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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alinmilumiserinnerungen

Tasche" der Sänger. Man konnte aber doch auch im Tenor und Baß
wenigstens den ersten Solofänger nicht ausschließen. Wenn beide Präfekten
zufällig von nennr Tenoristen gewesen wären, so wäre der Solofänger im
Tenor um seine Bäre gekommen. Die Sache wurde also, wenn irgend möglich
-- und es mußte möglich sein --, so eingerichtet, daß der eine Präfekt Tenor,
der andre Baß sang, so sehr sich auch vielleicht ihre Stimme ihre "stimm¬
liche Veranlagung" würden unsre Herren Kritiker jetzt schreiben dagegen
sträubte. Bezahlt wurden sür einen Bär vier Thaler. Davon bekam der erste
Präfekt fünfundzwanzig Neugroschen, der Kantor -- der wieder gar nichts dabei
that, oft nicht einmal die Bestellung annahm, denn die Leichenbitter oder
Leichenwäscherinnen, die das Singen zu bestellen hatten, kamen an: liebsten
gleich aufs Alumneum -- zwanzig Neugroschen, der zweite Präfekt fünfzehn,
jeder von den sechs Solosängern zehn Neugroschen, für damals eine sehr
reichliche Bezahlung. Auf einem Kirchhofe, der außergewöhnlich weit von
der Stadt entfernt lag -- ich glaube, es war der "weite Neustädter" --
wurden sogar fünf Thaler bezahlt; dann erhöhte sich jeder Anteil um ein Viertel.
Unsre Aufgabe bei einem Bär bestand darin, das; wir vom Thore des Kirch¬
hofs an, wo die Leiche von Wagen gehoben und auf die Bahre gesetzt wurde,
hinter dem Leichenbitter, der den Zug eröffnete, und vor den Leichenträgern,
die auf der Bahre den Sarg trugen, hergingen und einen Choral sangen, so
lange bis der Zug am Grabe angekommen und der Sarg über das offene
Grab gesetzt war. Dann stellten wir uns in der Nähe des Grabes, etwa hinter
einer Chpresfe oder einem Hollunderftrauch auf und sangen dort, nachdem die
Grabrede vorüber war, während die üblichen drei Hände Erde ins Grab ge¬
worfen wurden, noch eine Arie: entweder "Wie sie so sanft ruhen" oder "Eine
Hand voll Erde" oder "Wir drücken dir die Augen zu" (aus Schichts "Ende
des Gerechten," mit etwas verändertem Text) oder: "Lieb und Freundschaft"
(ans Tiedges "Urania," in der Komposition von Himmel). Namentlich die
beiden letzten waren sehr beliebt, und sie gehören ja auch zu dem Schönste",
was je für gemischtes Quartett geschrieben worden ist. Wir Jungen waren
doch gewiß durch das häufige Singen an Gräbern und durch das häufige
Anhören von Leichenpredigten, in denen immer dieselben Redensarten wieder¬
kehrten, gegen die Thränen der Leidtragenden abgestumpft; aber bei der
rührenden Weise des Himmelseber Liedes, namentlich bei der süßen Chromntik
der Worte: "Treten weinend um ein Vlumengrab, wo die Brust versank, an
der sie ruhten," wurde uns doch auch mitunter ein bischen weich ums Herz.
Gesungen haben wir bei all diesen Gelegenheiten, das weiß ich, wie die
Engel. Wir setzten unsern ganzen Stolz darein, diese Arien so rein und zart
und voll Empfindung, wie nur möglich, zu singen. Das beste Stimmmaterial
des Chores war auf dem Platze. Wenn also nicht unglückliche Zufälle (Heiser¬
keit oder dergleichen) eintraten, so waren die a vMivIItt-Gesänge dieses Doppel-


