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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewerbegerichte

Die Fragen des Gewerberechtes kommen aber nicht entfernt den Frage" des
Handelsrechtes an Eigentümlichkeit gleich; und es möchte in der That schwer
werden, ein dem Handelsgesetzbuch entsprechendes Gewerbegesetzbuch aufzustellen.

Ebenso unrichtig ist es, wenn man sagt, die Streitigkeiten der Gewerbe¬
treibenden seien gewöhnlich einfacher Natur und bedürfen nur eiues Ausspruches
nach Billigkeit. Auch in dieser Beziehung sind die Gewerbestreitigkeiteu von
andern Prozesse!? nicht verschieden. Sie sind gerade so einfach und nicht einfach,
gerade so leicht und so schwierig zu entscheiden, wie alle übrigen auch. Es
ist wahr, Gewerbestreitigkeiten verlangen eine vernünftige und gerechte Ent¬
scheidung, und es ist wünschenswert, daß sie schnell erledigt werden. Dasselbe
kann man aber von allen Prozessen sagen.

Man könnte vielleicht der Ansicht sein, eine besondre Gerichtsbarkeit für
Gewerbesachen sei deshalb nützlich, weil bei einem solchen Sondergerichte sich
leichter ein bestimmter Gerichtsgebrauch ausbilde, der der Rechtssicherheit zu
gute komme. Wenn mau dies aber als maßgebend betrachtete, so müßte man
auch noch manche andre Sondergerichte errichten. Warum sollten nicht
Streitigkeiten zwischen Hauseigentümern und Mietern, zwischen Herrschaft und
Gesinde von besondern Gerichten entschieden werden? Dann hätte man eine
ähnliche zersplitterte Rechtspflege, wie jetzt die Ärzte sich in lauter Spezial-
ärzte umzubilden beginnen. Ob darin aber für die Sache ein Vorteil läge, ist
doch sehr zweifelhaft. Jedenfalls hat das neue Gesetz selbst diesen Standpunkt
uicht festgehalten, indem es wider die Entscheidungen der Gewerbegerichte die
Berufung an die Landgerichte gestattet. Wäre wirklich die Entscheidung eines
Sondergerichtes für besser zu halten, als die eiues allgemeinen Gerichtes, so
ist nicht abzusehen, wie man die Entscheidung des allgemeinen Gerichtes über
die Entscheidung des Sondergcrichtes stellen könnte.

Wenn hiernach sachliche Grüude in der That nicht vorliegen, für Gewerbe-
sachcn eine besondre Gerichtsbarkeit zu schaffe", so muß der Grund hierfür
wohl in persönlichen Rücksichten gesucht werdeu. Daß diese heutzutage uicht
darauf hinauslaufen können, den Arbeitgebern eine besondre Gunst zu er¬
weise,?, liegt auf der Hand. Vielmehr hat ohne Zweifel die Schaffung der
Gewerbcgerichte eine Freundlichkeit gegen die Arbeiter sein sollen. Es fragt sich
nur, in welcher Beziehung diesen damit wirklich eine Wohlthat erwiesen wird.

Betrachten wir nun die den Gewerbegerichten verliehenen Eigentümlich¬
keiten, und zwar zunächst die Bildung des Gerichtes. Als Richter sollen drei
Männer thätig sein, ein Vorsitzender und zwei Beisitzer. Von den Beisitzern
soll der eine Arbeitgeber, der andre Arbeiter sein, und sie sollen je aus der
Wahl der Arbeitgeber und der Arbeiter hervorgehen. Zur Vermeidung von
Mißverstündnissen wollen wir zunächst hier aussprechen, daß wir grundsätzlich
durchaus uicht Gegner einer Mitwirkung des Laienelements bei der Recht¬
sprechung sind. Wir halten unsre Schöffengerichte für eine ganz verständige


Die neuen Gewerbegerichte

Die Fragen des Gewerberechtes kommen aber nicht entfernt den Frage» des
Handelsrechtes an Eigentümlichkeit gleich; und es möchte in der That schwer
werden, ein dem Handelsgesetzbuch entsprechendes Gewerbegesetzbuch aufzustellen.

Ebenso unrichtig ist es, wenn man sagt, die Streitigkeiten der Gewerbe¬
treibenden seien gewöhnlich einfacher Natur und bedürfen nur eiues Ausspruches
nach Billigkeit. Auch in dieser Beziehung sind die Gewerbestreitigkeiteu von
andern Prozesse!? nicht verschieden. Sie sind gerade so einfach und nicht einfach,
gerade so leicht und so schwierig zu entscheiden, wie alle übrigen auch. Es
ist wahr, Gewerbestreitigkeiten verlangen eine vernünftige und gerechte Ent¬
scheidung, und es ist wünschenswert, daß sie schnell erledigt werden. Dasselbe
kann man aber von allen Prozessen sagen.

Man könnte vielleicht der Ansicht sein, eine besondre Gerichtsbarkeit für
Gewerbesachen sei deshalb nützlich, weil bei einem solchen Sondergerichte sich
leichter ein bestimmter Gerichtsgebrauch ausbilde, der der Rechtssicherheit zu
gute komme. Wenn mau dies aber als maßgebend betrachtete, so müßte man
auch noch manche andre Sondergerichte errichten. Warum sollten nicht
Streitigkeiten zwischen Hauseigentümern und Mietern, zwischen Herrschaft und
Gesinde von besondern Gerichten entschieden werden? Dann hätte man eine
ähnliche zersplitterte Rechtspflege, wie jetzt die Ärzte sich in lauter Spezial-
ärzte umzubilden beginnen. Ob darin aber für die Sache ein Vorteil läge, ist
doch sehr zweifelhaft. Jedenfalls hat das neue Gesetz selbst diesen Standpunkt
uicht festgehalten, indem es wider die Entscheidungen der Gewerbegerichte die
Berufung an die Landgerichte gestattet. Wäre wirklich die Entscheidung eines
Sondergerichtes für besser zu halten, als die eiues allgemeinen Gerichtes, so
ist nicht abzusehen, wie man die Entscheidung des allgemeinen Gerichtes über
die Entscheidung des Sondergcrichtes stellen könnte.

