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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

können, noch sich für genossenschaftliche Leitung eignen, würden eingehen. Daher
wünschen wir eine solche Veränderung nicht; wir wollten nnr zeigen, daß das
Volksvermögen die Hauptsache, das Nalivnalkapital Nebensache, die Vermischung
und Verwechselung beider theoretisch falsch und praktisch schädlich ist. So
lange es große, mittelmäßige und kleine Geister, so lange es Kluge und Dumme,
Fleißige nud Faule, Sparsame und Liederliche, Besonnene und Unbesonnene
giebt, so lange wird es große, mittlere und kleine Vermögen und daneben
besitzlose Leute geben, so lange werden die Unfähigeren unter der Leitung der
Fähigeren arbeiten und diese Leitung mit einem Teile ihres Arbeitsertrages
bezahlen müssen. Es ist richtig, daß die Größe des Besitzes der Würdigkeit
und Tüchtigkeit des Besitzers in preter, vielleicht in den meisten Fällen nicht
entspricht, aber das Streben nach einer gerechtern Verteilung gehört eben zu
jenen Triebfedern, ohne die das Leben still stehen würde. Ganz unerträglich
ist jedoch der Gedanke, daß Millionen, die weder unfähig noch unwürdig sind
und weder durch Faulheit noch durch Laster ihren Anspruch auf Besitz verwirkt
haben, samt allen Kindern und Kindeskindern bis in die fernsten Geschlechter
vom Besitz ausgeschlossen und zum lebenslänglichen hoffnungslosen Entbehren
verurteilt bleiben sollen, und unwillkürlich sieht sich jeder geistig gesunde um,
ob nicht irgendwo noch Besitz vorhanden sei, mit dem sie könnten ausgestattet
werden.

Es scheint mir, daß welcher vorhanden sei. Zwar den Magnaten können
wir nicht entbehren, der durch erleuchtete Leitung seiner Güter und mit großem
Kostenaufwande deu Fortschritt der Landwirtschaft im Gange erhält, der durch
edeln Luxus die Künste und Wissenschaften fördert, und dem es sein Reichtum
gestattet, sich ohne Anspruch auf Entschädigung dem Dienste des Staates, der
Provinz, des Kreises zu widmen und alle gemeinnützigen Unternehmungen zu
befördern. Ebenso wenig können wir den königlichen Kaufmann missen, der
mit weitschaucndem Blick den Güteraustausch zwischen Ländern und Erdteilen
leitet; ebenso wenig den Erbauer von Schiffen und Lokomotiven, den Schöpfer
großer Eisenwerke, der mit Erfindergenie allen Gewerben neue Bahnen eröffnet.
Aber schon die Besitzer der großen mechanischen Webereien halten wir für
weniger unentbehrlich; sie könnten recht wohl durch Genossenschaften kleiner
Tuchmacher ersetzt werden. Unser heutiges Tuch ist nicht wesentlich besser als
das unsrer Urväter vor sechshundert Jahren; sein einziger Fortschritt besteht
darin, daß es alle Jahre dünner wird; hier giebts keine Mannesmannröhren
zu erfinden. Noch überflüssiger sind die Fabriken, die den Markt mit ungeheuern
Massen elenden Schundes überschwemmen und die guten, festen und schönen
Gewebe verdrängen; was hat die Menschheit von all dein karrirten, gegatterten,
gegitterten und gesprenkelten Zeug? Geschmacksverderbnis, Augenschmerzen und
Ärger, sonst nichts. Ganz entschieden überflüssig sind die Ehrenmänner, die
sich durch eine Reihe von betrügerischen Bankerotten ein Vermögen zusammen-


Die soziale Frage

können, noch sich für genossenschaftliche Leitung eignen, würden eingehen. Daher
wünschen wir eine solche Veränderung nicht; wir wollten nnr zeigen, daß das
Volksvermögen die Hauptsache, das Nalivnalkapital Nebensache, die Vermischung
und Verwechselung beider theoretisch falsch und praktisch schädlich ist. So
lange es große, mittelmäßige und kleine Geister, so lange es Kluge und Dumme,
Fleißige nud Faule, Sparsame und Liederliche, Besonnene und Unbesonnene
giebt, so lange wird es große, mittlere und kleine Vermögen und daneben
besitzlose Leute geben, so lange werden die Unfähigeren unter der Leitung der
Fähigeren arbeiten und diese Leitung mit einem Teile ihres Arbeitsertrages
bezahlen müssen. Es ist richtig, daß die Größe des Besitzes der Würdigkeit
und Tüchtigkeit des Besitzers in preter, vielleicht in den meisten Fällen nicht
entspricht, aber das Streben nach einer gerechtern Verteilung gehört eben zu
jenen Triebfedern, ohne die das Leben still stehen würde. Ganz unerträglich
ist jedoch der Gedanke, daß Millionen, die weder unfähig noch unwürdig sind
und weder durch Faulheit noch durch Laster ihren Anspruch auf Besitz verwirkt
haben, samt allen Kindern und Kindeskindern bis in die fernsten Geschlechter
vom Besitz ausgeschlossen und zum lebenslänglichen hoffnungslosen Entbehren
verurteilt bleiben sollen, und unwillkürlich sieht sich jeder geistig gesunde um,
ob nicht irgendwo noch Besitz vorhanden sei, mit dem sie könnten ausgestattet
werden.

