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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewcrbegenchte

im Gericht doch immer nur eine Stimme hat, lind daß deshalb alles auf die
Person des Vorsitzenden ankommt.

Eben deshalb ist es auch höchst auffallend, daß nach ^ 80 des Gesetzes
für die rheinischen Länder die dort bestehenden Gewerbegcrichte aufrecht er¬
halten und nur darin geändert werden sollen, daß die beiden Beisitzer
des Gerichts je ein Arbeitgeber und ein Arbeiter sind nud aus Wahlen der
beiden Stände hervorgehen. Was aber die Hauptsache ist: der Borsitzende des
Gerichts bleibt derselbe wie bisher, nämlich ein Arbeitgeber. Der Antrag des
Abgeordneten Tutzauer, der für den Vorsitz einen keiner Partei angehörenden
Mann begehrte, wurde im Reichstage abgelehnt. Der Unterschied besteht also
nnr darin, daß bisher drei Arbeitgeber, in Zukunft aber, neben einem Arbeiter,
zwei Arbeitgeber zu Gericht sitzen. Damit haben die Arbeitgeber von vorn¬
herein die Mehrheit, und sie bestimmen die Entscheidung. Nach wie vor bilden
diese Gerichte eine Einrichtung zu Gunsten der Arbeitgeber.

Mit der Organisation des Gerichts in nahem Zusammenhange steht die
Vorschrift des neuen Gesetzes, daß Rechtsanwälte und Personen, die das Ver¬
handeln von Prozessen gewerbsmäßig betreiben, bei den Gewerbegerichten
nicht zugelassen werden sollen. Wir halten diese Maßregel sür zwei¬
schneidig. Daß manche Sachen durch die Dazwischenkunft von Anwälten schwie¬
riger werden, ist unzweifelhaft. Eben so unzweifelhaft ist es aber anch, daß
manche Parteien sehr unvollkommen imstande sind, ihre Rechte selbst zu ver¬
treten. Und dieser Mangel wird noch öfter auf feiten des Arbeiters, als
des Arbeitgebers sich einstellen. Insofern ist also die Maßregel nicht als eine
für die Arbeiter unbedingt wohlthätige zu erkennen. Der Nachteil wird viel¬
leicht dadurch abgeschwächt, daß jede Partei ihre" -- sagen wir unbewußter --
Advokaten im Gerichte selbst sitzen hat. Hierzu werden sich die beiden Bei¬
sitzer um so leichter herausbilden, als die Rechtsverteidigung der Partei selbst
mangelhaft ist. Unbedingt wohlthätig wird die Maßregel nur insofern wirken,
als sie dazu dient, die Kosten des Prozesses ans einer geringen Stufe zu er¬
halte". Und dieser Umstand mag sie ja Wohl auch den Arbeitern gefällig
erscheinen lassen. Jedenfalls aber steht die Bestimmung in einem seltsamen
Gegensatz zu dem Vorschriften des gemeinen Prozesses, der nicht allein in
allen Sachen Anwälte zuläßt, sondern auch in Sachen über dreihundert Mark
Anwälte unbedingt fordert. Hat es wohl einen verständigen Sinn, gleichzeitig
M sagen :, Anwälte sind für den Prozeß so schädlich, daß sie bei Gewerbegerichten
gar nicht zugelassen werden dürfen; und dann wieder: Anwälte sind für den
Prozeß so nützlich, daß ohne sie ein Prozeß gar nicht geführt werden darf?

Wir wenden nus nun zu denjenigen Eigentümlichkeite>l des Prozesses vor
dem Gewerbegerichte, durch die den Gewerbetreibenden in Wahrheit ein ent¬
schiedener Vorzug vor allen übrigen Staatsangehörigen verliehen wird. Diese?
Vorzug liegt in dem Verfahren und in den kosten.


Die neuen Gewcrbegenchte

im Gericht doch immer nur eine Stimme hat, lind daß deshalb alles auf die
Person des Vorsitzenden ankommt.

Eben deshalb ist es auch höchst auffallend, daß nach ^ 80 des Gesetzes
für die rheinischen Länder die dort bestehenden Gewerbegcrichte aufrecht er¬
halten und nur darin geändert werden sollen, daß die beiden Beisitzer
des Gerichts je ein Arbeitgeber und ein Arbeiter sind nud aus Wahlen der
beiden Stände hervorgehen. Was aber die Hauptsache ist: der Borsitzende des
Gerichts bleibt derselbe wie bisher, nämlich ein Arbeitgeber. Der Antrag des
Abgeordneten Tutzauer, der für den Vorsitz einen keiner Partei angehörenden
Mann begehrte, wurde im Reichstage abgelehnt. Der Unterschied besteht also
nnr darin, daß bisher drei Arbeitgeber, in Zukunft aber, neben einem Arbeiter,
zwei Arbeitgeber zu Gericht sitzen. Damit haben die Arbeitgeber von vorn¬
herein die Mehrheit, und sie bestimmen die Entscheidung. Nach wie vor bilden
diese Gerichte eine Einrichtung zu Gunsten der Arbeitgeber.

