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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

in der Verfolgung französischer oder russischer Kreuzer war, die unsern Handel
schädigten; wir sinken dann aller Voraussicht nach endgiltig, und keine Hilfe
Englands wird uns -- selbst wenn England gewohnt wäre, großmütig zu sei",
wo es gewinnen kann -- davor bewahren.

Wichtiger wäre der zweite Punkt, daß die englische Flotte einer feindlichen
die Stirn böte. Wird Frankreich verhindert, seine vortrefflichen Marinetruppen
auf dein Lande gegen uns zu verwerten, so ist das zweifellos sehr angenehm
für uns, obgleich es zu irgend einer Entscheidung auch nichts beitragen würde.
Im übrigen sind unsre Küsten, wie es den Anschein hat, geschützt, und einer
Landung von einer den Verhältnissen nach gewiß uicht sehr großen Anzahl
feindlicher Truppen würde ohne große Schwierigkeiten unsrerseits zu begegnen
sein; dazu bedarf es keiner Engländer.

So bleibt Punkt drei: Rußland oder Frankreich zu hindern, uns anzu¬
greifen. Da fragt es sich denn, welches Maß von Furcht John Bull dem
einen oder andern dieser Völker einflößt? Sie ist, unsrer Erfahrung nach,
nicht groß. Die Bestätigung hiervon wird jeder, der mit russischen und fran¬
zösischen Verhältnissen vertraut ist, geben köunen. Ehe England aber dahin
kommt, die für Rußland oder Frankreich besonders wunden Punkte zu erreichen,
sind bei uns längst die Würfel gefallen. Angenommen aber auch, England
besetzte Konstantinopel oder Algier oder gar Südfrankreich, würde das Ru߬
land oder Frankreich von einem erfolgreichen Kampfe gegen uus abhalten?
Sicherlich nicht. Wir würden diesen Kampf allein auf dem Lande auszufechten
habe", vielleicht dabei zu Grunde gehen -- und England? Durch unsre
Freundschaft würde es Konstantinopel, Algier u. s. w. erlangen und mit unsern
Feinden das Weitere besprechen. Eine Diversion Englands ans Frankreich
oder Rußland wird keinen dieser Staaten weder einzeln noch gemeinsam von
einem Kriege gegen uus abhalten. Es würden immer nur Nebenpunkte sein,
die hier in Betracht kämen, und die jeder von beiden wenigstens für den
Augenblick fallen lassen könnte, um seine ganze .Kraft -- wie es auch wohl
notwendig sein würde -- auf uns und unsre Verbündeten zu wenden. Daß
sich hierbei eine für England ganz vorzügliche Trübung der Wasser ergeben
würde, in denen der sportliebende Brite die wundervollsten Fische zu fangen
Gelegenheit hätte, das wäre nur eine Wiederholung des schon hundertmal
geschehenen. Was bleibt also in diesem allergünstigsten Falle von der Freundschaft
oder Allianz Englands für uns übrig?

Zieht man nun noch in Betracht, 1. daß ans ein treues Bündnis Eng¬
lands schon deshalb nicht zu bauen ist, weil erfahrungsmäßig ein Ministerium
stets mehr oder weniger alles das umstößt, was das vorhergehende in Bezug
auf die auswärtige Politik geschaffen hat, vor allen Dingen dann, wenn die
Verpflichtung anfängt unbequem und nnprofitabel zu werden; 2. daß es
Allianzen und Allianzen giebt, nämlich solche, in denen man, durch die Sachlage


Das deutsch-englische Abkommen

in der Verfolgung französischer oder russischer Kreuzer war, die unsern Handel
schädigten; wir sinken dann aller Voraussicht nach endgiltig, und keine Hilfe
Englands wird uns — selbst wenn England gewohnt wäre, großmütig zu sei»,
wo es gewinnen kann — davor bewahren.

Wichtiger wäre der zweite Punkt, daß die englische Flotte einer feindlichen
die Stirn böte. Wird Frankreich verhindert, seine vortrefflichen Marinetruppen
auf dein Lande gegen uns zu verwerten, so ist das zweifellos sehr angenehm
für uns, obgleich es zu irgend einer Entscheidung auch nichts beitragen würde.
Im übrigen sind unsre Küsten, wie es den Anschein hat, geschützt, und einer
Landung von einer den Verhältnissen nach gewiß uicht sehr großen Anzahl
feindlicher Truppen würde ohne große Schwierigkeiten unsrerseits zu begegnen
sein; dazu bedarf es keiner Engländer.

