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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

Ist dem so, so fragt es sich, was denn eigentlich, kühl betrachtet (d. h.
so, wie uns die Herren Engländer zu betrachten gewohnt sind) bei einer solchen
Freundschaft für uns herauskommt.

Es gilt da, drei Fälle zu unterscheide": Erstens kann England mit uns
ein Bündnis schließen; ferner kann es neutral bleibe"; und schließlich kann es
sich gegen uns wenden. Hierbei ist es gleichgiltig, sich gegenwärtig zu halten,
daß England seine Wahl des Standpunktes lediglich nach seinem Interesse
wählen wird. Für uus bleibt die Frage zu beantworten: Was hat unser
Land davon, ob der eine oder der andre dieser Fälle eintritt?

Erstens: England schließt mit uns ein Schutz- und Trutzbündnis: Germania
am Arme John Bulls. Dies wäre der Fall, mit dem uns am meisten gedient wäre,
der günstige Fall zur oxeslleinzs. Sehen wir daher zunächst ganz davon ab, ob
England zu einem solchen Bündnis überhaupt fähig ist, um zu erwägen, welche
Vorteile wir dann in diesem günstigsten Falle zu erwarten hätten?

Nehmen wir einen europäischen Krieg für die nächste Zeit, d. h. so lange
das Geschenk Sansibars und Ugandas anhält, als unvermeidlich an -- denn
bei Wechseln auf spätere Zeit muß stets England gewinnen, nicht wir, es wäre
also nicht mehr der günstigste Fall --, so würde es sich fragen: Welche
Hilfe würde England uns bei einem solchen Kriege, der über unser Sein oder
Nichtsein entscheiden wird, leisten (immer vorausgesetzt, daß es dazu aus vollem
Herzen bereit und -- imstande wäre)?

Das englische Landheer dürfen wir hierbei wohl unberücksichtigt lassen.
Ganz abgesehen von den Elementen, aus denen es sich zusammensetzt, und dein
Mangel an tüchtiger Ausbildung und Mannszucht, ist seine Zahl so beschränkt,
daß es bei einem europäischen Kriege nicht ins Gewicht fallen würde. Also
die englische Flotte! Auch von deren innerm Werte sehen wir ab, obgleich es
Kenner geben soll, die namentlich in Bezug auf die Organisation so ziemlich
alles vermissen, was bei einer schlagfertigen Flotte vorausgesetzt wird. Da
aber unsre Schlachten auf dem Laude ausgefochten werden, so kann die ganze
englische Hilfe immer nur eiuen Bruchteil der Unterstützung ausmachen. Diese
kann nun erstens darin bestehen, daß die englische Flotte unsern Handel mit
unter ihren Schutz nimmt; zweitens darin, daß sie einer feindlichen Flotte das
Gleichgewicht hält, wo wir allein es nicht können; drittens darin, daß sie einen
uns feindlich gesinnten Staat hindert, gegen uns einzutreten.

Über den ersten Punkt brauchen wir nur wenige Worte zu verlieren.
Der kommende Krieg wird für uns zweifelsohne ein Kampf um sein oder
Nichtsein werden. Siegen wir, fo werden wir uns für jeden Schaden Genug¬
thuung zu verschaffe!! wissen; wenigstens wird England uns auch bei einem
plötzlichen Umschlag seiner Gefühle zu Gunsten des Besiegten, wie ihn die
neuere Geschichte ja zu verzeichnen Gelegenheit gehabt hat, nicht daran hindern
können. Fallen wir, so ist es ganz gleichgiltig, ob England besonders eifrig


Das deutsch-englische Abkommen

Ist dem so, so fragt es sich, was denn eigentlich, kühl betrachtet (d. h.
so, wie uns die Herren Engländer zu betrachten gewohnt sind) bei einer solchen
Freundschaft für uns herauskommt.

Es gilt da, drei Fälle zu unterscheide»: Erstens kann England mit uns
ein Bündnis schließen; ferner kann es neutral bleibe«; und schließlich kann es
sich gegen uns wenden. Hierbei ist es gleichgiltig, sich gegenwärtig zu halten,
daß England seine Wahl des Standpunktes lediglich nach seinem Interesse
wählen wird. Für uus bleibt die Frage zu beantworten: Was hat unser
Land davon, ob der eine oder der andre dieser Fälle eintritt?

Erstens: England schließt mit uns ein Schutz- und Trutzbündnis: Germania
am Arme John Bulls. Dies wäre der Fall, mit dem uns am meisten gedient wäre,
der günstige Fall zur oxeslleinzs. Sehen wir daher zunächst ganz davon ab, ob
England zu einem solchen Bündnis überhaupt fähig ist, um zu erwägen, welche
Vorteile wir dann in diesem günstigsten Falle zu erwarten hätten?

Nehmen wir einen europäischen Krieg für die nächste Zeit, d. h. so lange
das Geschenk Sansibars und Ugandas anhält, als unvermeidlich an — denn
bei Wechseln auf spätere Zeit muß stets England gewinnen, nicht wir, es wäre
also nicht mehr der günstigste Fall —, so würde es sich fragen: Welche
Hilfe würde England uns bei einem solchen Kriege, der über unser Sein oder
Nichtsein entscheiden wird, leisten (immer vorausgesetzt, daß es dazu aus vollem
Herzen bereit und — imstande wäre)?

