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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

Freundschaften von Nationen sind, wie jedermann weiß, mir in Schul¬
büchern vorhanden. "Freundschaft" zwischen Nationen heißt entweder: Du
kannst mich nicht entbehren, oder: Ich mag dich nicht entbehren.

Hat England das Recht, zu uns zu sagen: Du knunst mich nicht entbehren,
und ich bitte mir aus, daß du dies im Sinne behältst, wenn sich irgendwie
nud irgendwo dazu eine Gelegenheit bietet? Mit andern Worten: Zwingt
uns England zu dieser "Freundschaft", oder suchen wir die Hand unsers wackern
Stammesbruders jenseits des Kanals?

Im erstern Falle wäre es ganz nutzlos, irgend welche Betrachtungen in
einer Zeitschrift darüber anzustellen. Hat England direkt oder indirekt erklärt:
Es geht auf Kosten eines Krieges mit euch, wenn ihr nicht klein beigebt, so
ist es Sache unsrer Diplomaten die Angelegenheit so zu erledigen, daß wir mit
leidlichem Aufputz wieder aus dem Handel herauskommen. Indeß, wäre dein
in Wirklichkeit so, so dürfte doch wohl das deutsche Volk mit Recht verlangen,
darüber aufgeklärt zu werde"; mau sollte dann rund heraus bekennen: Wir
müssen klein beigeben, wir können gar nicht anders, die Sachlage ist einmal
so unglücklich, England hat es in der Hand, uns zu demütigen -- und Helgo¬
land für Ostafrika ist eine Demütigung! --, weil wir in der Patsche sitzen,
und England es dnrch seine geschickte und energische Politik fertig bringt, daß
es thun und lassen kann, was es uns gegenüber thun und lassen will! Das
deutsche Volk wußte dann wenigstens -- ein schwacher Trost zwar! --, woran
es ist; seine instinktive Abneigung gegen dieses rvmerhaft selbstsüchtige, aber
"zielbewußte" Jnselvolk, das unser bischen ideales Aufflackern "ach 1870 auf
Schritt und Tritt mit Tonnen ätzenden Lvschungsmaterials begießt, würde
dann aus dem heuchlerischen, lügenhaften Zustande herausgerissen werden, in
den sie sich mit Unwillen schickt; diese natürliche Abneigung würde sich in
aufrichtiger Natürlichkeit weigern, die Hand zu streicheln, die es rechts und
links ohrfeigt, wo es nnr angeht.

Aber diese Sachlage dürfte überhaupt nicht zutreffen. Es ist nicht gut
denkbar, daß England unsrer Diplomatie (soweit sie noch existirt) bei dein
Vertrag über Ostafrika das Messer an die Kehle gesetzt haben sollte, aus
vielen Gründen nicht, die schon deshalb nicht aufgeführt zu werden brauchen,
weil eine Betrachtung darüber vollkommen nutzlos wäre; denn nicht wir, die
wir als außenstehende Bürger dem Getriebe unsrer innern und außer" Politik
mit nüchternem Auge und als Zuschauer gegenüberstehen, wären berufen oder
imstande, Kombinationen zu schaffen, die einen derartigen Schritt ins Leere ,
verlaufen lassen würden; das ist Sache unsrer künftigen Diplomatie oder in
Ermanglung derselben unsers neuen Reichskanzlers.

Also bleibt nur das zweite übrig: Wir suchen die Freundschaft Englands
und, fügen wir nach den jüngste" Erfahrungen hinzu, wir suchen sie
Ä tout, prix.


Das deutsch-englische Abkommen

Freundschaften von Nationen sind, wie jedermann weiß, mir in Schul¬
büchern vorhanden. „Freundschaft" zwischen Nationen heißt entweder: Du
kannst mich nicht entbehren, oder: Ich mag dich nicht entbehren.

Hat England das Recht, zu uns zu sagen: Du knunst mich nicht entbehren,
und ich bitte mir aus, daß du dies im Sinne behältst, wenn sich irgendwie
nud irgendwo dazu eine Gelegenheit bietet? Mit andern Worten: Zwingt
uns England zu dieser „Freundschaft", oder suchen wir die Hand unsers wackern
Stammesbruders jenseits des Kanals?

Im erstern Falle wäre es ganz nutzlos, irgend welche Betrachtungen in
einer Zeitschrift darüber anzustellen. Hat England direkt oder indirekt erklärt:
Es geht auf Kosten eines Krieges mit euch, wenn ihr nicht klein beigebt, so
ist es Sache unsrer Diplomaten die Angelegenheit so zu erledigen, daß wir mit
leidlichem Aufputz wieder aus dem Handel herauskommen. Indeß, wäre dein
in Wirklichkeit so, so dürfte doch wohl das deutsche Volk mit Recht verlangen,
darüber aufgeklärt zu werde»; mau sollte dann rund heraus bekennen: Wir
müssen klein beigeben, wir können gar nicht anders, die Sachlage ist einmal
so unglücklich, England hat es in der Hand, uns zu demütigen — und Helgo¬
land für Ostafrika ist eine Demütigung! —, weil wir in der Patsche sitzen,
und England es dnrch seine geschickte und energische Politik fertig bringt, daß
es thun und lassen kann, was es uns gegenüber thun und lassen will! Das
deutsche Volk wußte dann wenigstens — ein schwacher Trost zwar! —, woran
es ist; seine instinktive Abneigung gegen dieses rvmerhaft selbstsüchtige, aber
„zielbewußte" Jnselvolk, das unser bischen ideales Aufflackern »ach 1870 auf
Schritt und Tritt mit Tonnen ätzenden Lvschungsmaterials begießt, würde
dann aus dem heuchlerischen, lügenhaften Zustande herausgerissen werden, in
den sie sich mit Unwillen schickt; diese natürliche Abneigung würde sich in
aufrichtiger Natürlichkeit weigern, die Hand zu streicheln, die es rechts und
links ohrfeigt, wo es nnr angeht.

