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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die leitenden Grundzüge in der Politik des 1'uiNilex IVl^xinius

geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll,"
er damit hat fügen wollen, daß wir "den Gesetzen der Menschen gehorchen
müssen, nie aber dabei dem jvom Papst bestimmten's Rechte Gottes irgend
etwas vergeben dürfen," und daß dies des Christen heiligste Pflicht sei, "ans
welcher sich alle andern ableiten." Auch in den Worten Christi bei Lukas
(12, 49): "Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und
was wollte ich lieber, denn es brennete schon," findet Seine Heiligkeit ganz
dasselbe ausgesprochen, was er in der vorigen Stelle fand. Andre Ausleger
finden freilich nur, daß Christus mit diesen Worten auf die gewaltigen geistigen
Währungen deute, die er als von seinem Wirken ausgehend voraussieht,
Gährungen, die die religiöse Verfassung der Menschheit zunächst viel mehr an¬
gingen als die staatliche. Aber was thut das? Seine Heiligkeit findet nun
einmal in den Worten die Erkenntnis einer Wahrheit (die von der Priorität
des Gehorsams gegen die Kirche vor dem gegen den Staat), "die des mensch¬
lichen Geistes herrlichste Zierde ist, und das freudige Umfassen dieses Gebotes
ist des menschlichen Willens höchstes Gut. Und darin gerade liegt much des
Christen wahres Leben und echte Freiheit." Die Aufrechthaltung dieser Freiheit
aber ist der Kirche anvertraut, "und mit mütterlicher, zärtlichster Liebe erfüllt
die Kirche ihre Aufgabe bisher und fürderhin."

Man sieht, Unklarheiten in kirchenpolitischen Fragen sind hier nicht vor¬
handen, lind das mögen sich die Staatsmänner merken, deren Aufgabe es
ist, die Existenz des modernen Staates gegenüber der römischen Thevkrntie
mit ihren mittelalterlichen Rechtsforderungen zu schirmen. Ruch diesem Stand¬
punkte, wie wir ihn mich ans der Euehklika Leos XI II. wieder kennen lernten,
giebt es keine andern staatlichen Rechte, als die die Kirche anerkennt. Das
moderne Staatsrecht zumal, das sich einerseits auf Gewissensfreiheit, ander¬
seits auf die Oberhoheit der staatlichen Gewalt gründet, ist dem jetzigen Papste
gerade so ein Greuel, wie es seinen Vorgängern war. Je mehr ein Staat
auf der modernen Völker- und Staatsrechtslehre feststeht, desto schärfer und
entschieduer wendet sich die Kirche gegen ihn. Ein etwaiger ">,"!u> vivondi
wird uur so lauge eingehalten, als das Muß dahinter steht. Der preußische
Staat hat das vom Anfang an erfahren. Die päpstliche Macht hat ihn
gerade so wenig anerkannt, als sie den westfälischen Frieden als Grundlage
für die staatliche Gleichberechtigung der Konfessionen anerkannt hat. Als
Friedrich I. sich 1701 die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte, ohne
das Zuthun dessen dabei angenommen zu haben, der ausschließlich "das Recht,
Könige zu schaffen," von Gott zu haben behauptet (Mücke, Der Friede zwischen
Staat und Kirche, I, Seite 55>), da sah sich Clemens XI. zu folgender Allo-
kntivn an das Kardinalskolleginm veranlaßt: "Ehrwürdige Brüder! Es ist
uus mitgeteilt worden, und die Nachricht ist durch die ganze Welt verbreitet,
daß der Markgraf Friedrich von Brandenburg vermittelst eines freche" und


Die leitenden Grundzüge in der Politik des 1'uiNilex IVl^xinius

geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll,"
er damit hat fügen wollen, daß wir „den Gesetzen der Menschen gehorchen
müssen, nie aber dabei dem jvom Papst bestimmten's Rechte Gottes irgend
etwas vergeben dürfen," und daß dies des Christen heiligste Pflicht sei, „ans
welcher sich alle andern ableiten." Auch in den Worten Christi bei Lukas
(12, 49): „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und
was wollte ich lieber, denn es brennete schon," findet Seine Heiligkeit ganz
dasselbe ausgesprochen, was er in der vorigen Stelle fand. Andre Ausleger
finden freilich nur, daß Christus mit diesen Worten auf die gewaltigen geistigen
Währungen deute, die er als von seinem Wirken ausgehend voraussieht,
Gährungen, die die religiöse Verfassung der Menschheit zunächst viel mehr an¬
gingen als die staatliche. Aber was thut das? Seine Heiligkeit findet nun
einmal in den Worten die Erkenntnis einer Wahrheit (die von der Priorität
des Gehorsams gegen die Kirche vor dem gegen den Staat), „die des mensch¬
lichen Geistes herrlichste Zierde ist, und das freudige Umfassen dieses Gebotes
ist des menschlichen Willens höchstes Gut. Und darin gerade liegt much des
Christen wahres Leben und echte Freiheit." Die Aufrechthaltung dieser Freiheit
aber ist der Kirche anvertraut, „und mit mütterlicher, zärtlichster Liebe erfüllt
die Kirche ihre Aufgabe bisher und fürderhin."

