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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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ohne Schnitt, ein Ding, etwa wie es einem der Haarschneider umhängt. Aber
dieser Chvrmcmtel wurde bei der Aufnahme nur erwähnt, drauf gedrungen
wurde nicht mehr, und so schaffte sich ihn auch niemand mehr an. Es gab
aber noch eine Anzahl aus frühern Jahren in den kleinen Kurrendanerschränken,
die auf der Tablate standen, und in denen die Knrrendaner für unvorher¬
gesehene Fälle Zylinder, Frack und Gesangbuch aufbewahrte"; da lagen auch
noch ein paar solche Mäntel, und ich habe selbst noch einige von uns in diesen
dünnen, fadenscheinigen Lirepipien beim Straßcnsingen herumlaufen sehen.
Für gewöhnlich nun, und auch zum Gottesdienst, brauchten wir nur im dunkeln
Anzüge zu gehen. Dazu trugen wir eine grüne Mütze, die in Dresden sehr
geschickt und sein angefertigt wurde, noch geschickter und feiner in Leipzig bei
der Witwe Saft in Auerbachs Hof, von wo, wer das Geld dazu übrig hatte,
sich alljährlich eine neue kommen ließ. Es waren das noch wirkliche Mützen,
weich, nach wenigen Wochen des Gebrauchs sich in hübschen Falten zusammen¬
setzend, nicht solche Jammertöpfe mit Rohr und Pappe, wie man sie hente
trägt. Aber bei allem Straßensingen, auch beim Kirchhofssingen, war der Zy¬
linder vorgeschrieben. Nun denke man sich, daß wir in diesem Auszüge, der
uns selber lächerlich war, Sonntags vormittags um elf Uhr an einem Hanse
auf der Schlvßgasse, wo schon damals um diese Zeit die vornehme Welt flanirte,
uns vor die Hausthür stellen und singen sollten! Als kleiner Kerl verschwand
man ja unter den übrigen und steckte die Nase ins Notenbuch. Aber als
Präfekt da stehen, dirigiren und sich angaffen lassen zu müssen -- es war
abscheulich. Kein Wunder, daß die Kurrende so selten wie möglich, nur aller
vier bis sechs Wochen einmal abgehalten wurden, und daß uns der Ruf an
der Klingel: "Alle Kurrende!" wohl das verhaßteste Kommando war. Mit¬
unter vergingen sogar Monate, ehe einmal an die Kurrende gedacht wurde;
wenn sie nnr nicht ganz einschlief.

Das Hans auf der Schloßgasse wechselte zu meiner Zeit einmal seinen
Besitzer, und der neue -- seines Zeichens ein Schneider -- mochte bei der
Übernahme uuter alten Papieren mich die Stiftungsurkunde unsers Singens
gefunden haben, er bestand plötzlich auf seinem Schein und verlangte, daß
wir jeden Sonntag vor seinem Hause singen sollten. Das Schnlarchiv war
natürlich auch im Besitz der Urkunde, es wurde nachgesehen, und siehe da, der
Mann hatte Recht. Aber in der Urkunde stand nur von einem Liedervers
etwas, und wir hatten doch immer eine lange Motette gesungen. Da gingen wir
denn wirklich einige Sonntage hinter einander hin und sangen unsern Liedervers.
Das hatte der gute Mann nicht erwartet. Er bat, wir möchten wieder kommen,
so oft wir wollten, aber nur ja eine Motette singen, und so kehrten wir denn
bereitwillig zu der frühern Einrichtung zurück.

Außer dein regelmäßigen Chordienst gab es nun aber noch unregel¬
mäßigen, außerordentlichen. Dazu gehörten vor allem die Leichensingm. Diese


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ohne Schnitt, ein Ding, etwa wie es einem der Haarschneider umhängt. Aber
dieser Chvrmcmtel wurde bei der Aufnahme nur erwähnt, drauf gedrungen
wurde nicht mehr, und so schaffte sich ihn auch niemand mehr an. Es gab
aber noch eine Anzahl aus frühern Jahren in den kleinen Kurrendanerschränken,
die auf der Tablate standen, und in denen die Knrrendaner für unvorher¬
gesehene Fälle Zylinder, Frack und Gesangbuch aufbewahrte»; da lagen auch
noch ein paar solche Mäntel, und ich habe selbst noch einige von uns in diesen
dünnen, fadenscheinigen Lirepipien beim Straßcnsingen herumlaufen sehen.
Für gewöhnlich nun, und auch zum Gottesdienst, brauchten wir nur im dunkeln
Anzüge zu gehen. Dazu trugen wir eine grüne Mütze, die in Dresden sehr
geschickt und sein angefertigt wurde, noch geschickter und feiner in Leipzig bei
der Witwe Saft in Auerbachs Hof, von wo, wer das Geld dazu übrig hatte,
sich alljährlich eine neue kommen ließ. Es waren das noch wirkliche Mützen,
weich, nach wenigen Wochen des Gebrauchs sich in hübschen Falten zusammen¬
setzend, nicht solche Jammertöpfe mit Rohr und Pappe, wie man sie hente
trägt. Aber bei allem Straßensingen, auch beim Kirchhofssingen, war der Zy¬
linder vorgeschrieben. Nun denke man sich, daß wir in diesem Auszüge, der
uns selber lächerlich war, Sonntags vormittags um elf Uhr an einem Hanse
auf der Schlvßgasse, wo schon damals um diese Zeit die vornehme Welt flanirte,
uns vor die Hausthür stellen und singen sollten! Als kleiner Kerl verschwand
man ja unter den übrigen und steckte die Nase ins Notenbuch. Aber als
Präfekt da stehen, dirigiren und sich angaffen lassen zu müssen — es war
abscheulich. Kein Wunder, daß die Kurrende so selten wie möglich, nur aller
vier bis sechs Wochen einmal abgehalten wurden, und daß uns der Ruf an
der Klingel: „Alle Kurrende!" wohl das verhaßteste Kommando war. Mit¬
unter vergingen sogar Monate, ehe einmal an die Kurrende gedacht wurde;
wenn sie nnr nicht ganz einschlief.

