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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Lisnnnck und die bildende llunst

hat nur der Kladderadatsch gemacht, indem er sowohl in den Zeiten des
schärfsten Konflikts, wo er an der Spitze der Opposition stand, als in den
für ihn trübem Zeiten nach 1870, wo sich bisweilen anch ihm die
Sonne Bismarckscher Gunst bis zur totalen Berfinsternng verhüllte, niemals
den vornehmen Geist verleugnete, den Wilhelm Scholz seinen Zeichnungen
aufgeprägt hat nud an dem das Blatt auch heute noch festhält, obwohl
Scholz nach einer mehr als vierzigjährigen Thätigkeit von unerschöpflicher
Fruchtbarkeit in der letzten Zeit seine Arbeitslast auf jüngere Schultern gelegt
hat. Grand-Carteret hat gegen Scholz den Vorwurf erhoben, daß er "ewig
denselben Vismarcl gesehn" und dargestellt habe. Diese Behauptung wird
durch einen Blick in das Bismarckalbnm widerlegt, das uus im Gegenteil
von Seite zu Seite belehrt, wie sich der Zeichner immer mehr von der
wachsenden Bedeutung des Staatsmannes hat überzeugen lassen, wie er immer
größere Sorgfalt auf die Wiedergabe seiner Züge verwendet, wie sich all¬
mählich aus dem aalglatten, schlangengleichen Diplomaten, aus dessen Zügen
bald mehr der hochfahrende Junker, bald mehr der verschmitzte Mephisto
herausblickt, die gewaltige, alle Mit- und Widerstrebenden überragende Per¬
sönlichkeit entwickelt, und wie der Gigant endlich zu einem monumentalen
Typus wird, dessen beste und geistvollste Erscheinungsformen gerade in den
Schvlzschen Zeichnungen aus den siebziger und achtziger Jahren zu finden
sind. Freilich blieb Scholz nicht vor dem Schicksal bewahrt, dein die Mehr¬
zahl aller fruchtbaren Künstler verfällt: er geriet am Ende in eine trockne,
einförmige Manier. Aber ihre Schattenseiten machen sich nur in den Einzel¬
heiten der Zeichnung, besonders in den Extremitäten, geltend, nicht in der
Erfindung, die an Mannichfaltigkeit in dem Grade zunimmt, wie der poli¬
tische Machtkreis und der Einfluß des Fürsten Bismarck wachsen. Mail wird
dieselbe Beobachtung übrigens bei allen Zeichnern machen, die Jahrzehnte laug
für ein bestimmtes Blatt thätig sind, dessen Wvchenbedarf sie gewissermaßen
zu decken haben. Wir erinnern nur an die Franzosen Gavarni, Esau und
Gruvin, an den Wiener Zeichner Klie, an einige Zeichner der Fliegenden
Blätter, besonders an Oberländer und Schlittgen, an Hermann Scherenberg,
den Illustrator des "Alls," des einzigen deutscheu Witzblattes politischen In¬
haltes, das sich neben dem Kladderadatsch längere Zeit behauptet hat, freilich
nicht selbständig, sondern als Beilage zu eiuer verbreiteten Tageszeitung. Ich
möchte hierbei die Frage berühren, ob sich das Interesse der großen Masse an
der politischen Karrikatur nicht in neuerer Zeit in dem Maße verringert
habe, als dein Einzelne" die Teilnahme am politischen Leben leichter gemacht
worden ist. Die politische Karrikatur ist eine Pflanze, die am üppigsten unter
dem Drucke einer Gewaltherrschaft oder eines verächtlichen Regiments gedeiht.
Beide Regierungsformen sind in Europa, wenn man von Rußland absieht,
durch die Zunahme der parlamentarischen Einflüsse und besonders dnrch die


Fürst Lisnnnck und die bildende llunst

hat nur der Kladderadatsch gemacht, indem er sowohl in den Zeiten des
schärfsten Konflikts, wo er an der Spitze der Opposition stand, als in den
für ihn trübem Zeiten nach 1870, wo sich bisweilen anch ihm die
Sonne Bismarckscher Gunst bis zur totalen Berfinsternng verhüllte, niemals
den vornehmen Geist verleugnete, den Wilhelm Scholz seinen Zeichnungen
aufgeprägt hat nud an dem das Blatt auch heute noch festhält, obwohl
Scholz nach einer mehr als vierzigjährigen Thätigkeit von unerschöpflicher
Fruchtbarkeit in der letzten Zeit seine Arbeitslast auf jüngere Schultern gelegt
hat. Grand-Carteret hat gegen Scholz den Vorwurf erhoben, daß er „ewig
denselben Vismarcl gesehn" und dargestellt habe. Diese Behauptung wird
durch einen Blick in das Bismarckalbnm widerlegt, das uus im Gegenteil
von Seite zu Seite belehrt, wie sich der Zeichner immer mehr von der
wachsenden Bedeutung des Staatsmannes hat überzeugen lassen, wie er immer
größere Sorgfalt auf die Wiedergabe seiner Züge verwendet, wie sich all¬
mählich aus dem aalglatten, schlangengleichen Diplomaten, aus dessen Zügen
bald mehr der hochfahrende Junker, bald mehr der verschmitzte Mephisto
herausblickt, die gewaltige, alle Mit- und Widerstrebenden überragende Per¬
sönlichkeit entwickelt, und wie der Gigant endlich zu einem monumentalen
Typus wird, dessen beste und geistvollste Erscheinungsformen gerade in den
Schvlzschen Zeichnungen aus den siebziger und achtziger Jahren zu finden
sind. Freilich blieb Scholz nicht vor dem Schicksal bewahrt, dein die Mehr¬
zahl aller fruchtbaren Künstler verfällt: er geriet am Ende in eine trockne,
einförmige Manier. Aber ihre Schattenseiten machen sich nur in den Einzel¬
heiten der Zeichnung, besonders in den Extremitäten, geltend, nicht in der
Erfindung, die an Mannichfaltigkeit in dem Grade zunimmt, wie der poli¬
tische Machtkreis und der Einfluß des Fürsten Bismarck wachsen. Mail wird
dieselbe Beobachtung übrigens bei allen Zeichnern machen, die Jahrzehnte laug
für ein bestimmtes Blatt thätig sind, dessen Wvchenbedarf sie gewissermaßen
zu decken haben. Wir erinnern nur an die Franzosen Gavarni, Esau und
Gruvin, an den Wiener Zeichner Klie, an einige Zeichner der Fliegenden
Blätter, besonders an Oberländer und Schlittgen, an Hermann Scherenberg,
den Illustrator des „Alls," des einzigen deutscheu Witzblattes politischen In¬
haltes, das sich neben dem Kladderadatsch längere Zeit behauptet hat, freilich
nicht selbständig, sondern als Beilage zu eiuer verbreiteten Tageszeitung. Ich
möchte hierbei die Frage berühren, ob sich das Interesse der großen Masse an
der politischen Karrikatur nicht in neuerer Zeit in dem Maße verringert
habe, als dein Einzelne» die Teilnahme am politischen Leben leichter gemacht
worden ist. Die politische Karrikatur ist eine Pflanze, die am üppigsten unter
dem Drucke einer Gewaltherrschaft oder eines verächtlichen Regiments gedeiht.
Beide Regierungsformen sind in Europa, wenn man von Rußland absieht,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/16>, abgerufen am 26.06.2024.