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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Warum griff man nicht zu, warum ließ man ohne zwingenden Grund die
Italiener herein, und warum giebt man nun, um vollends das Kind mit dem
Bade auszuschütten, allzu klein- oder allzu großmütig das Ganze als freie
Liebesgabe in die ohnehin schon so überreichlich beladene Schale der Eng¬
länder? Was werden unsre Landsleute in Wien dazu sagen, die ihr Kapital
gläubig in die junge Kolonie gesteckt haben? Und was die Deutsch-Ostafri¬
kanische Gesellschaft, die vor wenig Wochen erst die bisherige Witugesellschaft
in sich hat aufgehen lassen?

Überblicken wir nun das Gewinnkontv der Engländer. Man kennzeichnet
es am richtigsten, wenn man es als grenzenlos bezeichnet. Sie erhalten kurz
gesagt den ganzen Nest des unverteilten Afrika. Im glücklichsten Fall können
wir uns vielleicht später von Kamerun aus uoch einen Anteil am Sudan
sichern. In der Hauptsache aber haben unsre Kvlonialerwerbuugen mit dem
vorliegenden Abkommen ihren unwiederbringlichen Abschluß gefunden, während
sich den Engländern gerade umgekehrt die großartigsten Aussichten auf neue
Erwerbungen eröffnen. Und was diesen Aussichten eine ganz besondre Be¬
deutung verleiht, ist der Umstand, daß sie in gnr nicht ferner Zeit zu einem Zu¬
sammenwachsen fast aller englischen Kvlonialgebiete zu einem einheitlichen Niesen¬
reiche führen wird, das von der Nilmündung bis zum Kaplande hinabreicht.
Im Süden ist ihm schon jetzt ein Mittelstreifen vom Oranjefluß bis zum Tan-
ganika gewiß, wie breit er auch ausfallen möge. Das kleine Portugal vermag
dem ungestümen Vordringen keinen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen;
selbst das tapfere Transvaallaud wird über kurz oder laug diesen Rieseuplünen
erliegen, kaum zwar durch die Gewalt englischer Waffen, wohl aber durch das
friedliche und ungleich gefährlichere Mittel einer beständig zunehmenden eng¬
lischen Einwanderung. Im Norden des Viktoriasees wird dem absterbenden
Mahdismus zum Trotz der Einfluß der Briten, den obendrein ihre ägyptische
Machtstellung begünstigt, nilabwärts siegreich vordringen, und auf der andern
Seite giebt ihnen Uganda den Schlüssel zu den weiten und wichtigen Ländern
des westlichen Sudan. Nur eine Lücke scheint in diesem "System" zu klaffen;
aber wie unschädlich haben sie diese zu machen gewußt! Artikel d bestimmt,
daß die Wasserstraße des Tanganika wie auch die Landverbindungen zwischen
diesem See und der nunmehrigen Nordwestgrenze unsers Schutzgebietes ab¬
gabenfrei sein soll. Beiläufig: auch diese Bestimmung ist zu allgemein, zu
dehnbar gehalten; in Zukunft können doch in der That Abgaben in diesem
Bezirk unsrer Kolonie erhoben werden; welches sind dann die genauern Grenzen
des zollfreien Gebiets? Und wir dürfen zwar nicht übersehen, daß die ent¬
sprechende Vergünstigung in Bezug auf die zwischen dem Nyasfcisee und dem
Kongostaat eingekeilten englischen Gebietsteile auch uns zugestanden ist; wie
viel wichtiger aber ist sie für die Engländer! Wir haben breiten Anschluß an
den Kongostaat und können jene Länder zum bloßen Zweck des Durchfuhrhandels


Warum griff man nicht zu, warum ließ man ohne zwingenden Grund die
Italiener herein, und warum giebt man nun, um vollends das Kind mit dem
Bade auszuschütten, allzu klein- oder allzu großmütig das Ganze als freie
Liebesgabe in die ohnehin schon so überreichlich beladene Schale der Eng¬
länder? Was werden unsre Landsleute in Wien dazu sagen, die ihr Kapital
gläubig in die junge Kolonie gesteckt haben? Und was die Deutsch-Ostafri¬
kanische Gesellschaft, die vor wenig Wochen erst die bisherige Witugesellschaft
in sich hat aufgehen lassen?

Überblicken wir nun das Gewinnkontv der Engländer. Man kennzeichnet
es am richtigsten, wenn man es als grenzenlos bezeichnet. Sie erhalten kurz
gesagt den ganzen Nest des unverteilten Afrika. Im glücklichsten Fall können
wir uns vielleicht später von Kamerun aus uoch einen Anteil am Sudan
sichern. In der Hauptsache aber haben unsre Kvlonialerwerbuugen mit dem
vorliegenden Abkommen ihren unwiederbringlichen Abschluß gefunden, während
sich den Engländern gerade umgekehrt die großartigsten Aussichten auf neue
Erwerbungen eröffnen. Und was diesen Aussichten eine ganz besondre Be¬
deutung verleiht, ist der Umstand, daß sie in gnr nicht ferner Zeit zu einem Zu¬
sammenwachsen fast aller englischen Kvlonialgebiete zu einem einheitlichen Niesen¬
reiche führen wird, das von der Nilmündung bis zum Kaplande hinabreicht.
Im Süden ist ihm schon jetzt ein Mittelstreifen vom Oranjefluß bis zum Tan-
ganika gewiß, wie breit er auch ausfallen möge. Das kleine Portugal vermag
dem ungestümen Vordringen keinen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen;
selbst das tapfere Transvaallaud wird über kurz oder laug diesen Rieseuplünen
erliegen, kaum zwar durch die Gewalt englischer Waffen, wohl aber durch das
friedliche und ungleich gefährlichere Mittel einer beständig zunehmenden eng¬
lischen Einwanderung. Im Norden des Viktoriasees wird dem absterbenden
Mahdismus zum Trotz der Einfluß der Briten, den obendrein ihre ägyptische
Machtstellung begünstigt, nilabwärts siegreich vordringen, und auf der andern
Seite giebt ihnen Uganda den Schlüssel zu den weiten und wichtigen Ländern
des westlichen Sudan. Nur eine Lücke scheint in diesem „System" zu klaffen;
aber wie unschädlich haben sie diese zu machen gewußt! Artikel d bestimmt,
daß die Wasserstraße des Tanganika wie auch die Landverbindungen zwischen
diesem See und der nunmehrigen Nordwestgrenze unsers Schutzgebietes ab¬
gabenfrei sein soll. Beiläufig: auch diese Bestimmung ist zu allgemein, zu
dehnbar gehalten; in Zukunft können doch in der That Abgaben in diesem
Bezirk unsrer Kolonie erhoben werden; welches sind dann die genauern Grenzen
des zollfreien Gebiets? Und wir dürfen zwar nicht übersehen, daß die ent¬
sprechende Vergünstigung in Bezug auf die zwischen dem Nyasfcisee und dem
Kongostaat eingekeilten englischen Gebietsteile auch uns zugestanden ist; wie
viel wichtiger aber ist sie für die Engländer! Wir haben breiten Anschluß an
den Kongostaat und können jene Länder zum bloßen Zweck des Durchfuhrhandels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/616>, abgerufen am 28.12.2024.