Aber diese Sachlage dürfte überhaupt nicht zutreffen. Es ist nicht gut
denkbar, daß England unsrer Diplomatie (soweit sie noch existirt) bei dein
Vertrag über Ostafrika das Messer an die Kehle gesetzt haben sollte, aus
vielen Gründen nicht, die schon deshalb nicht aufgeführt zu werden brauchen,
weil eine Betrachtung darüber vollkommen nutzlos wäre; denn nicht wir, die
wir als außenstehende Bürger dem Getriebe unsrer innern und außer» Politik
mit nüchternem Auge und als Zuschauer gegenüberstehen, wären berufen oder
imstande, Kombinationen zu schaffen, die einen derartigen Schritt ins Leere ,
verlaufen lassen würden; das ist Sache unsrer künftigen Diplomatie oder in
Ermanglung derselben unsers neuen Reichskanzlers.

Also bleibt nur das zweite übrig: Wir suchen die Freundschaft Englands
und, fügen wir nach den jüngste» Erfahrungen hinzu, wir suchen sie
Ä tout, prix.


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[0620] Das deutsch-englische Abkommen Freundschaften von Nationen sind, wie jedermann weiß, mir in Schul¬ büchern vorhanden. „Freundschaft" zwischen Nationen heißt entweder: Du kannst mich nicht entbehren, oder: Ich mag dich nicht entbehren. Hat England das Recht, zu uns zu sagen: Du knunst mich nicht entbehren, und ich bitte mir aus, daß du dies im Sinne behältst, wenn sich irgendwie nud irgendwo dazu eine Gelegenheit bietet? Mit andern Worten: Zwingt uns England zu dieser „Freundschaft", oder suchen wir die Hand unsers wackern Stammesbruders jenseits des Kanals? Im erstern Falle wäre es ganz nutzlos, irgend welche Betrachtungen in einer Zeitschrift darüber anzustellen. Hat England direkt oder indirekt erklärt: Es geht auf Kosten eines Krieges mit euch, wenn ihr nicht klein beigebt, so ist es Sache unsrer Diplomaten die Angelegenheit so zu erledigen, daß wir mit leidlichem Aufputz wieder aus dem Handel herauskommen. Indeß, wäre dein in Wirklichkeit so, so dürfte doch wohl das deutsche Volk mit Recht verlangen, darüber aufgeklärt zu werde»; mau sollte dann rund heraus bekennen: Wir müssen klein beigeben, wir können gar nicht anders, die Sachlage ist einmal so unglücklich, England hat es in der Hand, uns zu demütigen — und Helgo¬ land für Ostafrika ist eine Demütigung! —, weil wir in der Patsche sitzen, und England es dnrch seine geschickte und energische Politik fertig bringt, daß es thun und lassen kann, was es uns gegenüber thun und lassen will! Das deutsche Volk wußte dann wenigstens — ein schwacher Trost zwar! —, woran es ist; seine instinktive Abneigung gegen dieses rvmerhaft selbstsüchtige, aber „zielbewußte" Jnselvolk, das unser bischen ideales Aufflackern »ach 1870 auf Schritt und Tritt mit Tonnen ätzenden Lvschungsmaterials begießt, würde dann aus dem heuchlerischen, lügenhaften Zustande herausgerissen werden, in den sie sich mit Unwillen schickt; diese natürliche Abneigung würde sich in aufrichtiger Natürlichkeit weigern, die Hand zu streicheln, die es rechts und links ohrfeigt, wo es nnr angeht. Aber diese Sachlage dürfte überhaupt nicht zutreffen. Es ist nicht gut denkbar, daß England unsrer Diplomatie (soweit sie noch existirt) bei dein Vertrag über Ostafrika das Messer an die Kehle gesetzt haben sollte, aus vielen Gründen nicht, die schon deshalb nicht aufgeführt zu werden brauchen, weil eine Betrachtung darüber vollkommen nutzlos wäre; denn nicht wir, die wir als außenstehende Bürger dem Getriebe unsrer innern und außer» Politik mit nüchternem Auge und als Zuschauer gegenüberstehen, wären berufen oder imstande, Kombinationen zu schaffen, die einen derartigen Schritt ins Leere , verlaufen lassen würden; das ist Sache unsrer künftigen Diplomatie oder in Ermanglung derselben unsers neuen Reichskanzlers. Also bleibt nur das zweite übrig: Wir suchen die Freundschaft Englands und, fügen wir nach den jüngste» Erfahrungen hinzu, wir suchen sie Ä tout, prix.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/620>, abgerufen am 23.06.2024.