Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Umwandlung Frankreichs in eine Republik so gut wie unmöglich geworden.
Durch den Sturz Napoleons III. war der politischen Karrikatur eine der
Grundlagen ihrer Blüte entzogen worden. Ein zweiter Grundpfeiler ist mit
Bismarck gefallen. Nach einer andern Ursache braucht mau gar nicht zu
suchen, um den Rückgang des Kladderadatsch und andrer satirisch-humoristischen
Blätter zu erklären. Der parlamentarische Tyrann Eugen Richter ist für jene
Verluste nur ein kümmerlicher Ersatz, und die politischen Witzblätter in
Deutschland, für die der edle Freiheitsheld nach ihrer eignen Parteistelluug
unantastbar ist, haben sich deshalb entweder ganz oder zur Hälfte in unpoli¬
tische im Stil der Münchner Fliegenden Blätter umgewandelt.

Wir haben oben von solchen Darstellungen ans dem deutsch-französischen
Kriege gesprochen, in denen Bismarck nur als Glied einer Gruppe erscheint.
In den Vordergrund tritt er erst in den Tagen von Sedan, wo das seit
Jahren mit Napoleon III. geführte diplomatische Scharmützel sozusagen zu
einem persönlichen Zweikampfe wurde, wo die Thätigkeit des leitenden Staats¬
mannes neben der Arbeit des Schwertes zuerst wieder in die weitere Ent¬
wicklung der Dinge eingriff. Das charaktervollste Abbild des Kanzlers aus
jenen Tagen, ein geschichtliches Dokument, verdanken wir dem Zeichner und
Schriftsteller Ludwig Pietsch: eine gezeichnete Angeublicksaufuechme -- photo¬
graphische gab es damals noch nicht --, die Bismarck auf der Höhe vor
Sedan mit ausgespreizten Beinen, den Verlauf der Schlacht mit dem Feldstecher
beobachtend, darstellt, leider von hinten, aber in jedem Zuge so voll Geist und
Leben, daß die nervöse Erregung, die den gewaltigen Mann erfüllt, auch ohne
die Mitwirkung des Antlitzes sichtbar wird. Es kommen dann jene Darstellungen
in Betracht, die die Kapitulationsverhandlnngei? mit Geuercil v. Wimpffeu am
Abend des 1. September schildern und unter denen die von Bleibtreu und
A. v. Werner den Vorgang, nach dem Bericht eines Augenzeugen, des jetzigen
Kriegsministers v. Verdy du Vernois, am treuesten schildern. Das erste
Wort führte dabei aber nicht Bismarck, sondern Moltke, dessen Gestalt die
Komposition beherrscht, während Bismarck nur den Beobachter spielt, der die
Gegner scharf ins Auge faßt. Einen Augenblick des folgenden Tages, die
Begegnung Napoleons mit Bismarck, giebt ein Bild von W. Camphausen
wieder, dem man jedoch mit Recht eine zu untergeordnete Auffassung des
Kanzlers zum Vorwurf macht. Bismarck sieht aus wie ein Gendarm, der
einen Gefangnen begleitet. Wirksamer und vornehmer ist eine Darstellung
desselben Vorganges von A. v. Werner, die den Kanzler, vom Rücken gesehen,
im Vordergrunde reitend zeigt, während ihn Napoleon und seine Begleiter
neben dem auf der Chaussee haltenden Wagen stehend erwarten.

Wenn man von einem "offiziellen" Maler des Fürsten Bismarck sprechen
will, d. h. von einem Maler, der berufen wurde und noch wird, ihn in seiner
amtlichen Eigenschaft bei Haupt- und Staatsaktionen vorzuführen, kann nur


Grmzbvte" III 1890 2

Umwandlung Frankreichs in eine Republik so gut wie unmöglich geworden.
Durch den Sturz Napoleons III. war der politischen Karrikatur eine der
Grundlagen ihrer Blüte entzogen worden. Ein zweiter Grundpfeiler ist mit
Bismarck gefallen. Nach einer andern Ursache braucht mau gar nicht zu
suchen, um den Rückgang des Kladderadatsch und andrer satirisch-humoristischen
Blätter zu erklären. Der parlamentarische Tyrann Eugen Richter ist für jene
Verluste nur ein kümmerlicher Ersatz, und die politischen Witzblätter in
Deutschland, für die der edle Freiheitsheld nach ihrer eignen Parteistelluug
unantastbar ist, haben sich deshalb entweder ganz oder zur Hälfte in unpoli¬
tische im Stil der Münchner Fliegenden Blätter umgewandelt.

