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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

sehr gut entbehren. Für sie entscheidet aber die freie Durchfuhr durch unsre
nordwestlichen Landschaften über die binuenlnndische Verbindung ihrer nördlichen
und südlicheu Besitzungen. Wenn in halbamtlichen Auslassungen diese Abgaben¬
freiheit als eine aus der Kongoakte herzuleitende Verbindlichkeit dargestellt wird,
so führt das insofern irre, als Auflagen zur Deckung von Ausgaben, die die Ver¬
kehrsentwicklung erheischt, ausdrücklich darin vorbehalten werden. Geradezu ver¬
blüffend wirkt die Naivität einzelner Zeitungen, wie der "Berliner Politischen Nach¬
richten," wenn sie ganz offen Deutschland zu dem Verdienst beglückwünschen, diese
weitausgreifenden Pläne einer das ganze Afrika vom Kap bis zum Mittelmeer be¬
herrschenden englischen Machtstellung erst ermöglicht zu haben. Wir haben den
Schaden; warum uns selber noch verspotten? Es besteht fortan die ernste Ge¬
fahr, daß der seitherige Warenhandel unsers Schutzgebietes, der sich auf etwa
15 Millionen Mark belaufen mag, großenteils ans den billigen Wasserstraßen
in englisches Gebiet abgeleitet wird und damit zugleich unsern Küstenzöllen,
die wir, wie schon bemerkt, für einen baldigen innern Ausbau unsrer Kolonie
schwerlich entbehren können, der empfindlichste Abbruch geschieht. Wir wären
dann lediglich auf die landwirtschaftliche Ausbeute angewiesen, deren langsamere
Einträglichkeit wir gleichfalls schon augedeutet habe". Allerdings müßten zuvor
erst die Wasserstraßen durch Überlandwege verbunden und die erforderlichen
Fahrmittel hergestellt werden. Aber der vielbewährte englische Unternehmungs¬
geist wird nicht lange auf sich warten lassen. Schon lesen wir in glaub¬
würdigen Berichten, daß in wenigen Monaten ein englischer Dampfer den
Viktoriasee durchkreuzen wird, daß zwei eigens für den Schire eingerichtete
Kanonenboote auf der Fahrt nach ihrem Bestimmungsorte begriffen sind, daß
die nötigen Bahnverbindungen bald werden angelegt werden.

Aber noch nicht genug damit: auch die vielumwvrbene Insel Sansibar
wird abgetreten. Denn so dürfen wir wohl die deutsche Zustimmung zu dem
englischen "Protektorat" bezeichnen. Der Sultan hat sein Geschick nicht mehr
in der Hand und verdient es auch kaum; ebensowenig scheint Frankreich trotz
seiner Garantieerklärung vom Jahre 1862 Einspruch erheben zu wollen. Da¬
gegen hätte sich England, wie die Dinge liegen, niemals über den Kopf Deutsch¬
lands hinweg in den Besitz der köstlichen Beute setzen können. Sansibar ist
bisher der Sammelpunkt des gesamten ostafrikanischen Handels gewesen, wie
auch sein beherrschender Geld- und Kreditplatz, von dem die meisten und be¬
deutendsten arabischen Händler im Innern, besonders in unserm Interessengebiet,
abhängen. Die Insel ist an sich wertvoll durch den Reichtum ihrer Erzeugnisse,
sie zählt 100000 Bewohner, sie liegt nicht vor dem britischen, sondern unmittel¬
bar vor dem deutscheu Schutzgebiete, dessen wirtschaftlichen und Verwaltungs-
mittelpnnkt sie bis zum heutigen Tage noch bildet. Die deutsche Regierung
hat uns mit diesem Verzicht, allerdings in etwas rauher Weise, ihren Wunsch
zu erkennen gegeben, daß wir unsre Kolonie von ihr selbst aus verwalten und