Alinmilumiserinnerungen

Tasche» der Sänger. Man konnte aber doch auch im Tenor und Baß
wenigstens den ersten Solofänger nicht ausschließen. Wenn beide Präfekten
zufällig von nennr Tenoristen gewesen wären, so wäre der Solofänger im
Tenor um seine Bäre gekommen. Die Sache wurde also, wenn irgend möglich
— und es mußte möglich sein —, so eingerichtet, daß der eine Präfekt Tenor,
der andre Baß sang, so sehr sich auch vielleicht ihre Stimme ihre „stimm¬
liche Veranlagung" würden unsre Herren Kritiker jetzt schreiben dagegen
sträubte. Bezahlt wurden sür einen Bär vier Thaler. Davon bekam der erste
Präfekt fünfundzwanzig Neugroschen, der Kantor — der wieder gar nichts dabei
that, oft nicht einmal die Bestellung annahm, denn die Leichenbitter oder
Leichenwäscherinnen, die das Singen zu bestellen hatten, kamen an: liebsten
gleich aufs Alumneum — zwanzig Neugroschen, der zweite Präfekt fünfzehn,
jeder von den sechs Solosängern zehn Neugroschen, für damals eine sehr
reichliche Bezahlung. Auf einem Kirchhofe, der außergewöhnlich weit von
der Stadt entfernt lag — ich glaube, es war der „weite Neustädter" —
wurden sogar fünf Thaler bezahlt; dann erhöhte sich jeder Anteil um ein Viertel.
Unsre Aufgabe bei einem Bär bestand darin, das; wir vom Thore des Kirch¬
hofs an, wo die Leiche von Wagen gehoben und auf die Bahre gesetzt wurde,
hinter dem Leichenbitter, der den Zug eröffnete, und vor den Leichenträgern,
die auf der Bahre den Sarg trugen, hergingen und einen Choral sangen, so
lange bis der Zug am Grabe angekommen und der Sarg über das offene
Grab gesetzt war. Dann stellten wir uns in der Nähe des Grabes, etwa hinter
einer Chpresfe oder einem Hollunderftrauch auf und sangen dort, nachdem die
Grabrede vorüber war, während die üblichen drei Hände Erde ins Grab ge¬
worfen wurden, noch eine Arie: entweder „Wie sie so sanft ruhen" oder „Eine
Hand voll Erde" oder „Wir drücken dir die Augen zu" (aus Schichts „Ende
des Gerechten," mit etwas verändertem Text) oder: „Lieb und Freundschaft"
(ans Tiedges „Urania," in der Komposition von Himmel). Namentlich die
beiden letzten waren sehr beliebt, und sie gehören ja auch zu dem Schönste»,
was je für gemischtes Quartett geschrieben worden ist. Wir Jungen waren
doch gewiß durch das häufige Singen an Gräbern und durch das häufige
Anhören von Leichenpredigten, in denen immer dieselben Redensarten wieder¬
kehrten, gegen die Thränen der Leidtragenden abgestumpft; aber bei der
rührenden Weise des Himmelseber Liedes, namentlich bei der süßen Chromntik
der Worte: „Treten weinend um ein Vlumengrab, wo die Brust versank, an
der sie ruhten," wurde uns doch auch mitunter ein bischen weich ums Herz.
Gesungen haben wir bei all diesen Gelegenheiten, das weiß ich, wie die
Engel. Wir setzten unsern ganzen Stolz darein, diese Arien so rein und zart
und voll Empfindung, wie nur möglich, zu singen. Das beste Stimmmaterial
des Chores war auf dem Platze. Wenn also nicht unglückliche Zufälle (Heiser¬
keit oder dergleichen) eintraten, so waren die a vMivIItt-Gesänge dieses Doppel-


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[0142] Alinmilumiserinnerungen Tasche» der Sänger. Man konnte aber doch auch im Tenor und Baß wenigstens den ersten Solofänger nicht ausschließen. Wenn beide Präfekten zufällig von nennr Tenoristen gewesen wären, so wäre der Solofänger im Tenor um seine Bäre gekommen. Die Sache wurde also, wenn irgend möglich — und es mußte möglich sein —, so eingerichtet, daß der eine Präfekt Tenor, der andre Baß sang, so sehr sich auch vielleicht ihre Stimme ihre „stimm¬ liche Veranlagung" würden unsre Herren Kritiker jetzt schreiben dagegen sträubte. Bezahlt wurden sür einen Bär vier Thaler. Davon bekam der erste Präfekt fünfundzwanzig Neugroschen, der Kantor — der wieder gar nichts dabei that, oft nicht einmal die Bestellung annahm, denn die Leichenbitter oder Leichenwäscherinnen, die das Singen zu bestellen hatten, kamen an: liebsten gleich aufs Alumneum — zwanzig Neugroschen, der zweite Präfekt fünfzehn, jeder von den sechs Solosängern zehn Neugroschen, für damals eine sehr reichliche Bezahlung. Auf einem Kirchhofe, der außergewöhnlich weit von der Stadt entfernt lag — ich glaube, es war der „weite Neustädter" — wurden sogar fünf Thaler bezahlt; dann erhöhte sich jeder Anteil um ein Viertel. Unsre Aufgabe bei einem Bär bestand darin, das; wir vom Thore des Kirch¬ hofs an, wo die Leiche von Wagen gehoben und auf die Bahre gesetzt wurde, hinter dem Leichenbitter, der den Zug eröffnete, und vor den Leichenträgern, die auf der Bahre den Sarg trugen, hergingen und einen Choral sangen, so lange bis der Zug am Grabe angekommen und der Sarg über das offene Grab gesetzt war. Dann stellten wir uns in der Nähe des Grabes, etwa hinter einer Chpresfe oder einem Hollunderftrauch auf und sangen dort, nachdem die Grabrede vorüber war, während die üblichen drei Hände Erde ins Grab ge¬ worfen wurden, noch eine Arie: entweder „Wie sie so sanft ruhen" oder „Eine Hand voll Erde" oder „Wir drücken dir die Augen zu" (aus Schichts „Ende des Gerechten," mit etwas verändertem Text) oder: „Lieb und Freundschaft" (ans Tiedges „Urania," in der Komposition von Himmel). Namentlich die beiden letzten waren sehr beliebt, und sie gehören ja auch zu dem Schönste», was je für gemischtes Quartett geschrieben worden ist. Wir Jungen waren doch gewiß durch das häufige Singen an Gräbern und durch das häufige Anhören von Leichenpredigten, in denen immer dieselben Redensarten wieder¬ kehrten, gegen die Thränen der Leidtragenden abgestumpft; aber bei der rührenden Weise des Himmelseber Liedes, namentlich bei der süßen Chromntik der Worte: „Treten weinend um ein Vlumengrab, wo die Brust versank, an der sie ruhten," wurde uns doch auch mitunter ein bischen weich ums Herz. Gesungen haben wir bei all diesen Gelegenheiten, das weiß ich, wie die Engel. Wir setzten unsern ganzen Stolz darein, diese Arien so rein und zart und voll Empfindung, wie nur möglich, zu singen. Das beste Stimmmaterial des Chores war auf dem Platze. Wenn also nicht unglückliche Zufälle (Heiser¬ keit oder dergleichen) eintraten, so waren die a vMivIItt-Gesänge dieses Doppel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/142>, abgerufen am 28.09.2024.