So bleibt Punkt drei: Rußland oder Frankreich zu hindern, uns anzu¬
greifen. Da fragt es sich denn, welches Maß von Furcht John Bull dem
einen oder andern dieser Völker einflößt? Sie ist, unsrer Erfahrung nach,
nicht groß. Die Bestätigung hiervon wird jeder, der mit russischen und fran¬
zösischen Verhältnissen vertraut ist, geben köunen. Ehe England aber dahin
kommt, die für Rußland oder Frankreich besonders wunden Punkte zu erreichen,
sind bei uns längst die Würfel gefallen. Angenommen aber auch, England
besetzte Konstantinopel oder Algier oder gar Südfrankreich, würde das Ru߬
land oder Frankreich von einem erfolgreichen Kampfe gegen uus abhalten?
Sicherlich nicht. Wir würden diesen Kampf allein auf dem Lande auszufechten
habe», vielleicht dabei zu Grunde gehen — und England? Durch unsre
Freundschaft würde es Konstantinopel, Algier u. s. w. erlangen und mit unsern
Feinden das Weitere besprechen. Eine Diversion Englands ans Frankreich
oder Rußland wird keinen dieser Staaten weder einzeln noch gemeinsam von
einem Kriege gegen uus abhalten. Es würden immer nur Nebenpunkte sein,
die hier in Betracht kämen, und die jeder von beiden wenigstens für den
Augenblick fallen lassen könnte, um seine ganze .Kraft — wie es auch wohl
notwendig sein würde — auf uns und unsre Verbündeten zu wenden. Daß
sich hierbei eine für England ganz vorzügliche Trübung der Wasser ergeben
würde, in denen der sportliebende Brite die wundervollsten Fische zu fangen
Gelegenheit hätte, das wäre nur eine Wiederholung des schon hundertmal
geschehenen. Was bleibt also in diesem allergünstigsten Falle von der Freundschaft
oder Allianz Englands für uns übrig?

Zieht man nun noch in Betracht, 1. daß ans ein treues Bündnis Eng¬
lands schon deshalb nicht zu bauen ist, weil erfahrungsmäßig ein Ministerium
stets mehr oder weniger alles das umstößt, was das vorhergehende in Bezug
auf die auswärtige Politik geschaffen hat, vor allen Dingen dann, wenn die
Verpflichtung anfängt unbequem und nnprofitabel zu werden; 2. daß es
Allianzen und Allianzen giebt, nämlich solche, in denen man, durch die Sachlage


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[0622] Das deutsch-englische Abkommen in der Verfolgung französischer oder russischer Kreuzer war, die unsern Handel schädigten; wir sinken dann aller Voraussicht nach endgiltig, und keine Hilfe Englands wird uns — selbst wenn England gewohnt wäre, großmütig zu sei», wo es gewinnen kann — davor bewahren. Wichtiger wäre der zweite Punkt, daß die englische Flotte einer feindlichen die Stirn böte. Wird Frankreich verhindert, seine vortrefflichen Marinetruppen auf dein Lande gegen uns zu verwerten, so ist das zweifellos sehr angenehm für uns, obgleich es zu irgend einer Entscheidung auch nichts beitragen würde. Im übrigen sind unsre Küsten, wie es den Anschein hat, geschützt, und einer Landung von einer den Verhältnissen nach gewiß uicht sehr großen Anzahl feindlicher Truppen würde ohne große Schwierigkeiten unsrerseits zu begegnen sein; dazu bedarf es keiner Engländer. So bleibt Punkt drei: Rußland oder Frankreich zu hindern, uns anzu¬ greifen. Da fragt es sich denn, welches Maß von Furcht John Bull dem einen oder andern dieser Völker einflößt? Sie ist, unsrer Erfahrung nach, nicht groß. Die Bestätigung hiervon wird jeder, der mit russischen und fran¬ zösischen Verhältnissen vertraut ist, geben köunen. Ehe England aber dahin kommt, die für Rußland oder Frankreich besonders wunden Punkte zu erreichen, sind bei uns längst die Würfel gefallen. Angenommen aber auch, England besetzte Konstantinopel oder Algier oder gar Südfrankreich, würde das Ru߬ land oder Frankreich von einem erfolgreichen Kampfe gegen uus abhalten? Sicherlich nicht. Wir würden diesen Kampf allein auf dem Lande auszufechten habe», vielleicht dabei zu Grunde gehen — und England? Durch unsre Freundschaft würde es Konstantinopel, Algier u. s. w. erlangen und mit unsern Feinden das Weitere besprechen. Eine Diversion Englands ans Frankreich oder Rußland wird keinen dieser Staaten weder einzeln noch gemeinsam von einem Kriege gegen uus abhalten. Es würden immer nur Nebenpunkte sein, die hier in Betracht kämen, und die jeder von beiden wenigstens für den Augenblick fallen lassen könnte, um seine ganze .Kraft — wie es auch wohl notwendig sein würde — auf uns und unsre Verbündeten zu wenden. Daß sich hierbei eine für England ganz vorzügliche Trübung der Wasser ergeben würde, in denen der sportliebende Brite die wundervollsten Fische zu fangen Gelegenheit hätte, das wäre nur eine Wiederholung des schon hundertmal geschehenen. Was bleibt also in diesem allergünstigsten Falle von der Freundschaft oder Allianz Englands für uns übrig? Zieht man nun noch in Betracht, 1. daß ans ein treues Bündnis Eng¬ lands schon deshalb nicht zu bauen ist, weil erfahrungsmäßig ein Ministerium stets mehr oder weniger alles das umstößt, was das vorhergehende in Bezug auf die auswärtige Politik geschaffen hat, vor allen Dingen dann, wenn die Verpflichtung anfängt unbequem und nnprofitabel zu werden; 2. daß es Allianzen und Allianzen giebt, nämlich solche, in denen man, durch die Sachlage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/622>, abgerufen am 28.12.2024.