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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die schwache" Seiten von Rriegsbündmssen

er scheute sich nicht, uns der Hand seines neuen Freundes Napoleon ein Stück
Preußischen Landes als Geschenk cmznnehuen und sich dieses erniedrigenden Ge¬
winnes in einem Armeebefehl auch noch öffentlich zu rühmen.

Doch es ist ja möglich -- die Geschichte zeigt es --, daß alle diese
Schwierigkeiten überwunden werden, daß die Kvalitivnshecre glänzende, ent¬
scheidende Siege erfechten, sei es getrennt wie bei Turin,, bei Ramillies,
sei es gemeinsam wie bei Hvchstedt, bei Leipzig, bei Waterloo; es ist
möglich, daß die Koalition bestehen bleibt bis zum gemeinsamen Friedensschluß.
Aber mit der Friedeiisverhandlung erhebt sich eine neue Gefahr. Ist es
möglich, eine Lösung zu finden, die alle Verbündeten Mächte in gleicher Weise
befriedigt? Ist nicht zu befürchten, daß jetzt wenigstens jeder nur anf seineu
Vorteil bedacht ist und den andern gleichgiltig beiseite setzt, weil er ihn nicht
mehr braucht, oder ihn gar mit mißgünstigen Augen betrachtet, weil er in ihm
den künftigen Gegner zu sehen glaubt?

Denken wir an Nymwegen und Se. Germain! Wer hatte in dem Kriege
"ut Frankreich das Beste geleistet? Wer war auf dein Plan erschienen, um
dus zu Voden geworfene Holland wieder auszurichten, als sich sonst noch
nirgends eine Hand zur Abwehr der französischen Übergriffe regte? Wer hatte
den Ruhm der deutschen Waffen gewahrt und gemehrt nud der Welt gezeigt,
was ein kräftiger Entschluß, ein stählerner Wille vermag? Wer anders als
der große Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm III.? Und was war
sein Lohn? Holland kümmerte sich nicht mehr um den edelmütigen Beschützer,
jetzt da es keines Schutzes mehr bedürfte; der .Kaiser eilte, sich die Hände frei
"n macheu, damit er sich gegen die aufständischen Ungarn kehren könne; dazu
sah er in einem starken Brandenburg eine Gefahr für Österreichs Übermacht
ni Deutschland. So stand Friedrich Wilhelm allein und verlassen da und
uuißte blutenden Herzens einen Frieden unterzeichnen, worin er alles herausgab,
was er mit seinem guten Schwert erobert hatte.

Und wie ging es im nächsten Kriege beim Abschluß des Friedens von
Nhswik? England kümmerte sich nicht um die festländischen Angelegenheiten,
Holland war zufrieden, für sich einen günstigen Handelsvertrag zu erhalten,
und so mußte Deutschland, das nicht etwa nur um die eigne Sicherheit mit
^'n französischen Heeren gekämpft, nein, das auch übers Meer hinüber seine
Opfern Krieger geschickt hatte, um Wilhelm von Oranien auf den englischen
Thron zu setzen und Irland ihm zu Füßen zu legen -- Deutschland mußte
Straßburg, den Schlüssel seines Hauses, in den Händen der Franzosen lassen.

Und nun noch das schlagendste Beispiel: der Pariser Friede des Jahres 1814.
Deutschland, das arme, mit Füßen getretene, aus tausend Wunden blutende
Deutschland, hatte in einem Heldenkampfe ohne gleichen die Ketten gebrochen,
die der französische Kaiser das ganze westliche Europa geschlagen hatte; mit
^"ssischer und englischer Hilfe allerdings; aber so gewiß Preußen ohne Ruß-


Die schwache» Seiten von Rriegsbündmssen

er scheute sich nicht, uns der Hand seines neuen Freundes Napoleon ein Stück
Preußischen Landes als Geschenk cmznnehuen und sich dieses erniedrigenden Ge¬
winnes in einem Armeebefehl auch noch öffentlich zu rühmen.

Doch es ist ja möglich — die Geschichte zeigt es —, daß alle diese
Schwierigkeiten überwunden werden, daß die Kvalitivnshecre glänzende, ent¬
scheidende Siege erfechten, sei es getrennt wie bei Turin,, bei Ramillies,
sei es gemeinsam wie bei Hvchstedt, bei Leipzig, bei Waterloo; es ist
möglich, daß die Koalition bestehen bleibt bis zum gemeinsamen Friedensschluß.
Aber mit der Friedeiisverhandlung erhebt sich eine neue Gefahr. Ist es
möglich, eine Lösung zu finden, die alle Verbündeten Mächte in gleicher Weise
befriedigt? Ist nicht zu befürchten, daß jetzt wenigstens jeder nur anf seineu
Vorteil bedacht ist und den andern gleichgiltig beiseite setzt, weil er ihn nicht
mehr braucht, oder ihn gar mit mißgünstigen Augen betrachtet, weil er in ihm
den künftigen Gegner zu sehen glaubt?

Denken wir an Nymwegen und Se. Germain! Wer hatte in dem Kriege
»ut Frankreich das Beste geleistet? Wer war auf dein Plan erschienen, um
dus zu Voden geworfene Holland wieder auszurichten, als sich sonst noch
nirgends eine Hand zur Abwehr der französischen Übergriffe regte? Wer hatte
den Ruhm der deutschen Waffen gewahrt und gemehrt nud der Welt gezeigt,
was ein kräftiger Entschluß, ein stählerner Wille vermag? Wer anders als
der große Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm III.? Und was war
sein Lohn? Holland kümmerte sich nicht mehr um den edelmütigen Beschützer,
jetzt da es keines Schutzes mehr bedürfte; der .Kaiser eilte, sich die Hände frei
»n macheu, damit er sich gegen die aufständischen Ungarn kehren könne; dazu
sah er in einem starken Brandenburg eine Gefahr für Österreichs Übermacht
ni Deutschland. So stand Friedrich Wilhelm allein und verlassen da und
uuißte blutenden Herzens einen Frieden unterzeichnen, worin er alles herausgab,
was er mit seinem guten Schwert erobert hatte.

Und wie ging es im nächsten Kriege beim Abschluß des Friedens von
Nhswik? England kümmerte sich nicht um die festländischen Angelegenheiten,
Holland war zufrieden, für sich einen günstigen Handelsvertrag zu erhalten,
und so mußte Deutschland, das nicht etwa nur um die eigne Sicherheit mit
^'n französischen Heeren gekämpft, nein, das auch übers Meer hinüber seine
Opfern Krieger geschickt hatte, um Wilhelm von Oranien auf den englischen
Thron zu setzen und Irland ihm zu Füßen zu legen — Deutschland mußte
Straßburg, den Schlüssel seines Hauses, in den Händen der Franzosen lassen.

Und nun noch das schlagendste Beispiel: der Pariser Friede des Jahres 1814.
Deutschland, das arme, mit Füßen getretene, aus tausend Wunden blutende
Deutschland, hatte in einem Heldenkampfe ohne gleichen die Ketten gebrochen,
die der französische Kaiser das ganze westliche Europa geschlagen hatte; mit
^"ssischer und englischer Hilfe allerdings; aber so gewiß Preußen ohne Ruß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/83>, abgerufen am 03.07.2024.