Man sieht, Unklarheiten in kirchenpolitischen Fragen sind hier nicht vor¬
handen, lind das mögen sich die Staatsmänner merken, deren Aufgabe es
ist, die Existenz des modernen Staates gegenüber der römischen Thevkrntie
mit ihren mittelalterlichen Rechtsforderungen zu schirmen. Ruch diesem Stand¬
punkte, wie wir ihn mich ans der Euehklika Leos XI II. wieder kennen lernten,
giebt es keine andern staatlichen Rechte, als die die Kirche anerkennt. Das
moderne Staatsrecht zumal, das sich einerseits auf Gewissensfreiheit, ander¬
seits auf die Oberhoheit der staatlichen Gewalt gründet, ist dem jetzigen Papste
gerade so ein Greuel, wie es seinen Vorgängern war. Je mehr ein Staat
auf der modernen Völker- und Staatsrechtslehre feststeht, desto schärfer und
entschieduer wendet sich die Kirche gegen ihn. Ein etwaiger »>,»!u> vivondi
wird uur so lauge eingehalten, als das Muß dahinter steht. Der preußische
Staat hat das vom Anfang an erfahren. Die päpstliche Macht hat ihn
gerade so wenig anerkannt, als sie den westfälischen Frieden als Grundlage
für die staatliche Gleichberechtigung der Konfessionen anerkannt hat. Als
Friedrich I. sich 1701 die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte, ohne
das Zuthun dessen dabei angenommen zu haben, der ausschließlich „das Recht,
Könige zu schaffen," von Gott zu haben behauptet (Mücke, Der Friede zwischen
Staat und Kirche, I, Seite 55>), da sah sich Clemens XI. zu folgender Allo-
kntivn an das Kardinalskolleginm veranlaßt: „Ehrwürdige Brüder! Es ist
uus mitgeteilt worden, und die Nachricht ist durch die ganze Welt verbreitet,
daß der Markgraf Friedrich von Brandenburg vermittelst eines freche» und


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[0062] Die leitenden Grundzüge in der Politik des 1'uiNilex IVl^xinius geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll," er damit hat fügen wollen, daß wir „den Gesetzen der Menschen gehorchen müssen, nie aber dabei dem jvom Papst bestimmten's Rechte Gottes irgend etwas vergeben dürfen," und daß dies des Christen heiligste Pflicht sei, „ans welcher sich alle andern ableiten." Auch in den Worten Christi bei Lukas (12, 49): „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon," findet Seine Heiligkeit ganz dasselbe ausgesprochen, was er in der vorigen Stelle fand. Andre Ausleger finden freilich nur, daß Christus mit diesen Worten auf die gewaltigen geistigen Währungen deute, die er als von seinem Wirken ausgehend voraussieht, Gährungen, die die religiöse Verfassung der Menschheit zunächst viel mehr an¬ gingen als die staatliche. Aber was thut das? Seine Heiligkeit findet nun einmal in den Worten die Erkenntnis einer Wahrheit (die von der Priorität des Gehorsams gegen die Kirche vor dem gegen den Staat), „die des mensch¬ lichen Geistes herrlichste Zierde ist, und das freudige Umfassen dieses Gebotes ist des menschlichen Willens höchstes Gut. Und darin gerade liegt much des Christen wahres Leben und echte Freiheit." Die Aufrechthaltung dieser Freiheit aber ist der Kirche anvertraut, „und mit mütterlicher, zärtlichster Liebe erfüllt die Kirche ihre Aufgabe bisher und fürderhin." Man sieht, Unklarheiten in kirchenpolitischen Fragen sind hier nicht vor¬ handen, lind das mögen sich die Staatsmänner merken, deren Aufgabe es ist, die Existenz des modernen Staates gegenüber der römischen Thevkrntie mit ihren mittelalterlichen Rechtsforderungen zu schirmen. Ruch diesem Stand¬ punkte, wie wir ihn mich ans der Euehklika Leos XI II. wieder kennen lernten, giebt es keine andern staatlichen Rechte, als die die Kirche anerkennt. Das moderne Staatsrecht zumal, das sich einerseits auf Gewissensfreiheit, ander¬ seits auf die Oberhoheit der staatlichen Gewalt gründet, ist dem jetzigen Papste gerade so ein Greuel, wie es seinen Vorgängern war. Je mehr ein Staat auf der modernen Völker- und Staatsrechtslehre feststeht, desto schärfer und entschieduer wendet sich die Kirche gegen ihn. Ein etwaiger »>,»!u> vivondi wird uur so lauge eingehalten, als das Muß dahinter steht. Der preußische Staat hat das vom Anfang an erfahren. Die päpstliche Macht hat ihn gerade so wenig anerkannt, als sie den westfälischen Frieden als Grundlage für die staatliche Gleichberechtigung der Konfessionen anerkannt hat. Als Friedrich I. sich 1701 die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte, ohne das Zuthun dessen dabei angenommen zu haben, der ausschließlich „das Recht, Könige zu schaffen," von Gott zu haben behauptet (Mücke, Der Friede zwischen Staat und Kirche, I, Seite 55>), da sah sich Clemens XI. zu folgender Allo- kntivn an das Kardinalskolleginm veranlaßt: „Ehrwürdige Brüder! Es ist uus mitgeteilt worden, und die Nachricht ist durch die ganze Welt verbreitet, daß der Markgraf Friedrich von Brandenburg vermittelst eines freche» und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/62>, abgerufen am 23.07.2024.