Wir haben oben von solchen Darstellungen ans dem deutsch-französischen
Kriege gesprochen, in denen Bismarck nur als Glied einer Gruppe erscheint.
In den Vordergrund tritt er erst in den Tagen von Sedan, wo das seit
Jahren mit Napoleon III. geführte diplomatische Scharmützel sozusagen zu
einem persönlichen Zweikampfe wurde, wo die Thätigkeit des leitenden Staats¬
mannes neben der Arbeit des Schwertes zuerst wieder in die weitere Ent¬
wicklung der Dinge eingriff. Das charaktervollste Abbild des Kanzlers aus
jenen Tagen, ein geschichtliches Dokument, verdanken wir dem Zeichner und
Schriftsteller Ludwig Pietsch: eine gezeichnete Angeublicksaufuechme — photo¬
graphische gab es damals noch nicht —, die Bismarck auf der Höhe vor
Sedan mit ausgespreizten Beinen, den Verlauf der Schlacht mit dem Feldstecher
beobachtend, darstellt, leider von hinten, aber in jedem Zuge so voll Geist und
Leben, daß die nervöse Erregung, die den gewaltigen Mann erfüllt, auch ohne
die Mitwirkung des Antlitzes sichtbar wird. Es kommen dann jene Darstellungen
in Betracht, die die Kapitulationsverhandlnngei? mit Geuercil v. Wimpffeu am
Abend des 1. September schildern und unter denen die von Bleibtreu und
A. v. Werner den Vorgang, nach dem Bericht eines Augenzeugen, des jetzigen
Kriegsministers v. Verdy du Vernois, am treuesten schildern. Das erste
Wort führte dabei aber nicht Bismarck, sondern Moltke, dessen Gestalt die
Komposition beherrscht, während Bismarck nur den Beobachter spielt, der die
Gegner scharf ins Auge faßt. Einen Augenblick des folgenden Tages, die
Begegnung Napoleons mit Bismarck, giebt ein Bild von W. Camphausen
wieder, dem man jedoch mit Recht eine zu untergeordnete Auffassung des
Kanzlers zum Vorwurf macht. Bismarck sieht aus wie ein Gendarm, der
einen Gefangnen begleitet. Wirksamer und vornehmer ist eine Darstellung
desselben Vorganges von A. v. Werner, die den Kanzler, vom Rücken gesehen,
im Vordergrunde reitend zeigt, während ihn Napoleon und seine Begleiter
neben dem auf der Chaussee haltenden Wagen stehend erwarten.

Wenn man von einem „offiziellen" Maler des Fürsten Bismarck sprechen
will, d. h. von einem Maler, der berufen wurde und noch wird, ihn in seiner
amtlichen Eigenschaft bei Haupt- und Staatsaktionen vorzuführen, kann nur


