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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Almmieumsorimierungen

Waren von doppelter Art. Die einen führten den seltsamen Namen "Extra"
und hatten große Ähnlichkeit mit der Kurrende. Wenn nach Schluß des Vvr-
mittagsnnterrichts an der Klingel der Ruf ertönte: "Erstes Chor Extra!" -- zu
unsrer Schande muß ich gestehen, daß "Chor" in unserm Sprachgebrauch
als Neutrum behandelt wurde --, so waren wir anch nicht gerade erbaut.
Der erste Chor machte sich dann unter Führung seines Prnfekten nach dem
Sterbehcmse auf, von wo das Singen bestellt worden war; dort bildeten wir
wieder den üblichen Halbkreis um die Hausthür und sangen zwei Sterbelieder
aus dem Gesangbuch und eine Trauerarie. Für diese Leistung wurden -- zwei
Thaler bezahlt, wovon der führende Präfekt fünfzehn Neugroschen und der
Kantor, der inzwischen ruhig zu Hause auf seinem Sofa saß, auch fünfzehn
Neugroschen bekam; der zweite Thaler wanderte in die "Chvrkasfe." Wo sich
diese befand, wer sie verwaltete, was daraus bezahlt wurde, habe ich nie er¬
fahren; nur fragten damals auch nicht darnach. Die Leute, die sich solche
Extra singen ließen, waren meist Kleinbürger, die noch an den Gebräuchen der
Altvordern festhielten; sie wohnten auch meist in der innern, alten Stadt, sodaß
wir nicht weit zu laufen hatten. Es kam aber doch auch vor, daß wir weit
hinaus in die Vorstadt mußten, der Präfekt ^."xsz" ^jZ"s voran, die schwarze
Schar in kleineren Schritten eilig hinterher. Dann fragten wir Wohl ungeduldig:
"Wo ist es denn? weiß es keiner, wos ist?" bis endlich der Präfekt, der sich
in vornehmes Schweigen hüllte oder höchstens einigen der Obern Aufschluß
gab, an der betreffenden Hausthür Halt machte.

Bisweilen geschah es, daß solche Singen für den Abend bestellt wurden,
mit Fackeln. Das ließ man sich schon eher gefallen, das war doch eine
interessante Abwechslung. Wir mußten die qualmenden Pechfackeln während
des Singens selber halten, und das war ein Hauptspaß. Bei solchen "Fackcl-
singen" wurde auch zur Schonung der Kleider alles hervorgesucht, was noch
von alten Chormänteln aufzutreiben war.

Vornehmer, beliebter und zahlreicher als die Extra waren die Singen
auf den Kirchhöfen bei Begräbnissen. Sie hatten einen noch wunderlicheren
Namen: ein solches Leichensingen beim Begräbnis hieß ein "Bär" -- ich
schreibe das Wort, so wie wirs sprachen. Vom Brumm- und Tanzbär unter¬
schied es sich sprachlich uur in der Mehrzahl: die hieß nicht Bären, sondern
Bäre. Woher dieser seltsame Name stammen mochte, die Frage hat uns viel
beschäftigt. Der Bär wurde nur von einem Doppelquartett gesungen, und
zwar immer vou denselben acht, nämlich von den beiden Präfekten und sechs
Solvsängern. Der Idee nach sollten es wohl eigentlich aus jeder Stimme die
beiden besten Sänger sein, und die waren es ja auch unzweifelhaft im Sopran
und im Alt. Nun sollten und wollten aber doch auch stets die beiden Prä¬
fekten dabei sein, denn die Bäre bildeten das Jahr über eine fette Einnahme,
das Geld dafür floß nicht in jene geheimnisvolle Chvrkasfe, sondern in die


Almmieumsorimierungen

Waren von doppelter Art. Die einen führten den seltsamen Namen „Extra"
und hatten große Ähnlichkeit mit der Kurrende. Wenn nach Schluß des Vvr-
mittagsnnterrichts an der Klingel der Ruf ertönte: „Erstes Chor Extra!" — zu
unsrer Schande muß ich gestehen, daß „Chor" in unserm Sprachgebrauch
als Neutrum behandelt wurde —, so waren wir anch nicht gerade erbaut.
Der erste Chor machte sich dann unter Führung seines Prnfekten nach dem
Sterbehcmse auf, von wo das Singen bestellt worden war; dort bildeten wir
wieder den üblichen Halbkreis um die Hausthür und sangen zwei Sterbelieder
aus dem Gesangbuch und eine Trauerarie. Für diese Leistung wurden — zwei
Thaler bezahlt, wovon der führende Präfekt fünfzehn Neugroschen und der
Kantor, der inzwischen ruhig zu Hause auf seinem Sofa saß, auch fünfzehn
Neugroschen bekam; der zweite Thaler wanderte in die „Chvrkasfe." Wo sich
diese befand, wer sie verwaltete, was daraus bezahlt wurde, habe ich nie er¬
fahren; nur fragten damals auch nicht darnach. Die Leute, die sich solche
Extra singen ließen, waren meist Kleinbürger, die noch an den Gebräuchen der
Altvordern festhielten; sie wohnten auch meist in der innern, alten Stadt, sodaß
wir nicht weit zu laufen hatten. Es kam aber doch auch vor, daß wir weit
hinaus in die Vorstadt mußten, der Präfekt ^.«xsz« ^jZ«s voran, die schwarze
Schar in kleineren Schritten eilig hinterher. Dann fragten wir Wohl ungeduldig:
„Wo ist es denn? weiß es keiner, wos ist?" bis endlich der Präfekt, der sich
in vornehmes Schweigen hüllte oder höchstens einigen der Obern Aufschluß
gab, an der betreffenden Hausthür Halt machte.