Es scheint mir, daß welcher vorhanden sei. Zwar den Magnaten können
wir nicht entbehren, der durch erleuchtete Leitung seiner Güter und mit großem
Kostenaufwande deu Fortschritt der Landwirtschaft im Gange erhält, der durch
edeln Luxus die Künste und Wissenschaften fördert, und dem es sein Reichtum
gestattet, sich ohne Anspruch auf Entschädigung dem Dienste des Staates, der
Provinz, des Kreises zu widmen und alle gemeinnützigen Unternehmungen zu
befördern. Ebenso wenig können wir den königlichen Kaufmann missen, der
mit weitschaucndem Blick den Güteraustausch zwischen Ländern und Erdteilen
leitet; ebenso wenig den Erbauer von Schiffen und Lokomotiven, den Schöpfer
großer Eisenwerke, der mit Erfindergenie allen Gewerben neue Bahnen eröffnet.
Aber schon die Besitzer der großen mechanischen Webereien halten wir für
weniger unentbehrlich; sie könnten recht wohl durch Genossenschaften kleiner
Tuchmacher ersetzt werden. Unser heutiges Tuch ist nicht wesentlich besser als
das unsrer Urväter vor sechshundert Jahren; sein einziger Fortschritt besteht
darin, daß es alle Jahre dünner wird; hier giebts keine Mannesmannröhren
zu erfinden. Noch überflüssiger sind die Fabriken, die den Markt mit ungeheuern
Massen elenden Schundes überschwemmen und die guten, festen und schönen
Gewebe verdrängen; was hat die Menschheit von all dein karrirten, gegatterten,
gegitterten und gesprenkelten Zeug? Geschmacksverderbnis, Augenschmerzen und
Ärger, sonst nichts. Ganz entschieden überflüssig sind die Ehrenmänner, die
sich durch eine Reihe von betrügerischen Bankerotten ein Vermögen zusammen-


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[0596] Die soziale Frage können, noch sich für genossenschaftliche Leitung eignen, würden eingehen. Daher wünschen wir eine solche Veränderung nicht; wir wollten nnr zeigen, daß das Volksvermögen die Hauptsache, das Nalivnalkapital Nebensache, die Vermischung und Verwechselung beider theoretisch falsch und praktisch schädlich ist. So lange es große, mittelmäßige und kleine Geister, so lange es Kluge und Dumme, Fleißige nud Faule, Sparsame und Liederliche, Besonnene und Unbesonnene giebt, so lange wird es große, mittlere und kleine Vermögen und daneben besitzlose Leute geben, so lange werden die Unfähigeren unter der Leitung der Fähigeren arbeiten und diese Leitung mit einem Teile ihres Arbeitsertrages bezahlen müssen. Es ist richtig, daß die Größe des Besitzes der Würdigkeit und Tüchtigkeit des Besitzers in preter, vielleicht in den meisten Fällen nicht entspricht, aber das Streben nach einer gerechtern Verteilung gehört eben zu jenen Triebfedern, ohne die das Leben still stehen würde. Ganz unerträglich ist jedoch der Gedanke, daß Millionen, die weder unfähig noch unwürdig sind und weder durch Faulheit noch durch Laster ihren Anspruch auf Besitz verwirkt haben, samt allen Kindern und Kindeskindern bis in die fernsten Geschlechter vom Besitz ausgeschlossen und zum lebenslänglichen hoffnungslosen Entbehren verurteilt bleiben sollen, und unwillkürlich sieht sich jeder geistig gesunde um, ob nicht irgendwo noch Besitz vorhanden sei, mit dem sie könnten ausgestattet werden. Es scheint mir, daß welcher vorhanden sei. Zwar den Magnaten können wir nicht entbehren, der durch erleuchtete Leitung seiner Güter und mit großem Kostenaufwande deu Fortschritt der Landwirtschaft im Gange erhält, der durch edeln Luxus die Künste und Wissenschaften fördert, und dem es sein Reichtum gestattet, sich ohne Anspruch auf Entschädigung dem Dienste des Staates, der Provinz, des Kreises zu widmen und alle gemeinnützigen Unternehmungen zu befördern. Ebenso wenig können wir den königlichen Kaufmann missen, der mit weitschaucndem Blick den Güteraustausch zwischen Ländern und Erdteilen leitet; ebenso wenig den Erbauer von Schiffen und Lokomotiven, den Schöpfer großer Eisenwerke, der mit Erfindergenie allen Gewerben neue Bahnen eröffnet. Aber schon die Besitzer der großen mechanischen Webereien halten wir für weniger unentbehrlich; sie könnten recht wohl durch Genossenschaften kleiner Tuchmacher ersetzt werden. Unser heutiges Tuch ist nicht wesentlich besser als das unsrer Urväter vor sechshundert Jahren; sein einziger Fortschritt besteht darin, daß es alle Jahre dünner wird; hier giebts keine Mannesmannröhren zu erfinden. Noch überflüssiger sind die Fabriken, die den Markt mit ungeheuern Massen elenden Schundes überschwemmen und die guten, festen und schönen Gewebe verdrängen; was hat die Menschheit von all dein karrirten, gegatterten, gegitterten und gesprenkelten Zeug? Geschmacksverderbnis, Augenschmerzen und Ärger, sonst nichts. Ganz entschieden überflüssig sind die Ehrenmänner, die sich durch eine Reihe von betrügerischen Bankerotten ein Vermögen zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/596>, abgerufen am 28.09.2024.