Mit der Organisation des Gerichts in nahem Zusammenhange steht die
Vorschrift des neuen Gesetzes, daß Rechtsanwälte und Personen, die das Ver¬
handeln von Prozessen gewerbsmäßig betreiben, bei den Gewerbegerichten
nicht zugelassen werden sollen. Wir halten diese Maßregel sür zwei¬
schneidig. Daß manche Sachen durch die Dazwischenkunft von Anwälten schwie¬
riger werden, ist unzweifelhaft. Eben so unzweifelhaft ist es aber anch, daß
manche Parteien sehr unvollkommen imstande sind, ihre Rechte selbst zu ver¬
treten. Und dieser Mangel wird noch öfter auf feiten des Arbeiters, als
des Arbeitgebers sich einstellen. Insofern ist also die Maßregel nicht als eine
für die Arbeiter unbedingt wohlthätige zu erkennen. Der Nachteil wird viel¬
leicht dadurch abgeschwächt, daß jede Partei ihre» — sagen wir unbewußter —
Advokaten im Gerichte selbst sitzen hat. Hierzu werden sich die beiden Bei¬
sitzer um so leichter herausbilden, als die Rechtsverteidigung der Partei selbst
mangelhaft ist. Unbedingt wohlthätig wird die Maßregel nur insofern wirken,
als sie dazu dient, die Kosten des Prozesses ans einer geringen Stufe zu er¬
halte». Und dieser Umstand mag sie ja Wohl auch den Arbeitern gefällig
erscheinen lassen. Jedenfalls aber steht die Bestimmung in einem seltsamen
Gegensatz zu dem Vorschriften des gemeinen Prozesses, der nicht allein in
allen Sachen Anwälte zuläßt, sondern auch in Sachen über dreihundert Mark
Anwälte unbedingt fordert. Hat es wohl einen verständigen Sinn, gleichzeitig
M sagen :, Anwälte sind für den Prozeß so schädlich, daß sie bei Gewerbegerichten
gar nicht zugelassen werden dürfen; und dann wieder: Anwälte sind für den
Prozeß so nützlich, daß ohne sie ein Prozeß gar nicht geführt werden darf?

Wir wenden nus nun zu denjenigen Eigentümlichkeite>l des Prozesses vor
dem Gewerbegerichte, durch die den Gewerbetreibenden in Wahrheit ein ent¬
schiedener Vorzug vor allen übrigen Staatsangehörigen verliehen wird. Diese?
Vorzug liegt in dem Verfahren und in den kosten.


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[0207] Die neuen Gewcrbegenchte im Gericht doch immer nur eine Stimme hat, lind daß deshalb alles auf die Person des Vorsitzenden ankommt. Eben deshalb ist es auch höchst auffallend, daß nach ^ 80 des Gesetzes für die rheinischen Länder die dort bestehenden Gewerbegcrichte aufrecht er¬ halten und nur darin geändert werden sollen, daß die beiden Beisitzer des Gerichts je ein Arbeitgeber und ein Arbeiter sind nud aus Wahlen der beiden Stände hervorgehen. Was aber die Hauptsache ist: der Borsitzende des Gerichts bleibt derselbe wie bisher, nämlich ein Arbeitgeber. Der Antrag des Abgeordneten Tutzauer, der für den Vorsitz einen keiner Partei angehörenden Mann begehrte, wurde im Reichstage abgelehnt. Der Unterschied besteht also nnr darin, daß bisher drei Arbeitgeber, in Zukunft aber, neben einem Arbeiter, zwei Arbeitgeber zu Gericht sitzen. Damit haben die Arbeitgeber von vorn¬ herein die Mehrheit, und sie bestimmen die Entscheidung. Nach wie vor bilden diese Gerichte eine Einrichtung zu Gunsten der Arbeitgeber. Mit der Organisation des Gerichts in nahem Zusammenhange steht die Vorschrift des neuen Gesetzes, daß Rechtsanwälte und Personen, die das Ver¬ handeln von Prozessen gewerbsmäßig betreiben, bei den Gewerbegerichten nicht zugelassen werden sollen. Wir halten diese Maßregel sür zwei¬ schneidig. Daß manche Sachen durch die Dazwischenkunft von Anwälten schwie¬ riger werden, ist unzweifelhaft. Eben so unzweifelhaft ist es aber anch, daß manche Parteien sehr unvollkommen imstande sind, ihre Rechte selbst zu ver¬ treten. Und dieser Mangel wird noch öfter auf feiten des Arbeiters, als des Arbeitgebers sich einstellen. Insofern ist also die Maßregel nicht als eine für die Arbeiter unbedingt wohlthätige zu erkennen. Der Nachteil wird viel¬ leicht dadurch abgeschwächt, daß jede Partei ihre» — sagen wir unbewußter — Advokaten im Gerichte selbst sitzen hat. Hierzu werden sich die beiden Bei¬ sitzer um so leichter herausbilden, als die Rechtsverteidigung der Partei selbst mangelhaft ist. Unbedingt wohlthätig wird die Maßregel nur insofern wirken, als sie dazu dient, die Kosten des Prozesses ans einer geringen Stufe zu er¬ halte». Und dieser Umstand mag sie ja Wohl auch den Arbeitern gefällig erscheinen lassen. Jedenfalls aber steht die Bestimmung in einem seltsamen Gegensatz zu dem Vorschriften des gemeinen Prozesses, der nicht allein in allen Sachen Anwälte zuläßt, sondern auch in Sachen über dreihundert Mark Anwälte unbedingt fordert. Hat es wohl einen verständigen Sinn, gleichzeitig M sagen :, Anwälte sind für den Prozeß so schädlich, daß sie bei Gewerbegerichten gar nicht zugelassen werden dürfen; und dann wieder: Anwälte sind für den Prozeß so nützlich, daß ohne sie ein Prozeß gar nicht geführt werden darf? Wir wenden nus nun zu denjenigen Eigentümlichkeite>l des Prozesses vor dem Gewerbegerichte, durch die den Gewerbetreibenden in Wahrheit ein ent¬ schiedener Vorzug vor allen übrigen Staatsangehörigen verliehen wird. Diese? Vorzug liegt in dem Verfahren und in den kosten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/207>, abgerufen am 02.07.2024.