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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewerbegerichie

Einrichtung, weil ein Einzelrichter, wenn er für sich allein urteilt, leicht einer
gewissen Einseitigkeit verfällt, vor der er eher bewahrt bleibt, wenn er sich
über seinen Richterspruch mit andern, sei es auch mit Laien, auseinander zu
setzen hat. Wir würden daher auch kaum etwas gegen eine Ziviljustiz ein¬
zuwenden haben, bei der in unterer Instanz neben dem Einzelrichter Schöffen
mitwirkten, wenn nicht dadurch unser Bürgerstand allzu sehr belastet würde.
Bei den netten Gewerbegerichten liegt nun aber das Charakteristische darin,
daß die zur Mitwirkung berufenen Beisitzer je nus der Wahl der Stände
hervorgehen sollen, denen regelmäßig die streitenden Parteien angehören. Jede
Partei hat also ihren eignen Vertrauensmann im Gerichte sitzen, und dieser
Richter hat nach seiner Lebensstellung dieselben Interessen, wie die Partei,
deren Vertrauensmann er ist. Damit hören die Beisitzer ans, Richter im
vollen Sinne des Wortes zu sein. Es ist ja möglich, daß in einem Streitfalle
die eine Partei so klar im Unrecht ist, daß beide Beisitzer sich gegen sie aus-
sprechen; und dann wird diese Vcsetznng des Gerichtes die wohlthätige Folge
haben, daß der unterliegende Teil sich um so eher überzeugt, daß ihm durch
den Richterspruch kein Unrecht geschehen ist. Ist aber die Sache einigermaßen
zweifelhaft, so wird in der Regel der von den Arbeitgebern gewählte Beisitzer
sich ans die Seite des Arbeitgebers, der von den Arbeitern gewählte ans die
Seite des Arbeiters stellen, und der Kampf der Parteien wird sich im Gerichte
selbst fortsetzen. Das ist so sehr menschlich, daß es eben nicht anders sein
kann. Ans diese Weise werden die beiden Beisitzer sich als Richter neutrali-
siren. Die eigentliche Entscheidung wird bei dein Vorsitzenden liegen. Wer
ist nun dieser Vorsitzende?

Nach dein Gesetze soll der Vorsitzende von dem Magistrat oder der Ver¬
tretung des weitern KommnnalverbandeS auf mindestens ein Jahr gewählt
werden. Er soll, wenn er nicht schon ein staatlich ernannter oder bestätigter
Staats- oder Gemeindebeamter ist, der Bestätigung der höhern Verwaltungs¬
behörde bedürfen. Er darf auch einen Gehalt beziehen, während das Amt
der Beisitzer ein Ehrenamt sein soll. Für die persönlichen Eigenschaften des
Vvrsitzendell ist nichts weiter vorgeschrieben, als daß er weder Arbeitgeber
noch Arbeiter sein soll. In den Motiven ist dann noch ausdrücklich gesagt,
daß der Borsitzende Jurist nicht zu sein brauche. Auch bei den Verhandlungen
im Reichstage wurde von einigen Seiten gerade dies als ein Vorzug hervor¬
gehoben.

Bleiben Nur zunächst bei dieser Negative stehen, so müssen wir, trotzdem
daß auch wir die Schwächen des Juristenstandes sehr wohl zu würdigen wissen,
doch die Überzeugung aussprechen, daß es nimmermehr eine gute Rechtsprechung
geben kann, wenn nicht der Vorsitzende des Gerichtes ein Jurist ist. Auch
abgesehen davon, daß zur Rechtsprechung und insbesondre auch zur Prozeß-
leituug doch immer noch einige Nechtskenntnisse gehören, so ist auch das Be-


Die neuen Gewerbegerichie

Einrichtung, weil ein Einzelrichter, wenn er für sich allein urteilt, leicht einer
gewissen Einseitigkeit verfällt, vor der er eher bewahrt bleibt, wenn er sich
über seinen Richterspruch mit andern, sei es auch mit Laien, auseinander zu
setzen hat. Wir würden daher auch kaum etwas gegen eine Ziviljustiz ein¬
zuwenden haben, bei der in unterer Instanz neben dem Einzelrichter Schöffen
mitwirkten, wenn nicht dadurch unser Bürgerstand allzu sehr belastet würde.
Bei den netten Gewerbegerichten liegt nun aber das Charakteristische darin,
daß die zur Mitwirkung berufenen Beisitzer je nus der Wahl der Stände
hervorgehen sollen, denen regelmäßig die streitenden Parteien angehören. Jede
Partei hat also ihren eignen Vertrauensmann im Gerichte sitzen, und dieser
Richter hat nach seiner Lebensstellung dieselben Interessen, wie die Partei,
deren Vertrauensmann er ist. Damit hören die Beisitzer ans, Richter im
vollen Sinne des Wortes zu sein. Es ist ja möglich, daß in einem Streitfalle
die eine Partei so klar im Unrecht ist, daß beide Beisitzer sich gegen sie aus-
sprechen; und dann wird diese Vcsetznng des Gerichtes die wohlthätige Folge
haben, daß der unterliegende Teil sich um so eher überzeugt, daß ihm durch
den Richterspruch kein Unrecht geschehen ist. Ist aber die Sache einigermaßen
zweifelhaft, so wird in der Regel der von den Arbeitgebern gewählte Beisitzer
sich ans die Seite des Arbeitgebers, der von den Arbeitern gewählte ans die
Seite des Arbeiters stellen, und der Kampf der Parteien wird sich im Gerichte
selbst fortsetzen. Das ist so sehr menschlich, daß es eben nicht anders sein
kann. Ans diese Weise werden die beiden Beisitzer sich als Richter neutrali-
siren. Die eigentliche Entscheidung wird bei dein Vorsitzenden liegen. Wer
ist nun dieser Vorsitzende?

