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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

stehlen, und die ander", die ein Vermögen an der Börse gewinnen. Auch ist
es durchaus nicht notwendig, daß Vermögen, die auf rechtschaffene Weise er¬
worben worden sind, ins Unendliche fortwachsen, lediglich durch die lawinen¬
artige Natur des Kapitals. Wenn ein sparsamer Mann, der jährlich keine
2000 Thaler verbraucht, es zu 200 000 Thalern gebracht hat, dann arbeitet
das Geld für ihn weiter. Ohne daß der Manu einen Finger rührt, ohne daß
er Gutes oder Böses thut, saugt sein Kapital ein kleines Vermögen nach dein
andern aus, vernichtet es einen kleinen Betrieb, ein kleines Geschäft nach dem.
andern. Ein Zehnmillivnenkapital, das in einer Maschinenfabrik, in einem
Bergwerk, in einer Grundherrschaft, im Großhandel steckt und von einem weisen
Manne geleitet wird, das hat Sinn, das mehrt den Volkswohlstand, erzeugt
geistiges Leben und gewährt seinem Besitzer innere Befriedigung. Aber jenes
blind wirkende Kapital des großen Rentners oder das Kapital in einer volks¬
wirtschaftlich wertlosen, vielleicht sogar schädlichen Fabrikanlage, das hat keinen
Sinn und keine innere Berechtigung. Die goldne Internationale endlich wird
zwar immer noch für notwendig erachtet zur Besorgung der Geldangelegenheiten
der Staaten. Aber über kurz oder lang wird auch ihr Stündlein schlagen.
Hat doch der preußische Finanzminister in seiner letzten Etatsrede hervorgehoben,
daß die Durchführung bedeutender Konversionen gelungen sei, ohne daß man
nötig gehabt habe, irgend jemandem die Hand zu drücken oder gar zu vergolden.

Also dieses Kapital könnte zu Gunsten der Besitzlosen und Bedrängten
verschwinden, ohne daß für die Zukunft eine Hemmung oder Verschlechterung
der Produktion und eine Schädigung des Volksvermögens zu fürchten wäre.
Haben wir doch dergleichen Kapitalsvernichtungen oder -Übertragungen oder
wie man das nennen will, schon erlebt; die größte darunter war die Säkula¬
risation. Sie hat in Deutschland und Frankreich den Wohlstand erhöht, weil
die Rechtsnachfolger der geistlichen Nutznießer intensiver wirtschaften. In
England freilich -- der Staat hätte es verhüten können -- trat das Gegenteil
ein. Dort wurde eine fleißige und glückliche Pächter- und Zinsbauernbevölke¬
rung von den Stiftsgütern heruntergetrieben, weil die Lords es vorteilhafter
und angenehmer fanden, das Ackerland in Schafweide und Jagdgründe zu ver¬
wandeln. Eine zweite solche Eigentumsübertragung, die das Gegenteil der
heute anzustrebenden ist, wurde vor l50 Jahren in Schottland und eine dritte
zu Anfang dieses Jahrhunderts in England vollzogen. Der Herzog von
Sntherlaud nnter andern ließ 3000 Familien, zusammen 15 000 Menschen
austreiben und ihre Hütten niederbrennen. Die zweite und dritte Vanern-
nnstreibung erwähnt Röscher (a. a. O. II. 247 und 370); für die erste findet
man die Gewährsmänner bei Döllinger, Kirche und Kirchen, S. 198 ff. Manche
der Lords haben jetzt die Bequemlichkeit, daß sie zehn deutsche Meilen und
mehr von ihrer Hausthür geradeaus jagen können, ohne daß ihnen ein Bauern-
haus im Wege steht (Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 394).


Die soziale Frage

stehlen, und die ander», die ein Vermögen an der Börse gewinnen. Auch ist
es durchaus nicht notwendig, daß Vermögen, die auf rechtschaffene Weise er¬
worben worden sind, ins Unendliche fortwachsen, lediglich durch die lawinen¬
artige Natur des Kapitals. Wenn ein sparsamer Mann, der jährlich keine
2000 Thaler verbraucht, es zu 200 000 Thalern gebracht hat, dann arbeitet
das Geld für ihn weiter. Ohne daß der Manu einen Finger rührt, ohne daß
er Gutes oder Böses thut, saugt sein Kapital ein kleines Vermögen nach dein
andern aus, vernichtet es einen kleinen Betrieb, ein kleines Geschäft nach dem.
andern. Ein Zehnmillivnenkapital, das in einer Maschinenfabrik, in einem
Bergwerk, in einer Grundherrschaft, im Großhandel steckt und von einem weisen
Manne geleitet wird, das hat Sinn, das mehrt den Volkswohlstand, erzeugt
geistiges Leben und gewährt seinem Besitzer innere Befriedigung. Aber jenes
blind wirkende Kapital des großen Rentners oder das Kapital in einer volks¬
wirtschaftlich wertlosen, vielleicht sogar schädlichen Fabrikanlage, das hat keinen
Sinn und keine innere Berechtigung. Die goldne Internationale endlich wird
zwar immer noch für notwendig erachtet zur Besorgung der Geldangelegenheiten
der Staaten. Aber über kurz oder lang wird auch ihr Stündlein schlagen.
Hat doch der preußische Finanzminister in seiner letzten Etatsrede hervorgehoben,
daß die Durchführung bedeutender Konversionen gelungen sei, ohne daß man
nötig gehabt habe, irgend jemandem die Hand zu drücken oder gar zu vergolden.