Wenn hiernach sachliche Grüude in der That nicht vorliegen, für Gewerbe-
sachcn eine besondre Gerichtsbarkeit zu schaffe», so muß der Grund hierfür
wohl in persönlichen Rücksichten gesucht werdeu. Daß diese heutzutage uicht
darauf hinauslaufen können, den Arbeitgebern eine besondre Gunst zu er¬
weise,?, liegt auf der Hand. Vielmehr hat ohne Zweifel die Schaffung der
Gewerbcgerichte eine Freundlichkeit gegen die Arbeiter sein sollen. Es fragt sich
nur, in welcher Beziehung diesen damit wirklich eine Wohlthat erwiesen wird.

Betrachten wir nun die den Gewerbegerichten verliehenen Eigentümlich¬
keiten, und zwar zunächst die Bildung des Gerichtes. Als Richter sollen drei
Männer thätig sein, ein Vorsitzender und zwei Beisitzer. Von den Beisitzern
soll der eine Arbeitgeber, der andre Arbeiter sein, und sie sollen je aus der
Wahl der Arbeitgeber und der Arbeiter hervorgehen. Zur Vermeidung von
Mißverstündnissen wollen wir zunächst hier aussprechen, daß wir grundsätzlich
durchaus uicht Gegner einer Mitwirkung des Laienelements bei der Recht¬
sprechung sind. Wir halten unsre Schöffengerichte für eine ganz verständige


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[0204] Die neuen Gewerbegerichte Die Fragen des Gewerberechtes kommen aber nicht entfernt den Frage» des Handelsrechtes an Eigentümlichkeit gleich; und es möchte in der That schwer werden, ein dem Handelsgesetzbuch entsprechendes Gewerbegesetzbuch aufzustellen. Ebenso unrichtig ist es, wenn man sagt, die Streitigkeiten der Gewerbe¬ treibenden seien gewöhnlich einfacher Natur und bedürfen nur eiues Ausspruches nach Billigkeit. Auch in dieser Beziehung sind die Gewerbestreitigkeiteu von andern Prozesse!? nicht verschieden. Sie sind gerade so einfach und nicht einfach, gerade so leicht und so schwierig zu entscheiden, wie alle übrigen auch. Es ist wahr, Gewerbestreitigkeiten verlangen eine vernünftige und gerechte Ent¬ scheidung, und es ist wünschenswert, daß sie schnell erledigt werden. Dasselbe kann man aber von allen Prozessen sagen. Man könnte vielleicht der Ansicht sein, eine besondre Gerichtsbarkeit für Gewerbesachen sei deshalb nützlich, weil bei einem solchen Sondergerichte sich leichter ein bestimmter Gerichtsgebrauch ausbilde, der der Rechtssicherheit zu gute komme. Wenn mau dies aber als maßgebend betrachtete, so müßte man auch noch manche andre Sondergerichte errichten. Warum sollten nicht Streitigkeiten zwischen Hauseigentümern und Mietern, zwischen Herrschaft und Gesinde von besondern Gerichten entschieden werden? Dann hätte man eine ähnliche zersplitterte Rechtspflege, wie jetzt die Ärzte sich in lauter Spezial- ärzte umzubilden beginnen. Ob darin aber für die Sache ein Vorteil läge, ist doch sehr zweifelhaft. Jedenfalls hat das neue Gesetz selbst diesen Standpunkt uicht festgehalten, indem es wider die Entscheidungen der Gewerbegerichte die Berufung an die Landgerichte gestattet. Wäre wirklich die Entscheidung eines Sondergerichtes für besser zu halten, als die eiues allgemeinen Gerichtes, so ist nicht abzusehen, wie man die Entscheidung des allgemeinen Gerichtes über die Entscheidung des Sondergcrichtes stellen könnte. Wenn hiernach sachliche Grüude in der That nicht vorliegen, für Gewerbe- sachcn eine besondre Gerichtsbarkeit zu schaffe», so muß der Grund hierfür wohl in persönlichen Rücksichten gesucht werdeu. Daß diese heutzutage uicht darauf hinauslaufen können, den Arbeitgebern eine besondre Gunst zu er¬ weise,?, liegt auf der Hand. Vielmehr hat ohne Zweifel die Schaffung der Gewerbcgerichte eine Freundlichkeit gegen die Arbeiter sein sollen. Es fragt sich nur, in welcher Beziehung diesen damit wirklich eine Wohlthat erwiesen wird. Betrachten wir nun die den Gewerbegerichten verliehenen Eigentümlich¬ keiten, und zwar zunächst die Bildung des Gerichtes. Als Richter sollen drei Männer thätig sein, ein Vorsitzender und zwei Beisitzer. Von den Beisitzern soll der eine Arbeitgeber, der andre Arbeiter sein, und sie sollen je aus der Wahl der Arbeitgeber und der Arbeiter hervorgehen. Zur Vermeidung von Mißverstündnissen wollen wir zunächst hier aussprechen, daß wir grundsätzlich durchaus uicht Gegner einer Mitwirkung des Laienelements bei der Recht¬ sprechung sind. Wir halten unsre Schöffengerichte für eine ganz verständige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/204>, abgerufen am 25.06.2024.