Bisweilen geschah es, daß solche Singen für den Abend bestellt wurden,
mit Fackeln. Das ließ man sich schon eher gefallen, das war doch eine
interessante Abwechslung. Wir mußten die qualmenden Pechfackeln während
des Singens selber halten, und das war ein Hauptspaß. Bei solchen „Fackcl-
singen" wurde auch zur Schonung der Kleider alles hervorgesucht, was noch
von alten Chormänteln aufzutreiben war.

Vornehmer, beliebter und zahlreicher als die Extra waren die Singen
auf den Kirchhöfen bei Begräbnissen. Sie hatten einen noch wunderlicheren
Namen: ein solches Leichensingen beim Begräbnis hieß ein „Bär" — ich
schreibe das Wort, so wie wirs sprachen. Vom Brumm- und Tanzbär unter¬
schied es sich sprachlich uur in der Mehrzahl: die hieß nicht Bären, sondern
Bäre. Woher dieser seltsame Name stammen mochte, die Frage hat uns viel
beschäftigt. Der Bär wurde nur von einem Doppelquartett gesungen, und
zwar immer vou denselben acht, nämlich von den beiden Präfekten und sechs
Solvsängern. Der Idee nach sollten es wohl eigentlich aus jeder Stimme die
beiden besten Sänger sein, und die waren es ja auch unzweifelhaft im Sopran
und im Alt. Nun sollten und wollten aber doch auch stets die beiden Prä¬
fekten dabei sein, denn die Bäre bildeten das Jahr über eine fette Einnahme,
das Geld dafür floß nicht in jene geheimnisvolle Chvrkasfe, sondern in die


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[0141] Almmieumsorimierungen Waren von doppelter Art. Die einen führten den seltsamen Namen „Extra" und hatten große Ähnlichkeit mit der Kurrende. Wenn nach Schluß des Vvr- mittagsnnterrichts an der Klingel der Ruf ertönte: „Erstes Chor Extra!" — zu unsrer Schande muß ich gestehen, daß „Chor" in unserm Sprachgebrauch als Neutrum behandelt wurde —, so waren wir anch nicht gerade erbaut. Der erste Chor machte sich dann unter Führung seines Prnfekten nach dem Sterbehcmse auf, von wo das Singen bestellt worden war; dort bildeten wir wieder den üblichen Halbkreis um die Hausthür und sangen zwei Sterbelieder aus dem Gesangbuch und eine Trauerarie. Für diese Leistung wurden — zwei Thaler bezahlt, wovon der führende Präfekt fünfzehn Neugroschen und der Kantor, der inzwischen ruhig zu Hause auf seinem Sofa saß, auch fünfzehn Neugroschen bekam; der zweite Thaler wanderte in die „Chvrkasfe." Wo sich diese befand, wer sie verwaltete, was daraus bezahlt wurde, habe ich nie er¬ fahren; nur fragten damals auch nicht darnach. Die Leute, die sich solche Extra singen ließen, waren meist Kleinbürger, die noch an den Gebräuchen der Altvordern festhielten; sie wohnten auch meist in der innern, alten Stadt, sodaß wir nicht weit zu laufen hatten. Es kam aber doch auch vor, daß wir weit hinaus in die Vorstadt mußten, der Präfekt ^.«xsz« ^jZ«s voran, die schwarze Schar in kleineren Schritten eilig hinterher. Dann fragten wir Wohl ungeduldig: „Wo ist es denn? weiß es keiner, wos ist?" bis endlich der Präfekt, der sich in vornehmes Schweigen hüllte oder höchstens einigen der Obern Aufschluß gab, an der betreffenden Hausthür Halt machte. Bisweilen geschah es, daß solche Singen für den Abend bestellt wurden, mit Fackeln. Das ließ man sich schon eher gefallen, das war doch eine interessante Abwechslung. Wir mußten die qualmenden Pechfackeln während des Singens selber halten, und das war ein Hauptspaß. Bei solchen „Fackcl- singen" wurde auch zur Schonung der Kleider alles hervorgesucht, was noch von alten Chormänteln aufzutreiben war. Vornehmer, beliebter und zahlreicher als die Extra waren die Singen auf den Kirchhöfen bei Begräbnissen. Sie hatten einen noch wunderlicheren Namen: ein solches Leichensingen beim Begräbnis hieß ein „Bär" — ich schreibe das Wort, so wie wirs sprachen. Vom Brumm- und Tanzbär unter¬ schied es sich sprachlich uur in der Mehrzahl: die hieß nicht Bären, sondern Bäre. Woher dieser seltsame Name stammen mochte, die Frage hat uns viel beschäftigt. Der Bär wurde nur von einem Doppelquartett gesungen, und zwar immer vou denselben acht, nämlich von den beiden Präfekten und sechs Solvsängern. Der Idee nach sollten es wohl eigentlich aus jeder Stimme die beiden besten Sänger sein, und die waren es ja auch unzweifelhaft im Sopran und im Alt. Nun sollten und wollten aber doch auch stets die beiden Prä¬ fekten dabei sein, denn die Bäre bildeten das Jahr über eine fette Einnahme, das Geld dafür floß nicht in jene geheimnisvolle Chvrkasfe, sondern in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/141>, abgerufen am 28.09.2024.