Nach dein Gesetze soll der Vorsitzende von dem Magistrat oder der Ver¬
tretung des weitern KommnnalverbandeS auf mindestens ein Jahr gewählt
werden. Er soll, wenn er nicht schon ein staatlich ernannter oder bestätigter
Staats- oder Gemeindebeamter ist, der Bestätigung der höhern Verwaltungs¬
behörde bedürfen. Er darf auch einen Gehalt beziehen, während das Amt
der Beisitzer ein Ehrenamt sein soll. Für die persönlichen Eigenschaften des
Vvrsitzendell ist nichts weiter vorgeschrieben, als daß er weder Arbeitgeber
noch Arbeiter sein soll. In den Motiven ist dann noch ausdrücklich gesagt,
daß der Borsitzende Jurist nicht zu sein brauche. Auch bei den Verhandlungen
im Reichstage wurde von einigen Seiten gerade dies als ein Vorzug hervor¬
gehoben.

Bleiben Nur zunächst bei dieser Negative stehen, so müssen wir, trotzdem
daß auch wir die Schwächen des Juristenstandes sehr wohl zu würdigen wissen,
doch die Überzeugung aussprechen, daß es nimmermehr eine gute Rechtsprechung
geben kann, wenn nicht der Vorsitzende des Gerichtes ein Jurist ist. Auch
abgesehen davon, daß zur Rechtsprechung und insbesondre auch zur Prozeß-
leituug doch immer noch einige Nechtskenntnisse gehören, so ist auch das Be-


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[0205] Die neuen Gewerbegerichie Einrichtung, weil ein Einzelrichter, wenn er für sich allein urteilt, leicht einer gewissen Einseitigkeit verfällt, vor der er eher bewahrt bleibt, wenn er sich über seinen Richterspruch mit andern, sei es auch mit Laien, auseinander zu setzen hat. Wir würden daher auch kaum etwas gegen eine Ziviljustiz ein¬ zuwenden haben, bei der in unterer Instanz neben dem Einzelrichter Schöffen mitwirkten, wenn nicht dadurch unser Bürgerstand allzu sehr belastet würde. Bei den netten Gewerbegerichten liegt nun aber das Charakteristische darin, daß die zur Mitwirkung berufenen Beisitzer je nus der Wahl der Stände hervorgehen sollen, denen regelmäßig die streitenden Parteien angehören. Jede Partei hat also ihren eignen Vertrauensmann im Gerichte sitzen, und dieser Richter hat nach seiner Lebensstellung dieselben Interessen, wie die Partei, deren Vertrauensmann er ist. Damit hören die Beisitzer ans, Richter im vollen Sinne des Wortes zu sein. Es ist ja möglich, daß in einem Streitfalle die eine Partei so klar im Unrecht ist, daß beide Beisitzer sich gegen sie aus- sprechen; und dann wird diese Vcsetznng des Gerichtes die wohlthätige Folge haben, daß der unterliegende Teil sich um so eher überzeugt, daß ihm durch den Richterspruch kein Unrecht geschehen ist. Ist aber die Sache einigermaßen zweifelhaft, so wird in der Regel der von den Arbeitgebern gewählte Beisitzer sich ans die Seite des Arbeitgebers, der von den Arbeitern gewählte ans die Seite des Arbeiters stellen, und der Kampf der Parteien wird sich im Gerichte selbst fortsetzen. Das ist so sehr menschlich, daß es eben nicht anders sein kann. Ans diese Weise werden die beiden Beisitzer sich als Richter neutrali- siren. Die eigentliche Entscheidung wird bei dein Vorsitzenden liegen. Wer ist nun dieser Vorsitzende? Nach dein Gesetze soll der Vorsitzende von dem Magistrat oder der Ver¬ tretung des weitern KommnnalverbandeS auf mindestens ein Jahr gewählt werden. Er soll, wenn er nicht schon ein staatlich ernannter oder bestätigter Staats- oder Gemeindebeamter ist, der Bestätigung der höhern Verwaltungs¬ behörde bedürfen. Er darf auch einen Gehalt beziehen, während das Amt der Beisitzer ein Ehrenamt sein soll. Für die persönlichen Eigenschaften des Vvrsitzendell ist nichts weiter vorgeschrieben, als daß er weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein soll. In den Motiven ist dann noch ausdrücklich gesagt, daß der Borsitzende Jurist nicht zu sein brauche. Auch bei den Verhandlungen im Reichstage wurde von einigen Seiten gerade dies als ein Vorzug hervor¬ gehoben. Bleiben Nur zunächst bei dieser Negative stehen, so müssen wir, trotzdem daß auch wir die Schwächen des Juristenstandes sehr wohl zu würdigen wissen, doch die Überzeugung aussprechen, daß es nimmermehr eine gute Rechtsprechung geben kann, wenn nicht der Vorsitzende des Gerichtes ein Jurist ist. Auch abgesehen davon, daß zur Rechtsprechung und insbesondre auch zur Prozeß- leituug doch immer noch einige Nechtskenntnisse gehören, so ist auch das Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/205>, abgerufen am 28.06.2024.