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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumnemnserinnerniigen

Unterdrücken der unbetonten Silben, dein ruhen Kontrast zwischen Fvrtissimo-
gebrüll und Piauissimogesä'nsel und ähnlichem wußte man damals überhaupt
noch nichts. Machten wirs gut, so machten wirs eben von selber gut, weil
es uns so gefiel, weil es uns so am hübschesten zu klingen schien, und
weil es immer so gemacht worden war. Es kam vor, daß der Präfekt,
wenn eine Motette durchgesungen war, uicht ein Sterbenswörtchen dazu
zu sagen wußte, wir hätten sie wahrscheinlich ohne Probe am Sonnabend
genau so gesungen -- wozu also die Singestnnde? Es gab aber doch auch
musikalischere Präfekten, die die hergebrachte Aufgabe einmal etwas anders
auffaßten und anfaßten, die über die oder jene Stelle einen Wink zu geben
wußten, sie wiederholen ließen, hie und da die Stimmen einzeln singen ließen,
wohl gar -- norrivilv M(tlo! -- neue Motetten brachten, die noch nie gesungen
worden waren, an der Klingel den unerhörten Ruf ertönen ließen: "Sopran
und Alt Singestunde!" u. ahnt. Die erregten dann natürlich anfangs etwas
Mißvergnügen, aber schließlich waren sie uns lieber als die unmusikalischen,
bei denen alles, wie von selber, in den hergebrachten Gleisen trottete.

Etwas mehr zu üben und zu probiren gab es in den acht oder vierzehn
Tagen vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten. An den drei hohen Festen
waren an beiden Feiertagen fast alle Gottesdienste mit Kirchenmusik ausgestattet.
Dazu kam, daß am Karfreitag stets ein "Oratorium" aufgeführt wurde -- etwa
Beethovens "Christus am Ölberge" oder Hahdns "Sieben Worte des Erlösers
am Kreuze." Dazu mußten doch ausnahmsweise etwas größere Anstrengungen
gemacht werden, der Kantor hielt da öfter selbst einmal eine Singestnnde ab,
wobei wir seine Geschicklichkeit, aus der Partitur -- er hatte nie Klavier¬
auszüge! -- eine klangvolle, alles Wesentliche erschöpfende Klavierbegleitung zu
schaffen, immer aufs neue bewunderten, und endlich wurde dann eine große,
gewöhnlich einen ganzen Vormittag ausfüllende "Musikprobe" mit dem Stadt-
mnsikchvr abgehalten, bisweilen in der Kirche, oft aber auch uur im Singc-
saal der Schule, obwohl in der Kirche die Sänger und Spieler ganz anders
aufgestellt waren als im Saale, also sehr leicht einmal hätte "umgeschüttet"
werden können. Es kam aber selten ein Unglück vor; höchstens daß einmal
einer von den Bläsern, die auf dem linken Seitenchor standen und daher der
zusammenhaltenden Gewalt der Tnktstockspitze und der Blicke des Kantors etwas
weiter entrückt waren, an unrechter Stelle dazwischenfuhr. Freilich entsinne
ich mich auch des peinlichen Vorgangs, daß ein Chorsatz -- ich glaube gar,
es war in einem Karfreitagsvmtorium -- infolge der Unsicherheit des Orchesters
vollständig in Verwirrung kam, der Kantor abklopfen und, während sich die
Köpfe aller Zuhörer ängstlich uach dem Chöre richteten, den Satz von vorn
beginnen mußte.

Eine ganz eigentümliche gottesdienstliche Aufgabe war endlich noch die
"Büttelei," d. h. der Gesang beim Gottesdienst im Gefängnis. Aller vier


Alumnemnserinnerniigen

Unterdrücken der unbetonten Silben, dein ruhen Kontrast zwischen Fvrtissimo-
gebrüll und Piauissimogesä'nsel und ähnlichem wußte man damals überhaupt
noch nichts. Machten wirs gut, so machten wirs eben von selber gut, weil
es uns so gefiel, weil es uns so am hübschesten zu klingen schien, und
weil es immer so gemacht worden war. Es kam vor, daß der Präfekt,
wenn eine Motette durchgesungen war, uicht ein Sterbenswörtchen dazu
zu sagen wußte, wir hätten sie wahrscheinlich ohne Probe am Sonnabend
genau so gesungen — wozu also die Singestnnde? Es gab aber doch auch
musikalischere Präfekten, die die hergebrachte Aufgabe einmal etwas anders
auffaßten und anfaßten, die über die oder jene Stelle einen Wink zu geben
wußten, sie wiederholen ließen, hie und da die Stimmen einzeln singen ließen,
wohl gar — norrivilv M(tlo! — neue Motetten brachten, die noch nie gesungen
worden waren, an der Klingel den unerhörten Ruf ertönen ließen: „Sopran
und Alt Singestunde!" u. ahnt. Die erregten dann natürlich anfangs etwas
Mißvergnügen, aber schließlich waren sie uns lieber als die unmusikalischen,
bei denen alles, wie von selber, in den hergebrachten Gleisen trottete.