Das Hans auf der Schloßgasse wechselte zu meiner Zeit einmal seinen
Besitzer, und der neue — seines Zeichens ein Schneider — mochte bei der
Übernahme uuter alten Papieren mich die Stiftungsurkunde unsers Singens
gefunden haben, er bestand plötzlich auf seinem Schein und verlangte, daß
wir jeden Sonntag vor seinem Hause singen sollten. Das Schnlarchiv war
natürlich auch im Besitz der Urkunde, es wurde nachgesehen, und siehe da, der
Mann hatte Recht. Aber in der Urkunde stand nur von einem Liedervers
etwas, und wir hatten doch immer eine lange Motette gesungen. Da gingen wir
denn wirklich einige Sonntage hinter einander hin und sangen unsern Liedervers.
Das hatte der gute Mann nicht erwartet. Er bat, wir möchten wieder kommen,
so oft wir wollten, aber nur ja eine Motette singen, und so kehrten wir denn
bereitwillig zu der frühern Einrichtung zurück.

Außer dein regelmäßigen Chordienst gab es nun aber noch unregel¬
mäßigen, außerordentlichen. Dazu gehörten vor allem die Leichensingm. Diese


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[0140] Alttmneiimsenmienmgcn ohne Schnitt, ein Ding, etwa wie es einem der Haarschneider umhängt. Aber dieser Chvrmcmtel wurde bei der Aufnahme nur erwähnt, drauf gedrungen wurde nicht mehr, und so schaffte sich ihn auch niemand mehr an. Es gab aber noch eine Anzahl aus frühern Jahren in den kleinen Kurrendanerschränken, die auf der Tablate standen, und in denen die Knrrendaner für unvorher¬ gesehene Fälle Zylinder, Frack und Gesangbuch aufbewahrte»; da lagen auch noch ein paar solche Mäntel, und ich habe selbst noch einige von uns in diesen dünnen, fadenscheinigen Lirepipien beim Straßcnsingen herumlaufen sehen. Für gewöhnlich nun, und auch zum Gottesdienst, brauchten wir nur im dunkeln Anzüge zu gehen. Dazu trugen wir eine grüne Mütze, die in Dresden sehr geschickt und sein angefertigt wurde, noch geschickter und feiner in Leipzig bei der Witwe Saft in Auerbachs Hof, von wo, wer das Geld dazu übrig hatte, sich alljährlich eine neue kommen ließ. Es waren das noch wirkliche Mützen, weich, nach wenigen Wochen des Gebrauchs sich in hübschen Falten zusammen¬ setzend, nicht solche Jammertöpfe mit Rohr und Pappe, wie man sie hente trägt. Aber bei allem Straßensingen, auch beim Kirchhofssingen, war der Zy¬ linder vorgeschrieben. Nun denke man sich, daß wir in diesem Auszüge, der uns selber lächerlich war, Sonntags vormittags um elf Uhr an einem Hanse auf der Schlvßgasse, wo schon damals um diese Zeit die vornehme Welt flanirte, uns vor die Hausthür stellen und singen sollten! Als kleiner Kerl verschwand man ja unter den übrigen und steckte die Nase ins Notenbuch. Aber als Präfekt da stehen, dirigiren und sich angaffen lassen zu müssen — es war abscheulich. Kein Wunder, daß die Kurrende so selten wie möglich, nur aller vier bis sechs Wochen einmal abgehalten wurden, und daß uns der Ruf an der Klingel: „Alle Kurrende!" wohl das verhaßteste Kommando war. Mit¬ unter vergingen sogar Monate, ehe einmal an die Kurrende gedacht wurde; wenn sie nnr nicht ganz einschlief. Das Hans auf der Schloßgasse wechselte zu meiner Zeit einmal seinen Besitzer, und der neue — seines Zeichens ein Schneider — mochte bei der Übernahme uuter alten Papieren mich die Stiftungsurkunde unsers Singens gefunden haben, er bestand plötzlich auf seinem Schein und verlangte, daß wir jeden Sonntag vor seinem Hause singen sollten. Das Schnlarchiv war natürlich auch im Besitz der Urkunde, es wurde nachgesehen, und siehe da, der Mann hatte Recht. Aber in der Urkunde stand nur von einem Liedervers etwas, und wir hatten doch immer eine lange Motette gesungen. Da gingen wir denn wirklich einige Sonntage hinter einander hin und sangen unsern Liedervers. Das hatte der gute Mann nicht erwartet. Er bat, wir möchten wieder kommen, so oft wir wollten, aber nur ja eine Motette singen, und so kehrten wir denn bereitwillig zu der frühern Einrichtung zurück. Außer dein regelmäßigen Chordienst gab es nun aber noch unregel¬ mäßigen, außerordentlichen. Dazu gehörten vor allem die Leichensingm. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/140>, abgerufen am 28.09.2024.