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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neue" Gewerbegerichte

wußtsein, das; der Richter den Beruf habe, ein unparteiischer Mann zu sei",
durchschnittlich bei Juristen weit mehr entwickelt, als bei Laien. Das gegen¬
teilige Beispiel der Rheinprovinz überzeugt uns in dieser Beziehung ganz und
gar nicht. Wir haben doch wohl endlich an dem zur Zeit in Deutschland
bestehenden Prozeß die Erfahrung gemacht, daß die Lobreden der Rheinländer
auf ihre französischen Rechtseiurichtnngen eine arge Täuschung gewesen sind.
Der französische Prozeß ist ein Institut zum Vorteil der Juristen. aber nicht
des Volkes. Ebenso werden wir annehmen dürfen, daß die Lobreden, mit
denen man die rheinischen Gewerbegerichte angepriesen hat, von den Ständen aus¬
gehen, die selbst darin zu Gericht sitzen. Damit ist aber noch nicht bewiesen,
daß von diesen Gerichten wirklich eine gute Rechtsprechung geübt wird. Es
geht natürlich alles, wenn man nicht darnach fragt, wie es geht. Übrigens
gestehen die Rheinländer selbst zu, daß eine Hauptperson bei ihren Gewerbe¬
gerichten der Gerichtsschreiber sei. Damit schon ist diesen Gerichten ihr wahrer
Charakter aufgedrückt.

Wir sind deshalb auch überzeugt, daß in dem übrigen Deutschland die
mit Berufung des Vorsitzenden beauftragten Körperschaften in der große"
Mehrzahl der Fälle bemüht sein werden, einen Juristen für diese Stelle zu
gewinnen. Ein andrer Mann, wenn er nicht das leichte Blut des Rhein¬
länders hat, würde sich auch in einer solchen Rolle höchst unglücklich fühlen.
Es fragt sich uur, woher man einen solchen Juristen nehmen soll. Die meisten
Juristen sind in fester Stellung als Richter, Beamte, Anwälte ". s. w. bereits
vollnnf beschäftigt. Man müßte also einen Juristen finden, der ausnahms¬
weise seine Zeit diesem Amte widmen könnte. Oder man müßte einem schon
anderweit beschäftigten Juristen das Amt als Nebenstelle übertragen, wobei
aber immer der Zweifel entstünde, ob damit auch für das Amt genügend ge¬
sorgt sei. Es fragt sich dann auch, welche Summe die Magistrate für diese
neue Belastung der Gemeinden aufwenden wollen und können. Von der
Größe dieser Summe wird vielfach die größere oder geringere Bereitwilligkeit zur
Übernahme des Amtes abhängen. Ob die Magistrate über die Frage, welche Männer
sich für eine solche Stellung am besten eignen, stets ein sicheres Urteil haben
werden, darüber läßt sich auch sprechen. Gegen arge Mißgriffe ist allerdings
durch die, wen" auch nur beschränkt, vorbehaltene staatliche Bestätigung gesorgt.
Aber dennoch sind Irrungen in dieser Beziehung nicht ausgeschlossen. Wahr¬
scheinlich wird man solche Müuucr zu wählen suchen, die sich ihrem ganzen
Wesen nach einer gewissen Popularität erfreuen, was ja auch manches für
sich hätte.

Alles in allein gerechnet, halten wir die Wahrscheinlichkeit, daß in dem
R'ichterkolleg der Gewerbegerichte ein besseres Organ fiir die Rechtsprechung
werde geschaffen werden, als in den vom Staate berufenen Richtern, für nicht
sehr groß. Auch die Arbeiter werden bald gewahr werden, daß ihr Vertreter


Die neue» Gewerbegerichte

wußtsein, das; der Richter den Beruf habe, ein unparteiischer Mann zu sei»,
durchschnittlich bei Juristen weit mehr entwickelt, als bei Laien. Das gegen¬
teilige Beispiel der Rheinprovinz überzeugt uns in dieser Beziehung ganz und
gar nicht. Wir haben doch wohl endlich an dem zur Zeit in Deutschland
bestehenden Prozeß die Erfahrung gemacht, daß die Lobreden der Rheinländer
auf ihre französischen Rechtseiurichtnngen eine arge Täuschung gewesen sind.
Der französische Prozeß ist ein Institut zum Vorteil der Juristen. aber nicht
des Volkes. Ebenso werden wir annehmen dürfen, daß die Lobreden, mit
denen man die rheinischen Gewerbegerichte angepriesen hat, von den Ständen aus¬
gehen, die selbst darin zu Gericht sitzen. Damit ist aber noch nicht bewiesen,
daß von diesen Gerichten wirklich eine gute Rechtsprechung geübt wird. Es
geht natürlich alles, wenn man nicht darnach fragt, wie es geht. Übrigens
gestehen die Rheinländer selbst zu, daß eine Hauptperson bei ihren Gewerbe¬
gerichten der Gerichtsschreiber sei. Damit schon ist diesen Gerichten ihr wahrer
Charakter aufgedrückt.

Wir sind deshalb auch überzeugt, daß in dem übrigen Deutschland die
mit Berufung des Vorsitzenden beauftragten Körperschaften in der große»
Mehrzahl der Fälle bemüht sein werden, einen Juristen für diese Stelle zu
gewinnen. Ein andrer Mann, wenn er nicht das leichte Blut des Rhein¬
länders hat, würde sich auch in einer solchen Rolle höchst unglücklich fühlen.
Es fragt sich uur, woher man einen solchen Juristen nehmen soll. Die meisten
Juristen sind in fester Stellung als Richter, Beamte, Anwälte ». s. w. bereits
vollnnf beschäftigt. Man müßte also einen Juristen finden, der ausnahms¬
weise seine Zeit diesem Amte widmen könnte. Oder man müßte einem schon
anderweit beschäftigten Juristen das Amt als Nebenstelle übertragen, wobei
aber immer der Zweifel entstünde, ob damit auch für das Amt genügend ge¬
sorgt sei. Es fragt sich dann auch, welche Summe die Magistrate für diese
neue Belastung der Gemeinden aufwenden wollen und können. Von der
Größe dieser Summe wird vielfach die größere oder geringere Bereitwilligkeit zur
Übernahme des Amtes abhängen. Ob die Magistrate über die Frage, welche Männer
sich für eine solche Stellung am besten eignen, stets ein sicheres Urteil haben
werden, darüber läßt sich auch sprechen. Gegen arge Mißgriffe ist allerdings
durch die, wen» auch nur beschränkt, vorbehaltene staatliche Bestätigung gesorgt.
Aber dennoch sind Irrungen in dieser Beziehung nicht ausgeschlossen. Wahr¬
scheinlich wird man solche Müuucr zu wählen suchen, die sich ihrem ganzen
Wesen nach einer gewissen Popularität erfreuen, was ja auch manches für
sich hätte.

Alles in allein gerechnet, halten wir die Wahrscheinlichkeit, daß in dem
R'ichterkolleg der Gewerbegerichte ein besseres Organ fiir die Rechtsprechung
werde geschaffen werden, als in den vom Staate berufenen Richtern, für nicht
sehr groß. Auch die Arbeiter werden bald gewahr werden, daß ihr Vertreter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/206>, abgerufen am 30.06.2024.