Grenzboten II 1890 77
Das deutsch-englische Abkommen

sehr gut entbehren. Für sie entscheidet aber die freie Durchfuhr durch unsre
nordwestlichen Landschaften über die binuenlnndische Verbindung ihrer nördlichen
und südlicheu Besitzungen. Wenn in halbamtlichen Auslassungen diese Abgaben¬
freiheit als eine aus der Kongoakte herzuleitende Verbindlichkeit dargestellt wird,
so führt das insofern irre, als Auflagen zur Deckung von Ausgaben, die die Ver¬
kehrsentwicklung erheischt, ausdrücklich darin vorbehalten werden. Geradezu ver¬
blüffend wirkt die Naivität einzelner Zeitungen, wie der „Berliner Politischen Nach¬
richten," wenn sie ganz offen Deutschland zu dem Verdienst beglückwünschen, diese
weitausgreifenden Pläne einer das ganze Afrika vom Kap bis zum Mittelmeer be¬
herrschenden englischen Machtstellung erst ermöglicht zu haben. Wir haben den
Schaden; warum uns selber noch verspotten? Es besteht fortan die ernste Ge¬
fahr, daß der seitherige Warenhandel unsers Schutzgebietes, der sich auf etwa
15 Millionen Mark belaufen mag, großenteils ans den billigen Wasserstraßen
in englisches Gebiet abgeleitet wird und damit zugleich unsern Küstenzöllen,
die wir, wie schon bemerkt, für einen baldigen innern Ausbau unsrer Kolonie
schwerlich entbehren können, der empfindlichste Abbruch geschieht. Wir wären
dann lediglich auf die landwirtschaftliche Ausbeute angewiesen, deren langsamere
Einträglichkeit wir gleichfalls schon augedeutet habe«. Allerdings müßten zuvor
erst die Wasserstraßen durch Überlandwege verbunden und die erforderlichen
Fahrmittel hergestellt werden. Aber der vielbewährte englische Unternehmungs¬
geist wird nicht lange auf sich warten lassen. Schon lesen wir in glaub¬
würdigen Berichten, daß in wenigen Monaten ein englischer Dampfer den
Viktoriasee durchkreuzen wird, daß zwei eigens für den Schire eingerichtete
Kanonenboote auf der Fahrt nach ihrem Bestimmungsorte begriffen sind, daß
die nötigen Bahnverbindungen bald werden angelegt werden.

Aber noch nicht genug damit: auch die vielumwvrbene Insel Sansibar
wird abgetreten. Denn so dürfen wir wohl die deutsche Zustimmung zu dem
englischen „Protektorat" bezeichnen. Der Sultan hat sein Geschick nicht mehr
in der Hand und verdient es auch kaum; ebensowenig scheint Frankreich trotz
seiner Garantieerklärung vom Jahre 1862 Einspruch erheben zu wollen. Da¬
gegen hätte sich England, wie die Dinge liegen, niemals über den Kopf Deutsch¬
lands hinweg in den Besitz der köstlichen Beute setzen können. Sansibar ist
bisher der Sammelpunkt des gesamten ostafrikanischen Handels gewesen, wie
auch sein beherrschender Geld- und Kreditplatz, von dem die meisten und be¬
deutendsten arabischen Händler im Innern, besonders in unserm Interessengebiet,
abhängen. Die Insel ist an sich wertvoll durch den Reichtum ihrer Erzeugnisse,
sie zählt 100000 Bewohner, sie liegt nicht vor dem britischen, sondern unmittel¬
bar vor dem deutscheu Schutzgebiete, dessen wirtschaftlichen und Verwaltungs-
mittelpnnkt sie bis zum heutigen Tage noch bildet. Die deutsche Regierung
hat uns mit diesem Verzicht, allerdings in etwas rauher Weise, ihren Wunsch
zu erkennen gegeben, daß wir unsre Kolonie von ihr selbst aus verwalten und


Grenzboten II 1890 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/617>, abgerufen am 23.06.2024.