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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die schwachen Seiten von Kriegsbündnissen

land nicht losgeschlagen hätte, so gewiß wären die Russen ohne die Preußen
nicht nach Frankreich gekommen. Kostete es doch gleich anfangs unsägliche
Mühe, den Widerstand der stockrussischen Partei zu überwinden, die sich auf
keinen Krieg in Deutschland einlassen, sondern nur die eignen Grenzen ver¬
teidigen wollte. Und so tapfer auch im Verlaufe des Krieges die Russen ge¬
fochten haben, das ist unleugbar, daß die eigentlichen Sieger über Napoleon
Blücher und Gneisenau gewesen sind, daß sie den zweiundzwanzigjährigen
Ningkcimpf mit Frankreich zum glücklichen Ende geführt haben. Was wäre
linn natürlicher gewesen, als daß Deutschland sich schadlos gehalten Hütte für
die unermeßlichen Verluste der letzten Jahrzehnte, daß es von den Räubern
Ersatz gefordert hätte für alle die Brandschatzungen und Kriegssteuern, die
Plünderungen und Erpressungen, wodurch sie das Mark des Laudes ausge¬
sogen hatten, daß es sich eine feste Grenze gezogen hätte zum Schutz gegen
neue Einfülle des lüsternen Nachbars, daß es dein niedergeworfenen Gegner
die schonen, reichgesegneten Lande, die er durch List und Gewalt, im offenen
Kampf und durch schnöde Rechtsverdrehung um sich gebracht hatte, endlich
wieder aus den Händen gerissen Hütte? Statt dessen wurde den Franzosen
nicht nur alles das gelassen, was sie vor dem Ausbruch des ersten Koalitions¬
krieges, vor dem Jahre 1792, besessen hatten, das Elsaß mit eingeschlossen;
es wurde nicht nur keine Entschädigung für die Kriegskosten verlangt, keine
Abrechnung über die ausstehenden Forderungen angestellt, wodurch Preußen
170 Millionen Franken verlor, Vorschüsse von russischen Feldzuge her; man
ließ nicht nur die Schütze der Kunst und Wissenschaft, die von den Franzosen
nach Paris geschleppt worden waren, mit wenigen Ausnahmen in den Händen
der Räuber, sondern man gab ihnen zu besserer Abrundung der Grenzen, wie
es hieß, uoch Landstriche von zusammen 150 Quadrcitmeileu zum Geschenk,
dabei eine Stadt wie Saarbrücken, dessen Bewohner mit jeder Faser ihres
Herzens an Deutschland hingen und sich bittend und flehend, weinend und
jammernd deu Lenkern der europäischen Geschicke zu Füßen warfen, um nicht
wieder deu Franzosen ausgeliefert zu werden, unter deren Mißhandlungen sie
unsäglich gelitten hatten. Es ist bekannt, mit welcher leidenschaftlichen Hitze
damals der alte Blücher gegen die Diplomatiker und Federfuchser gewütet hat,
die verloren hätten, was der Soldat mit seinem Blut erworben hatte. Man
kann in der That nicht daran zweifeln, daß Hardenberg, der preußische Staats¬
mann, bei größerer Entschlossenheit und Zähigkeit in dem und jenem Punkte
wohl ein günstigeres Ergebnis hätte durchsetzen können. Aber doch nur in
einzelnen Punkten; im großen und ganzen genommen war der jämmerliche
Friede nicht seine Schuld, sondern die natürliche Frucht der Koalition. Was
wollte das kleine Preußen machen, wenn Rußland und England zusammen'
hielten und schließlich auch Österreich auf ihre Seite herüberzogen? In diesem
Kreise aber wurde die Losung ausgegeben: Frankreich darf nicht zu sehr ge-