Grmzbvte» III 1890 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207954"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> Umwandlung Frankreichs in eine Republik so gut wie unmöglich geworden.<lb/>
Durch den Sturz Napoleons III. war der politischen Karrikatur eine der<lb/>
Grundlagen ihrer Blüte entzogen worden. Ein zweiter Grundpfeiler ist mit<lb/>
Bismarck gefallen. Nach einer andern Ursache braucht mau gar nicht zu<lb/>
suchen, um den Rückgang des Kladderadatsch und andrer satirisch-humoristischen<lb/>
Blätter zu erklären. Der parlamentarische Tyrann Eugen Richter ist für jene<lb/>
Verluste nur ein kümmerlicher Ersatz, und die politischen Witzblätter in<lb/>
Deutschland, für die der edle Freiheitsheld nach ihrer eignen Parteistelluug<lb/>
unantastbar ist, haben sich deshalb entweder ganz oder zur Hälfte in unpoli¬<lb/>
tische im Stil der Münchner Fliegenden Blätter umgewandelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17"> Wir haben oben von solchen Darstellungen ans dem deutsch-französischen<lb/>
Kriege gesprochen, in denen Bismarck nur als Glied einer Gruppe erscheint.<lb/>
In den Vordergrund tritt er erst in den Tagen von Sedan, wo das seit<lb/>
Jahren mit Napoleon III. geführte diplomatische Scharmützel sozusagen zu<lb/>
einem persönlichen Zweikampfe wurde, wo die Thätigkeit des leitenden Staats¬<lb/>
mannes neben der Arbeit des Schwertes zuerst wieder in die weitere Ent¬<lb/>
wicklung der Dinge eingriff.  Das charaktervollste Abbild des Kanzlers aus<lb/>
jenen Tagen, ein geschichtliches Dokument, verdanken wir dem Zeichner und<lb/>
Schriftsteller Ludwig Pietsch: eine gezeichnete Angeublicksaufuechme &#x2014; photo¬<lb/>
graphische gab es damals noch nicht &#x2014;, die Bismarck auf der Höhe vor<lb/>
Sedan mit ausgespreizten Beinen, den Verlauf der Schlacht mit dem Feldstecher<lb/>
beobachtend, darstellt, leider von hinten, aber in jedem Zuge so voll Geist und<lb/>
Leben, daß die nervöse Erregung, die den gewaltigen Mann erfüllt, auch ohne<lb/>
die Mitwirkung des Antlitzes sichtbar wird. Es kommen dann jene Darstellungen<lb/>
in Betracht, die die Kapitulationsverhandlnngei? mit Geuercil v. Wimpffeu am<lb/>
Abend des 1. September schildern und unter denen die von Bleibtreu und<lb/>
A. v. Werner den Vorgang, nach dem Bericht eines Augenzeugen, des jetzigen<lb/>
Kriegsministers v. Verdy du Vernois, am treuesten schildern.  Das erste<lb/>
Wort führte dabei aber nicht Bismarck, sondern Moltke, dessen Gestalt die<lb/>
Komposition beherrscht, während Bismarck nur den Beobachter spielt, der die<lb/>
Gegner scharf ins Auge faßt.  Einen Augenblick des folgenden Tages, die<lb/>
Begegnung Napoleons mit Bismarck, giebt ein Bild von W. Camphausen<lb/>
wieder, dem man jedoch mit Recht eine zu untergeordnete Auffassung des<lb/>
Kanzlers zum Vorwurf macht.  Bismarck sieht aus wie ein Gendarm, der<lb/>
einen Gefangnen begleitet.  Wirksamer und vornehmer ist eine Darstellung<lb/>
desselben Vorganges von A. v. Werner, die den Kanzler, vom Rücken gesehen,<lb/>
im Vordergrunde reitend zeigt, während ihn Napoleon und seine Begleiter<lb/>
neben dem auf der Chaussee haltenden Wagen stehend erwarten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18" next="#ID_19"> Wenn man von einem &#x201E;offiziellen" Maler des Fürsten Bismarck sprechen<lb/>
will, d. h. von einem Maler, der berufen wurde und noch wird, ihn in seiner<lb/>
amtlichen Eigenschaft bei Haupt- und Staatsaktionen vorzuführen, kann nur</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbvte» III 1890 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Umwandlung Frankreichs in eine Republik so gut wie unmöglich geworden. Durch den Sturz Napoleons III. war der politischen Karrikatur eine der Grundlagen ihrer Blüte entzogen worden. Ein zweiter Grundpfeiler ist mit Bismarck gefallen. Nach einer andern Ursache braucht mau gar nicht zu suchen, um den Rückgang des Kladderadatsch und andrer satirisch-humoristischen Blätter zu erklären. Der parlamentarische Tyrann Eugen Richter ist für jene Verluste nur ein kümmerlicher Ersatz, und die politischen Witzblätter in Deutschland, für die der edle Freiheitsheld nach ihrer eignen Parteistelluug unantastbar ist, haben sich deshalb entweder ganz oder zur Hälfte in unpoli¬ tische im Stil der Münchner Fliegenden Blätter umgewandelt. Wir haben oben von solchen Darstellungen ans dem deutsch-französischen Kriege gesprochen, in denen Bismarck nur als Glied einer Gruppe erscheint. In den Vordergrund tritt er erst in den Tagen von Sedan, wo das seit Jahren mit Napoleon III. geführte diplomatische Scharmützel sozusagen zu einem persönlichen Zweikampfe wurde, wo die Thätigkeit des leitenden Staats¬ mannes neben der Arbeit des Schwertes zuerst wieder in die weitere Ent¬ wicklung der Dinge eingriff. Das charaktervollste Abbild des Kanzlers aus jenen Tagen, ein geschichtliches Dokument, verdanken wir dem Zeichner und Schriftsteller Ludwig Pietsch: eine gezeichnete Angeublicksaufuechme — photo¬ graphische gab es damals noch nicht —, die Bismarck auf der Höhe vor Sedan mit ausgespreizten Beinen, den Verlauf der Schlacht mit dem Feldstecher beobachtend, darstellt, leider von hinten, aber in jedem Zuge so voll Geist und Leben, daß die nervöse Erregung, die den gewaltigen Mann erfüllt, auch ohne die Mitwirkung des Antlitzes sichtbar wird. Es kommen dann jene Darstellungen in Betracht, die die Kapitulationsverhandlnngei? mit Geuercil v. Wimpffeu am Abend des 1. September schildern und unter denen die von Bleibtreu und A. v. Werner den Vorgang, nach dem Bericht eines Augenzeugen, des jetzigen Kriegsministers v. Verdy du Vernois, am treuesten schildern. Das erste Wort führte dabei aber nicht Bismarck, sondern Moltke, dessen Gestalt die Komposition beherrscht, während Bismarck nur den Beobachter spielt, der die Gegner scharf ins Auge faßt. Einen Augenblick des folgenden Tages, die Begegnung Napoleons mit Bismarck, giebt ein Bild von W. Camphausen wieder, dem man jedoch mit Recht eine zu untergeordnete Auffassung des Kanzlers zum Vorwurf macht. Bismarck sieht aus wie ein Gendarm, der einen Gefangnen begleitet. Wirksamer und vornehmer ist eine Darstellung desselben Vorganges von A. v. Werner, die den Kanzler, vom Rücken gesehen, im Vordergrunde reitend zeigt, während ihn Napoleon und seine Begleiter neben dem auf der Chaussee haltenden Wagen stehend erwarten. Wenn man von einem „offiziellen" Maler des Fürsten Bismarck sprechen will, d. h. von einem Maler, der berufen wurde und noch wird, ihn in seiner amtlichen Eigenschaft bei Haupt- und Staatsaktionen vorzuführen, kann nur Grmzbvte» III 1890 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/17>, abgerufen am 26.06.2024.