Etwas mehr zu üben und zu probiren gab es in den acht oder vierzehn
Tagen vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten. An den drei hohen Festen
waren an beiden Feiertagen fast alle Gottesdienste mit Kirchenmusik ausgestattet.
Dazu kam, daß am Karfreitag stets ein „Oratorium" aufgeführt wurde — etwa
Beethovens „Christus am Ölberge" oder Hahdns „Sieben Worte des Erlösers
am Kreuze." Dazu mußten doch ausnahmsweise etwas größere Anstrengungen
gemacht werden, der Kantor hielt da öfter selbst einmal eine Singestnnde ab,
wobei wir seine Geschicklichkeit, aus der Partitur — er hatte nie Klavier¬
auszüge! — eine klangvolle, alles Wesentliche erschöpfende Klavierbegleitung zu
schaffen, immer aufs neue bewunderten, und endlich wurde dann eine große,
gewöhnlich einen ganzen Vormittag ausfüllende „Musikprobe" mit dem Stadt-
mnsikchvr abgehalten, bisweilen in der Kirche, oft aber auch uur im Singc-
saal der Schule, obwohl in der Kirche die Sänger und Spieler ganz anders
aufgestellt waren als im Saale, also sehr leicht einmal hätte „umgeschüttet"
werden können. Es kam aber selten ein Unglück vor; höchstens daß einmal
einer von den Bläsern, die auf dem linken Seitenchor standen und daher der
zusammenhaltenden Gewalt der Tnktstockspitze und der Blicke des Kantors etwas
weiter entrückt waren, an unrechter Stelle dazwischenfuhr. Freilich entsinne
ich mich auch des peinlichen Vorgangs, daß ein Chorsatz — ich glaube gar,
es war in einem Karfreitagsvmtorium — infolge der Unsicherheit des Orchesters
vollständig in Verwirrung kam, der Kantor abklopfen und, während sich die
Köpfe aller Zuhörer ängstlich uach dem Chöre richteten, den Satz von vorn
beginnen mußte.

Eine ganz eigentümliche gottesdienstliche Aufgabe war endlich noch die
„Büttelei," d. h. der Gesang beim Gottesdienst im Gefängnis. Aller vier


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[0138] Alumnemnserinnerniigen Unterdrücken der unbetonten Silben, dein ruhen Kontrast zwischen Fvrtissimo- gebrüll und Piauissimogesä'nsel und ähnlichem wußte man damals überhaupt noch nichts. Machten wirs gut, so machten wirs eben von selber gut, weil es uns so gefiel, weil es uns so am hübschesten zu klingen schien, und weil es immer so gemacht worden war. Es kam vor, daß der Präfekt, wenn eine Motette durchgesungen war, uicht ein Sterbenswörtchen dazu zu sagen wußte, wir hätten sie wahrscheinlich ohne Probe am Sonnabend genau so gesungen — wozu also die Singestnnde? Es gab aber doch auch musikalischere Präfekten, die die hergebrachte Aufgabe einmal etwas anders auffaßten und anfaßten, die über die oder jene Stelle einen Wink zu geben wußten, sie wiederholen ließen, hie und da die Stimmen einzeln singen ließen, wohl gar — norrivilv M(tlo! — neue Motetten brachten, die noch nie gesungen worden waren, an der Klingel den unerhörten Ruf ertönen ließen: „Sopran und Alt Singestunde!" u. ahnt. Die erregten dann natürlich anfangs etwas Mißvergnügen, aber schließlich waren sie uns lieber als die unmusikalischen, bei denen alles, wie von selber, in den hergebrachten Gleisen trottete. Etwas mehr zu üben und zu probiren gab es in den acht oder vierzehn Tagen vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten. An den drei hohen Festen waren an beiden Feiertagen fast alle Gottesdienste mit Kirchenmusik ausgestattet. Dazu kam, daß am Karfreitag stets ein „Oratorium" aufgeführt wurde — etwa Beethovens „Christus am Ölberge" oder Hahdns „Sieben Worte des Erlösers am Kreuze." Dazu mußten doch ausnahmsweise etwas größere Anstrengungen gemacht werden, der Kantor hielt da öfter selbst einmal eine Singestnnde ab, wobei wir seine Geschicklichkeit, aus der Partitur — er hatte nie Klavier¬ auszüge! — eine klangvolle, alles Wesentliche erschöpfende Klavierbegleitung zu schaffen, immer aufs neue bewunderten, und endlich wurde dann eine große, gewöhnlich einen ganzen Vormittag ausfüllende „Musikprobe" mit dem Stadt- mnsikchvr abgehalten, bisweilen in der Kirche, oft aber auch uur im Singc- saal der Schule, obwohl in der Kirche die Sänger und Spieler ganz anders aufgestellt waren als im Saale, also sehr leicht einmal hätte „umgeschüttet" werden können. Es kam aber selten ein Unglück vor; höchstens daß einmal einer von den Bläsern, die auf dem linken Seitenchor standen und daher der zusammenhaltenden Gewalt der Tnktstockspitze und der Blicke des Kantors etwas weiter entrückt waren, an unrechter Stelle dazwischenfuhr. Freilich entsinne ich mich auch des peinlichen Vorgangs, daß ein Chorsatz — ich glaube gar, es war in einem Karfreitagsvmtorium — infolge der Unsicherheit des Orchesters vollständig in Verwirrung kam, der Kantor abklopfen und, während sich die Köpfe aller Zuhörer ängstlich uach dem Chöre richteten, den Satz von vorn beginnen mußte. Eine ganz eigentümliche gottesdienstliche Aufgabe war endlich noch die „Büttelei," d. h. der Gesang beim Gottesdienst im Gefängnis. Aller vier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/138>, abgerufen am 29.06.2024.