Das englische Landheer dürfen wir hierbei wohl unberücksichtigt lassen.
Ganz abgesehen von den Elementen, aus denen es sich zusammensetzt, und dein
Mangel an tüchtiger Ausbildung und Mannszucht, ist seine Zahl so beschränkt,
daß es bei einem europäischen Kriege nicht ins Gewicht fallen würde. Also
die englische Flotte! Auch von deren innerm Werte sehen wir ab, obgleich es
Kenner geben soll, die namentlich in Bezug auf die Organisation so ziemlich
alles vermissen, was bei einer schlagfertigen Flotte vorausgesetzt wird. Da
aber unsre Schlachten auf dem Laude ausgefochten werden, so kann die ganze
englische Hilfe immer nur eiuen Bruchteil der Unterstützung ausmachen. Diese
kann nun erstens darin bestehen, daß die englische Flotte unsern Handel mit
unter ihren Schutz nimmt; zweitens darin, daß sie einer feindlichen Flotte das
Gleichgewicht hält, wo wir allein es nicht können; drittens darin, daß sie einen
uns feindlich gesinnten Staat hindert, gegen uns einzutreten.

Über den ersten Punkt brauchen wir nur wenige Worte zu verlieren.
Der kommende Krieg wird für uns zweifelsohne ein Kampf um sein oder
Nichtsein werden. Siegen wir, fo werden wir uns für jeden Schaden Genug¬
thuung zu verschaffe!! wissen; wenigstens wird England uns auch bei einem
plötzlichen Umschlag seiner Gefühle zu Gunsten des Besiegten, wie ihn die
neuere Geschichte ja zu verzeichnen Gelegenheit gehabt hat, nicht daran hindern
können. Fallen wir, so ist es ganz gleichgiltig, ob England besonders eifrig


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[0621] Das deutsch-englische Abkommen Ist dem so, so fragt es sich, was denn eigentlich, kühl betrachtet (d. h. so, wie uns die Herren Engländer zu betrachten gewohnt sind) bei einer solchen Freundschaft für uns herauskommt. Es gilt da, drei Fälle zu unterscheide»: Erstens kann England mit uns ein Bündnis schließen; ferner kann es neutral bleibe«; und schließlich kann es sich gegen uns wenden. Hierbei ist es gleichgiltig, sich gegenwärtig zu halten, daß England seine Wahl des Standpunktes lediglich nach seinem Interesse wählen wird. Für uus bleibt die Frage zu beantworten: Was hat unser Land davon, ob der eine oder der andre dieser Fälle eintritt? Erstens: England schließt mit uns ein Schutz- und Trutzbündnis: Germania am Arme John Bulls. Dies wäre der Fall, mit dem uns am meisten gedient wäre, der günstige Fall zur oxeslleinzs. Sehen wir daher zunächst ganz davon ab, ob England zu einem solchen Bündnis überhaupt fähig ist, um zu erwägen, welche Vorteile wir dann in diesem günstigsten Falle zu erwarten hätten? Nehmen wir einen europäischen Krieg für die nächste Zeit, d. h. so lange das Geschenk Sansibars und Ugandas anhält, als unvermeidlich an — denn bei Wechseln auf spätere Zeit muß stets England gewinnen, nicht wir, es wäre also nicht mehr der günstigste Fall —, so würde es sich fragen: Welche Hilfe würde England uns bei einem solchen Kriege, der über unser Sein oder Nichtsein entscheiden wird, leisten (immer vorausgesetzt, daß es dazu aus vollem Herzen bereit und — imstande wäre)? Das englische Landheer dürfen wir hierbei wohl unberücksichtigt lassen. Ganz abgesehen von den Elementen, aus denen es sich zusammensetzt, und dein Mangel an tüchtiger Ausbildung und Mannszucht, ist seine Zahl so beschränkt, daß es bei einem europäischen Kriege nicht ins Gewicht fallen würde. Also die englische Flotte! Auch von deren innerm Werte sehen wir ab, obgleich es Kenner geben soll, die namentlich in Bezug auf die Organisation so ziemlich alles vermissen, was bei einer schlagfertigen Flotte vorausgesetzt wird. Da aber unsre Schlachten auf dem Laude ausgefochten werden, so kann die ganze englische Hilfe immer nur eiuen Bruchteil der Unterstützung ausmachen. Diese kann nun erstens darin bestehen, daß die englische Flotte unsern Handel mit unter ihren Schutz nimmt; zweitens darin, daß sie einer feindlichen Flotte das Gleichgewicht hält, wo wir allein es nicht können; drittens darin, daß sie einen uns feindlich gesinnten Staat hindert, gegen uns einzutreten. Über den ersten Punkt brauchen wir nur wenige Worte zu verlieren. Der kommende Krieg wird für uns zweifelsohne ein Kampf um sein oder Nichtsein werden. Siegen wir, fo werden wir uns für jeden Schaden Genug¬ thuung zu verschaffe!! wissen; wenigstens wird England uns auch bei einem plötzlichen Umschlag seiner Gefühle zu Gunsten des Besiegten, wie ihn die neuere Geschichte ja zu verzeichnen Gelegenheit gehabt hat, nicht daran hindern können. Fallen wir, so ist es ganz gleichgiltig, ob England besonders eifrig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/621>, abgerufen am 28.06.2024.