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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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schwächt werden. Es sei nicht edelmütig, meinte der schwärmerische und dabei
so schlau berechnende Kaiser Alexander, den besiegten Gegner allzu tief zu de¬
mütigen. Ganz schön, Edelmut ist eine Tugend; aber hier wurde sie uicht
mit aufopfernder Selbstverleugnung, sondern auf Kosten des Freundes geübt. Es
sei nicht klug, hieß es weiter, dem zurückgeführten bourbonischen König seiue an
sich schwierige Stellung noch weiter zu erschweren. Nun, wie wirksam durch
diese zarte Rücksicht die Ruhe Frankreichs und Europas gesichert war, das
zeigte sich gleich im nächste" Jahre, als Nnpolevu vou Elba zurückkehrte und
der Krieg aufs neue begann. Viel gewichtiger als die Großmut des Siegers,
als die Rücksicht auf den Besiegten siel ein andrer Gedanke in die Wagschnle,
die Eifersucht auf das verbündete Deutschland. Der Krieg des letzten Jahres
hatte deutlich gezeigt, was der Riese vermochte, wenn er einmal aus seinem
Schlaf erwachte und sich zum vollen Gefühle seiner Kraft erhob. Dem sollte
bei Zeiten vorgebeugt werden. Man durfte Deutschland uicht zu stark werden
lassen, damit es uicht dereinst Rußland und England störend in den Weg treten
könne. Darum wurde es von den eignen Verbündeten um deu wohlverdienten
Siegespreis betrogen.

Wenn das Jahr 1870 gut gemacht hat, was 1814 und im wesentlichen
auch 1815 versäumt worden ist, so war das nur deshalb möglich, weil der
jüngste Krieg eben kein Kvalitivnskrieg war, sondern von Deutschland ans eigne
Hand nud ohne jede fremde Hilfe geführt worden ist.

Wir sehen, wie den Konlitionskrieg die Schwäche, die ihm von Natur
anhaftet, vom ersten Augenblicke des Entschlusses zum Kriege bis zur letzten
Stunde der Friedensverhcmdluug begleitet. Ja noch darüber hinaus. Denn
oft genug ist auch die Geschichte des Krieges durch die Eifersucht der Ver¬
bündete" gefälscht worden. Daß nach einer gemeinsam Verlornen Schlacht wie
der bei Austerlitz jeder Beteiligte dem andern die Schuld zuschiebt, ist menschlich
und wohl begreiflich. Aber mehr als einmal ist auch schon der umgekehrte
Fall vorgekommen, daß nach einem gemeinsamen Siege der wirkliche Sieger
in den Hintergrund geschoben worden ist. So hat Vernndotte, vou dessen
widerwillig errungenen Erfolgen im Befreiungskriege wir schon gesprochen
haben, die Ehre des Sieges jedesmal für sich in Anspruch genommen, das
Verdienst der preußischem Generale, die ohne ihn, ja gegen ihn den Kampf er¬
zwungen, die Schlacht geschlagen, den Sieg erfochten hatten, verkleinert oder
verschwiegen, und lange genug hat es gedauert, bis der wahre Sachverhalt
ans Licht kam.

Wer war der Sieger von Belle-Alliance? Ohne Frage hat Wellington
den Ruhm des größten Meisters der Verteidigung auch hier glänzend bewährt.
Aber hätte nicht Blücher sein zwei Tage vorher bei Ligny geschlagenes Heer
unglaublich rasch zum neuen Kampfe gesammelt, hätte nicht Gneisenau der
Versuchung widerstände", am Abend der Verlornen Schlacht das preußische


schwächt werden. Es sei nicht edelmütig, meinte der schwärmerische und dabei
so schlau berechnende Kaiser Alexander, den besiegten Gegner allzu tief zu de¬
mütigen. Ganz schön, Edelmut ist eine Tugend; aber hier wurde sie uicht
mit aufopfernder Selbstverleugnung, sondern auf Kosten des Freundes geübt. Es
sei nicht klug, hieß es weiter, dem zurückgeführten bourbonischen König seiue an
sich schwierige Stellung noch weiter zu erschweren. Nun, wie wirksam durch
diese zarte Rücksicht die Ruhe Frankreichs und Europas gesichert war, das
zeigte sich gleich im nächste« Jahre, als Nnpolevu vou Elba zurückkehrte und
der Krieg aufs neue begann. Viel gewichtiger als die Großmut des Siegers,
als die Rücksicht auf den Besiegten siel ein andrer Gedanke in die Wagschnle,
die Eifersucht auf das verbündete Deutschland. Der Krieg des letzten Jahres
hatte deutlich gezeigt, was der Riese vermochte, wenn er einmal aus seinem
Schlaf erwachte und sich zum vollen Gefühle seiner Kraft erhob. Dem sollte
bei Zeiten vorgebeugt werden. Man durfte Deutschland uicht zu stark werden
lassen, damit es uicht dereinst Rußland und England störend in den Weg treten
könne. Darum wurde es von den eignen Verbündeten um deu wohlverdienten
Siegespreis betrogen.

Wenn das Jahr 1870 gut gemacht hat, was 1814 und im wesentlichen
auch 1815 versäumt worden ist, so war das nur deshalb möglich, weil der
jüngste Krieg eben kein Kvalitivnskrieg war, sondern von Deutschland ans eigne
Hand nud ohne jede fremde Hilfe geführt worden ist.

Wir sehen, wie den Konlitionskrieg die Schwäche, die ihm von Natur
anhaftet, vom ersten Augenblicke des Entschlusses zum Kriege bis zur letzten
Stunde der Friedensverhcmdluug begleitet. Ja noch darüber hinaus. Denn
oft genug ist auch die Geschichte des Krieges durch die Eifersucht der Ver¬
bündete» gefälscht worden. Daß nach einer gemeinsam Verlornen Schlacht wie
der bei Austerlitz jeder Beteiligte dem andern die Schuld zuschiebt, ist menschlich
und wohl begreiflich. Aber mehr als einmal ist auch schon der umgekehrte
Fall vorgekommen, daß nach einem gemeinsamen Siege der wirkliche Sieger
in den Hintergrund geschoben worden ist. So hat Vernndotte, vou dessen
widerwillig errungenen Erfolgen im Befreiungskriege wir schon gesprochen
haben, die Ehre des Sieges jedesmal für sich in Anspruch genommen, das
Verdienst der preußischem Generale, die ohne ihn, ja gegen ihn den Kampf er¬
zwungen, die Schlacht geschlagen, den Sieg erfochten hatten, verkleinert oder
verschwiegen, und lange genug hat es gedauert, bis der wahre Sachverhalt
ans Licht kam.

Wer war der Sieger von Belle-Alliance? Ohne Frage hat Wellington
den Ruhm des größten Meisters der Verteidigung auch hier glänzend bewährt.
Aber hätte nicht Blücher sein zwei Tage vorher bei Ligny geschlagenes Heer
unglaublich rasch zum neuen Kampfe gesammelt, hätte nicht Gneisenau der
Versuchung widerstände», am Abend der Verlornen Schlacht das preußische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/85>, abgerufen am 29.06.2024.