mühe geben, den eigentümlichen Charakter des Volkes, seine Dialekte nud
Ausdrucksweisen kennen zu lernen, obwohl ihr Urteil durch diese Vertrautheit
mit dem Volksgeiste vielfach geändert werden würde. Ein Vorsitzender, der
bei der Beurteilung eines Korndiebstahls aus den Worten des Angeklagten
„Da war ook Kaff (Spreu) mang" fortwährend auf eine mitschuldige Person
mit Namen Kaff schließt und dadurch die Zeugen, die Schreiber, den ganzen
Gerichtshof in Verwirrung setzt, eignet sich nicht zu einer so verantwortungs¬
vollen Stellung. Der Verwaltungskörper unsrer Regierungsbeamten trennt
sich thatsächlich immer mehr von unserm Volksleben ab, bildet einen Orga¬
nismus für sich und sucht das gesunde Volksleben immer mehr in seinen toten
Formalismus hineinzuzwängen. Wir haben überall zu viel unproduktive
Juristen; der grüne Tisch und der Drehschemel sind die modernen Fvlterwerl-
zenge unsers Volkes. Ju den Stapeln von Akte», Berichten und Verfügungen,


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[0217] Bildtmgsschwindel und volksbeglücknng zu verstehe». Man würde lachen, wollte man jene Fähigkeiten vom Mann aus dem Balle verlangen, aber man nimmt es sehr ernst, ihm dieses Ver¬ ständnis beizubringen. Es ist unnatürlich, Wald- und Wiesengestrüpp in einen Kulturgarten zu schleppen; es ist thöricht, sich einzubilden, daß man die Menschen glücklich machen könnte, wenn man sie aus ihrer geistigen Sphäre in eine andre versetzt. Man gebe unserm Volke wieder, was des Volkes ist, d. h. seine Gebräuche, seine Trachten, seine Bolksspielc und Belustigungen; mau gebe ihm den Volkshumor wieder. Unser Volk kann nicht mehr lachen, nicht mehr harmlos und herzlich lachen, das verlernt es schon bei unsern ver¬ bissenen Schulmeistern. Wir sind wirklich auf dem besten Wege, aus ihm ein verschlossenes, finster brütendes, scheues Gesindel zu machen; in einigen Teilen Norddeutsch lands sind wir schon so weit. Die polizeiliche Bevormundung und Beobachtung selbst da, wo sie völlig überflüssig ist, wirkt geradezu lähmend auf jede gesunde Regung der Volksseele. Der vielgerühmte Uufugsparagraph in ttusrer Gesetzgebung ist das Grab des Volkshumors. Selbst Handlungen, bei denen dem Bvlksbewnßtseiu jeder Gedanke an Straffälligkeit abgeht, bei denen man nur die heitere Laune und den Mutterwitz anerkennen nud be¬ lachen müßte, werden vor den Richterstuhl gezogen. Man denke dabei nur an den unglücklichen Provinziellen, der in der Silvesternacht seinen neuen Zhlinder- hnt mit Stecknadeln spickt, um dem, der ihn einschlägt, einen Denkzettel zu geben, und der schließlich wegen Körperverletzung bestraft wird, weil ein Über¬ mütiger ihm bei der ersten besten Gelegenheit den Zylinder über die Ohren treibt. Wer singend durch die Dorfstraße zieht, wird bestraft; wer mit um¬ gekehrtem Überzieher über den Marktplatz schreitet, verfällt dem Unfugspara- grnphen. Solche Fälle sind unzählig und tragen am meisten dazu bei, die Freude an Spaß und Witz in unserm Volk völlig auszurotten, und den Duck¬ mäuser zum Ideal des Staatsbürgers zu machen. Es giebt nur wenige Juristen, die sich bei ihren? verknöcherten Büreaukratismus überhaupt noch die Mühe geben, den eigentümlichen Charakter des Volkes, seine Dialekte nud Ausdrucksweisen kennen zu lernen, obwohl ihr Urteil durch diese Vertrautheit mit dem Volksgeiste vielfach geändert werden würde. Ein Vorsitzender, der bei der Beurteilung eines Korndiebstahls aus den Worten des Angeklagten „Da war ook Kaff (Spreu) mang" fortwährend auf eine mitschuldige Person mit Namen Kaff schließt und dadurch die Zeugen, die Schreiber, den ganzen Gerichtshof in Verwirrung setzt, eignet sich nicht zu einer so verantwortungs¬ vollen Stellung. Der Verwaltungskörper unsrer Regierungsbeamten trennt sich thatsächlich immer mehr von unserm Volksleben ab, bildet einen Orga¬ nismus für sich und sucht das gesunde Volksleben immer mehr in seinen toten Formalismus hineinzuzwängen. Wir haben überall zu viel unproduktive Juristen; der grüne Tisch und der Drehschemel sind die modernen Fvlterwerl- zenge unsers Volkes. Ju den Stapeln von Akte», Berichten und Verfügungen, Grenzboten III 1890 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/217>, abgerufen am 25.07.2024.