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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck und die bildende Kunst

A. v. Werner genannt werden. Er hat zu wiederholten malen Gelegenheit
gehabt, den Reichskanzler nach der Natur zu zeichnen, und diese Pvrträtstudieu
hat er seinen verschiednen Darstellungen der Kaiserproklamation zu Versailles,
dein im Auftrage des Berliner Magistrats gemalten Bilde zur Erinnerung an
den Berliner Kongreß von 1878 und einem Bildnis, das den Fürsten Bismarck
mir Bnndesratstisch im Reichstag als Redner zeigt, zu Grunde gelegt. Auch
an diesen Bildern hat man den Mangel an vornehmer, monumentaler Auf¬
fassung und an genügendem Ausdruck der geistigen Kräfte, die sich im Ange-
sichte eines bedeutenden Mannes wiederspiegeln sollen, gerügt, und am meisten
begründet ist dieser Tadel bei dem Kongreßbilde, auf dem die Charakteristik
der Hauptfiguren hinter ihrer geistigen Bedeutung allerdings zurückgeblieben
ist und jener Mangel an geistiger und selbst an äußerer Vornehmheit am
stärksten empfunden wird. A. v. Werners künstlerisches Naturell ist kühl
und bedächtig. Er giebt nur die Oberfläche der Dinge wieder, diese allerdings
in tadelloser Vollkommenheit und Wahrheit, aber in die Tiefe dringt er nicht,
und das Reich der Phantasie ist ihm auch verschlossen. Immerhin befähigen
ihn die Eigenschaften, die er besitzt, wenn nicht zum Porträtmaler im weitesten
Umfange dieser Kunst, so doch zum treuen Chronisten aller jener feierlichen
Vorgänge im modernen Staatsleben, bei denen sich die wirkliche geistige
Physiognomie des Einzelnen bis zur Selbstverleugnung hinter der Uniform oder
dem Galakleide des Hof- und Staatsbeamten verbirgt und auch verbergen muß,
da bei solchen Gelegenheiten die Kundgebung von persönlichen Stimmungen
und geistigen Regungen unangemessen wäre.

Viel zuverlässiger, treuer und im großen und ganzen auch erschöpfender
als die gemalten Bilder des Fürsten Bismarck sind die plastischen, obwohl auch
hier nur, wie schon bemerkt, sehr wenige hervorragende Künstler in Betracht
kommen, denen der Fürst gesessen hat. Die Kolossalstatue des Fürsten Bismarck,
die Schayer für Köln geschaffen hat, ist die künstlerische Schöpfung, die der
geschichtlichen Erscheinung und dem geistigen Wesen des ersten deutschen Reichs¬
kanzlers am meisten, vielleicht vollkommen gerecht wird. Keine Übertreibung
ins Dämonisch-Geniale, aber auch keine geistige Unterbilanz, kein Zug zum
Pathetischen, aber auch kein Stich in die graue Langeweile der kleinbürgerlichen
Photographie! Zu spüren ist dieser Stich etwas an einer Büste desselben
Künstlers, die den Kanzler in Zivilkleidung darstellt. Es scheint aber, daß
dieser Maugel mehr der bürgerlichen Tracht, die der plastischen Verkörperung
nicht bloß Bismnrcks, sondern auch vieler andern Leute ungünstig ist, als der
Auffassung und Charakteristik des Künstlers zur Last zu legen sei. Die
Marmorbüsten Donndorfs, zu denen der Künstler die Studien nach der Natur
etwa seit 1885 gemacht hat, sind Urkunden von unanfechtbarer Treue und
zugleich Spiegelbilder des kühnen, energischen Geistes, dessen Sitz das gewaltige,
der monumentalen Gestaltung wie kaum ein zweites entgegenkommende Haupt


Fürst Bismarck und die bildende Kunst

A. v. Werner genannt werden. Er hat zu wiederholten malen Gelegenheit
gehabt, den Reichskanzler nach der Natur zu zeichnen, und diese Pvrträtstudieu
hat er seinen verschiednen Darstellungen der Kaiserproklamation zu Versailles,
dein im Auftrage des Berliner Magistrats gemalten Bilde zur Erinnerung an
den Berliner Kongreß von 1878 und einem Bildnis, das den Fürsten Bismarck
mir Bnndesratstisch im Reichstag als Redner zeigt, zu Grunde gelegt. Auch
an diesen Bildern hat man den Mangel an vornehmer, monumentaler Auf¬
fassung und an genügendem Ausdruck der geistigen Kräfte, die sich im Ange-
sichte eines bedeutenden Mannes wiederspiegeln sollen, gerügt, und am meisten
begründet ist dieser Tadel bei dem Kongreßbilde, auf dem die Charakteristik
der Hauptfiguren hinter ihrer geistigen Bedeutung allerdings zurückgeblieben
ist und jener Mangel an geistiger und selbst an äußerer Vornehmheit am
stärksten empfunden wird. A. v. Werners künstlerisches Naturell ist kühl
und bedächtig. Er giebt nur die Oberfläche der Dinge wieder, diese allerdings
in tadelloser Vollkommenheit und Wahrheit, aber in die Tiefe dringt er nicht,
und das Reich der Phantasie ist ihm auch verschlossen. Immerhin befähigen
ihn die Eigenschaften, die er besitzt, wenn nicht zum Porträtmaler im weitesten
Umfange dieser Kunst, so doch zum treuen Chronisten aller jener feierlichen
Vorgänge im modernen Staatsleben, bei denen sich die wirkliche geistige
Physiognomie des Einzelnen bis zur Selbstverleugnung hinter der Uniform oder
dem Galakleide des Hof- und Staatsbeamten verbirgt und auch verbergen muß,
da bei solchen Gelegenheiten die Kundgebung von persönlichen Stimmungen
und geistigen Regungen unangemessen wäre.

Viel zuverlässiger, treuer und im großen und ganzen auch erschöpfender
als die gemalten Bilder des Fürsten Bismarck sind die plastischen, obwohl auch
hier nur, wie schon bemerkt, sehr wenige hervorragende Künstler in Betracht
kommen, denen der Fürst gesessen hat. Die Kolossalstatue des Fürsten Bismarck,
die Schayer für Köln geschaffen hat, ist die künstlerische Schöpfung, die der
geschichtlichen Erscheinung und dem geistigen Wesen des ersten deutschen Reichs¬
kanzlers am meisten, vielleicht vollkommen gerecht wird. Keine Übertreibung
ins Dämonisch-Geniale, aber auch keine geistige Unterbilanz, kein Zug zum
Pathetischen, aber auch kein Stich in die graue Langeweile der kleinbürgerlichen
Photographie! Zu spüren ist dieser Stich etwas an einer Büste desselben
Künstlers, die den Kanzler in Zivilkleidung darstellt. Es scheint aber, daß
dieser Maugel mehr der bürgerlichen Tracht, die der plastischen Verkörperung
nicht bloß Bismnrcks, sondern auch vieler andern Leute ungünstig ist, als der
Auffassung und Charakteristik des Künstlers zur Last zu legen sei. Die
Marmorbüsten Donndorfs, zu denen der Künstler die Studien nach der Natur
etwa seit 1885 gemacht hat, sind Urkunden von unanfechtbarer Treue und
zugleich Spiegelbilder des kühnen, energischen Geistes, dessen Sitz das gewaltige,
der monumentalen Gestaltung wie kaum ein zweites entgegenkommende Haupt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/18>, abgerufen am 25.07.2024.