Die schwachen Seiten von Kriegsbündnissen

land nicht losgeschlagen hätte, so gewiß wären die Russen ohne die Preußen
nicht nach Frankreich gekommen. Kostete es doch gleich anfangs unsägliche
Mühe, den Widerstand der stockrussischen Partei zu überwinden, die sich auf
keinen Krieg in Deutschland einlassen, sondern nur die eignen Grenzen ver¬
teidigen wollte. Und so tapfer auch im Verlaufe des Krieges die Russen ge¬
fochten haben, das ist unleugbar, daß die eigentlichen Sieger über Napoleon
Blücher und Gneisenau gewesen sind, daß sie den zweiundzwanzigjährigen
Ningkcimpf mit Frankreich zum glücklichen Ende geführt haben. Was wäre
linn natürlicher gewesen, als daß Deutschland sich schadlos gehalten Hütte für
die unermeßlichen Verluste der letzten Jahrzehnte, daß es von den Räubern
Ersatz gefordert hätte für alle die Brandschatzungen und Kriegssteuern, die
Plünderungen und Erpressungen, wodurch sie das Mark des Laudes ausge¬
sogen hatten, daß es sich eine feste Grenze gezogen hätte zum Schutz gegen
neue Einfülle des lüsternen Nachbars, daß es dein niedergeworfenen Gegner
die schonen, reichgesegneten Lande, die er durch List und Gewalt, im offenen
Kampf und durch schnöde Rechtsverdrehung um sich gebracht hatte, endlich
wieder aus den Händen gerissen Hütte? Statt dessen wurde den Franzosen
nicht nur alles das gelassen, was sie vor dem Ausbruch des ersten Koalitions¬
krieges, vor dem Jahre 1792, besessen hatten, das Elsaß mit eingeschlossen;
es wurde nicht nur keine Entschädigung für die Kriegskosten verlangt, keine
Abrechnung über die ausstehenden Forderungen angestellt, wodurch Preußen
170 Millionen Franken verlor, Vorschüsse von russischen Feldzuge her; man
ließ nicht nur die Schütze der Kunst und Wissenschaft, die von den Franzosen
nach Paris geschleppt worden waren, mit wenigen Ausnahmen in den Händen
der Räuber, sondern man gab ihnen zu besserer Abrundung der Grenzen, wie
es hieß, uoch Landstriche von zusammen 150 Quadrcitmeileu zum Geschenk,
dabei eine Stadt wie Saarbrücken, dessen Bewohner mit jeder Faser ihres
Herzens an Deutschland hingen und sich bittend und flehend, weinend und
jammernd deu Lenkern der europäischen Geschicke zu Füßen warfen, um nicht
wieder deu Franzosen ausgeliefert zu werden, unter deren Mißhandlungen sie
unsäglich gelitten hatten. Es ist bekannt, mit welcher leidenschaftlichen Hitze
damals der alte Blücher gegen die Diplomatiker und Federfuchser gewütet hat,
die verloren hätten, was der Soldat mit seinem Blut erworben hatte. Man
kann in der That nicht daran zweifeln, daß Hardenberg, der preußische Staats¬
mann, bei größerer Entschlossenheit und Zähigkeit in dem und jenem Punkte
wohl ein günstigeres Ergebnis hätte durchsetzen können. Aber doch nur in
einzelnen Punkten; im großen und ganzen genommen war der jämmerliche
Friede nicht seine Schuld, sondern die natürliche Frucht der Koalition. Was
wollte das kleine Preußen machen, wenn Rußland und England zusammen'
hielten und schließlich auch Österreich auf ihre Seite herüberzogen? In diesem
Kreise aber wurde die Losung ausgegeben: Frankreich darf nicht zu sehr ge-


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[0084] Die schwachen Seiten von Kriegsbündnissen land nicht losgeschlagen hätte, so gewiß wären die Russen ohne die Preußen nicht nach Frankreich gekommen. Kostete es doch gleich anfangs unsägliche Mühe, den Widerstand der stockrussischen Partei zu überwinden, die sich auf keinen Krieg in Deutschland einlassen, sondern nur die eignen Grenzen ver¬ teidigen wollte. Und so tapfer auch im Verlaufe des Krieges die Russen ge¬ fochten haben, das ist unleugbar, daß die eigentlichen Sieger über Napoleon Blücher und Gneisenau gewesen sind, daß sie den zweiundzwanzigjährigen Ningkcimpf mit Frankreich zum glücklichen Ende geführt haben. Was wäre linn natürlicher gewesen, als daß Deutschland sich schadlos gehalten Hütte für die unermeßlichen Verluste der letzten Jahrzehnte, daß es von den Räubern Ersatz gefordert hätte für alle die Brandschatzungen und Kriegssteuern, die Plünderungen und Erpressungen, wodurch sie das Mark des Laudes ausge¬ sogen hatten, daß es sich eine feste Grenze gezogen hätte zum Schutz gegen neue Einfülle des lüsternen Nachbars, daß es dein niedergeworfenen Gegner die schonen, reichgesegneten Lande, die er durch List und Gewalt, im offenen Kampf und durch schnöde Rechtsverdrehung um sich gebracht hatte, endlich wieder aus den Händen gerissen Hütte? Statt dessen wurde den Franzosen nicht nur alles das gelassen, was sie vor dem Ausbruch des ersten Koalitions¬ krieges, vor dem Jahre 1792, besessen hatten, das Elsaß mit eingeschlossen; es wurde nicht nur keine Entschädigung für die Kriegskosten verlangt, keine Abrechnung über die ausstehenden Forderungen angestellt, wodurch Preußen 170 Millionen Franken verlor, Vorschüsse von russischen Feldzuge her; man ließ nicht nur die Schütze der Kunst und Wissenschaft, die von den Franzosen nach Paris geschleppt worden waren, mit wenigen Ausnahmen in den Händen der Räuber, sondern man gab ihnen zu besserer Abrundung der Grenzen, wie es hieß, uoch Landstriche von zusammen 150 Quadrcitmeileu zum Geschenk, dabei eine Stadt wie Saarbrücken, dessen Bewohner mit jeder Faser ihres Herzens an Deutschland hingen und sich bittend und flehend, weinend und jammernd deu Lenkern der europäischen Geschicke zu Füßen warfen, um nicht wieder deu Franzosen ausgeliefert zu werden, unter deren Mißhandlungen sie unsäglich gelitten hatten. Es ist bekannt, mit welcher leidenschaftlichen Hitze damals der alte Blücher gegen die Diplomatiker und Federfuchser gewütet hat, die verloren hätten, was der Soldat mit seinem Blut erworben hatte. Man kann in der That nicht daran zweifeln, daß Hardenberg, der preußische Staats¬ mann, bei größerer Entschlossenheit und Zähigkeit in dem und jenem Punkte wohl ein günstigeres Ergebnis hätte durchsetzen können. Aber doch nur in einzelnen Punkten; im großen und ganzen genommen war der jämmerliche Friede nicht seine Schuld, sondern die natürliche Frucht der Koalition. Was wollte das kleine Preußen machen, wenn Rußland und England zusammen' hielten und schließlich auch Österreich auf ihre Seite herüberzogen? In diesem Kreise aber wurde die Losung ausgegeben: Frankreich darf nicht zu sehr ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/84>, abgerufen am 01.07.2024.