Also dieses Kapital könnte zu Gunsten der Besitzlosen und Bedrängten
verschwinden, ohne daß für die Zukunft eine Hemmung oder Verschlechterung
der Produktion und eine Schädigung des Volksvermögens zu fürchten wäre.
Haben wir doch dergleichen Kapitalsvernichtungen oder -Übertragungen oder
wie man das nennen will, schon erlebt; die größte darunter war die Säkula¬
risation. Sie hat in Deutschland und Frankreich den Wohlstand erhöht, weil
die Rechtsnachfolger der geistlichen Nutznießer intensiver wirtschaften. In
England freilich — der Staat hätte es verhüten können — trat das Gegenteil
ein. Dort wurde eine fleißige und glückliche Pächter- und Zinsbauernbevölke¬
rung von den Stiftsgütern heruntergetrieben, weil die Lords es vorteilhafter
und angenehmer fanden, das Ackerland in Schafweide und Jagdgründe zu ver¬
wandeln. Eine zweite solche Eigentumsübertragung, die das Gegenteil der
heute anzustrebenden ist, wurde vor l50 Jahren in Schottland und eine dritte
zu Anfang dieses Jahrhunderts in England vollzogen. Der Herzog von
Sntherlaud nnter andern ließ 3000 Familien, zusammen 15 000 Menschen
austreiben und ihre Hütten niederbrennen. Die zweite und dritte Vanern-
nnstreibung erwähnt Röscher (a. a. O. II. 247 und 370); für die erste findet
man die Gewährsmänner bei Döllinger, Kirche und Kirchen, S. 198 ff. Manche
der Lords haben jetzt die Bequemlichkeit, daß sie zehn deutsche Meilen und
mehr von ihrer Hausthür geradeaus jagen können, ohne daß ihnen ein Bauern-
haus im Wege steht (Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 394).


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[0597] Die soziale Frage stehlen, und die ander», die ein Vermögen an der Börse gewinnen. Auch ist es durchaus nicht notwendig, daß Vermögen, die auf rechtschaffene Weise er¬ worben worden sind, ins Unendliche fortwachsen, lediglich durch die lawinen¬ artige Natur des Kapitals. Wenn ein sparsamer Mann, der jährlich keine 2000 Thaler verbraucht, es zu 200 000 Thalern gebracht hat, dann arbeitet das Geld für ihn weiter. Ohne daß der Manu einen Finger rührt, ohne daß er Gutes oder Böses thut, saugt sein Kapital ein kleines Vermögen nach dein andern aus, vernichtet es einen kleinen Betrieb, ein kleines Geschäft nach dem. andern. Ein Zehnmillivnenkapital, das in einer Maschinenfabrik, in einem Bergwerk, in einer Grundherrschaft, im Großhandel steckt und von einem weisen Manne geleitet wird, das hat Sinn, das mehrt den Volkswohlstand, erzeugt geistiges Leben und gewährt seinem Besitzer innere Befriedigung. Aber jenes blind wirkende Kapital des großen Rentners oder das Kapital in einer volks¬ wirtschaftlich wertlosen, vielleicht sogar schädlichen Fabrikanlage, das hat keinen Sinn und keine innere Berechtigung. Die goldne Internationale endlich wird zwar immer noch für notwendig erachtet zur Besorgung der Geldangelegenheiten der Staaten. Aber über kurz oder lang wird auch ihr Stündlein schlagen. Hat doch der preußische Finanzminister in seiner letzten Etatsrede hervorgehoben, daß die Durchführung bedeutender Konversionen gelungen sei, ohne daß man nötig gehabt habe, irgend jemandem die Hand zu drücken oder gar zu vergolden. Also dieses Kapital könnte zu Gunsten der Besitzlosen und Bedrängten verschwinden, ohne daß für die Zukunft eine Hemmung oder Verschlechterung der Produktion und eine Schädigung des Volksvermögens zu fürchten wäre. Haben wir doch dergleichen Kapitalsvernichtungen oder -Übertragungen oder wie man das nennen will, schon erlebt; die größte darunter war die Säkula¬ risation. Sie hat in Deutschland und Frankreich den Wohlstand erhöht, weil die Rechtsnachfolger der geistlichen Nutznießer intensiver wirtschaften. In England freilich — der Staat hätte es verhüten können — trat das Gegenteil ein. Dort wurde eine fleißige und glückliche Pächter- und Zinsbauernbevölke¬ rung von den Stiftsgütern heruntergetrieben, weil die Lords es vorteilhafter und angenehmer fanden, das Ackerland in Schafweide und Jagdgründe zu ver¬ wandeln. Eine zweite solche Eigentumsübertragung, die das Gegenteil der heute anzustrebenden ist, wurde vor l50 Jahren in Schottland und eine dritte zu Anfang dieses Jahrhunderts in England vollzogen. Der Herzog von Sntherlaud nnter andern ließ 3000 Familien, zusammen 15 000 Menschen austreiben und ihre Hütten niederbrennen. Die zweite und dritte Vanern- nnstreibung erwähnt Röscher (a. a. O. II. 247 und 370); für die erste findet man die Gewährsmänner bei Döllinger, Kirche und Kirchen, S. 198 ff. Manche der Lords haben jetzt die Bequemlichkeit, daß sie zehn deutsche Meilen und mehr von ihrer Hausthür geradeaus jagen können, ohne daß ihnen ein Bauern- haus im Wege steht (Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 394).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/597>, abgerufen am 22.07.2024.