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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Bei Vermögensiibertragnngen durch blutige Revolution werden immer
Güter zerstört, und die Gilterproduktion wird auf einige Zeit gehemmt. Bei
einer Übertragung auf gesetzlichem Wege braucht keine der beideu Übeln
Folgen einzutreten, wie die Geschichte der Säkularisation in deu Ländern lehrt,
wo sie vou umsichtigen und wohlwollende" Regierungen geleitet wurde. In
unserm Falle ist aber das gesetzliche Verfahren nicht anwendbar, weil es sich
uicht um eine juristisch definirbare Klasse von Besitzern handelt. Was geist¬
licher Besitz ist, läßt sich genau angeben, aber welche der vorhandenen Kapitalien
unfruchtbar sind oder schädlich wirken, das wird sich weder ein Regierungs-,
noch ein Richter-, noch ein Sachverständigenkollegium festzustellen getrauen, und
wo die Ungerechtigkeit des Mammons anfängt, das weiß, von einzelnen ganz
klaren Fällen abgesehen, nur Gott allein.

Zum Glück wird ein Gewaltstreich des Staates gar nicht erfordert. So¬
bald einmal die richtigen Begriffe von Vvlksvermögen und Kapital allgemein
bekannt und überall durchgedrungen sind, wird sich die wünschenswerte Vesitz-
titelübertragung bei jedem tüchtigen, intelligenten und charakterfestem Volke
allmählich von selbst vollziehen auf dein Boden der bestehenden Gesetzgebung,
die nur hie und da ein wenig nachgebessert zu werden braucht. Einige An¬
deutungen werden genügen, den Weg zu bezeichnen.

Wir haben soeben wieder einen Krach hinter uns. Man spricht ja nicht
davon, aber ich weiß aus Privntmitteilungen eines Fachmannes, daß bei dein
plötzlichen Kurssturz der Mvntanaktieu sehr viele Personen große Summen
und manche beinahe ihr ganzes Vermögen eingebüßt haben. Wer den Haudels-
teil der großen Zeitungen verfolgte, der wußte seit Monaten voraus, daß es
so kommen würde, daß nur Schwindel die Aktien zu so unnatürlicher Höhe
emporgetrieben haben konnte. Sogar ein Blatt wie die "Neue Freie Presse"
sah sich durch die Vorgänge an der Berliner Börse veranlaßt, ihren Juliner
die beiden Wahrheiten einzuschärfen, daß die Börse niemals Werte schaffen
kann, und daß beim Vörsenspiel das nicht eingeweihte Publikum immer und
unter allen Umstünden verliert. Natürlich nur den Juliner werden solche
Wahrheiten eingestanden im "Ekvnomist"; im Leitartikel so etwas zu sagen,
werden die kapitalistischen Blätter sich hüten; der Phraseuschwall des Leit¬
artikels hat ja die Bestimmung, durch Fragen der hohen Politik oder durch
den Kampf für Freiheit und Menschenrechte die Aufmerksamkeit der zu rupfenden
Gänse von den Operationen der Börse abzulenken. Wie in Frankreich die
berüchtigte Nothschildgruppe ihre Sang- und Druckpumpe handhabt, um in
gemessene" Zeitabständen der arbeitende" Bevölkerung ihren Nahn: von der
Milch abzuschöpfen, das ist in den Grenzboten schon wiederholt dargestellt
worden. Man braucht sich daher nicht darüber zu wundern, daß in diesen,
mäßig bevölkerten Lande sowohl bei den Bauern wie bei einem Teile der
gewerblichen Bevölkerung über drückende Not geklagt wird; das Land reicht


Die soziale Frage

Bei Vermögensiibertragnngen durch blutige Revolution werden immer
Güter zerstört, und die Gilterproduktion wird auf einige Zeit gehemmt. Bei
einer Übertragung auf gesetzlichem Wege braucht keine der beideu Übeln
Folgen einzutreten, wie die Geschichte der Säkularisation in deu Ländern lehrt,
wo sie vou umsichtigen und wohlwollende» Regierungen geleitet wurde. In
unserm Falle ist aber das gesetzliche Verfahren nicht anwendbar, weil es sich
uicht um eine juristisch definirbare Klasse von Besitzern handelt. Was geist¬
licher Besitz ist, läßt sich genau angeben, aber welche der vorhandenen Kapitalien
unfruchtbar sind oder schädlich wirken, das wird sich weder ein Regierungs-,
noch ein Richter-, noch ein Sachverständigenkollegium festzustellen getrauen, und
wo die Ungerechtigkeit des Mammons anfängt, das weiß, von einzelnen ganz
klaren Fällen abgesehen, nur Gott allein.

Zum Glück wird ein Gewaltstreich des Staates gar nicht erfordert. So¬
bald einmal die richtigen Begriffe von Vvlksvermögen und Kapital allgemein
bekannt und überall durchgedrungen sind, wird sich die wünschenswerte Vesitz-
titelübertragung bei jedem tüchtigen, intelligenten und charakterfestem Volke
allmählich von selbst vollziehen auf dein Boden der bestehenden Gesetzgebung,
die nur hie und da ein wenig nachgebessert zu werden braucht. Einige An¬
deutungen werden genügen, den Weg zu bezeichnen.

Wir haben soeben wieder einen Krach hinter uns. Man spricht ja nicht
davon, aber ich weiß aus Privntmitteilungen eines Fachmannes, daß bei dein
plötzlichen Kurssturz der Mvntanaktieu sehr viele Personen große Summen
und manche beinahe ihr ganzes Vermögen eingebüßt haben. Wer den Haudels-
teil der großen Zeitungen verfolgte, der wußte seit Monaten voraus, daß es
so kommen würde, daß nur Schwindel die Aktien zu so unnatürlicher Höhe
emporgetrieben haben konnte. Sogar ein Blatt wie die „Neue Freie Presse"
sah sich durch die Vorgänge an der Berliner Börse veranlaßt, ihren Juliner
die beiden Wahrheiten einzuschärfen, daß die Börse niemals Werte schaffen
kann, und daß beim Vörsenspiel das nicht eingeweihte Publikum immer und
unter allen Umstünden verliert. Natürlich nur den Juliner werden solche
Wahrheiten eingestanden im „Ekvnomist"; im Leitartikel so etwas zu sagen,
werden die kapitalistischen Blätter sich hüten; der Phraseuschwall des Leit¬
artikels hat ja die Bestimmung, durch Fragen der hohen Politik oder durch
den Kampf für Freiheit und Menschenrechte die Aufmerksamkeit der zu rupfenden
Gänse von den Operationen der Börse abzulenken. Wie in Frankreich die
berüchtigte Nothschildgruppe ihre Sang- und Druckpumpe handhabt, um in
gemessene» Zeitabständen der arbeitende» Bevölkerung ihren Nahn: von der
Milch abzuschöpfen, das ist in den Grenzboten schon wiederholt dargestellt
worden. Man braucht sich daher nicht darüber zu wundern, daß in diesen,
mäßig bevölkerten Lande sowohl bei den Bauern wie bei einem Teile der
gewerblichen Bevölkerung über drückende Not geklagt wird; das Land reicht


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[0598] Die soziale Frage Bei Vermögensiibertragnngen durch blutige Revolution werden immer Güter zerstört, und die Gilterproduktion wird auf einige Zeit gehemmt. Bei einer Übertragung auf gesetzlichem Wege braucht keine der beideu Übeln Folgen einzutreten, wie die Geschichte der Säkularisation in deu Ländern lehrt, wo sie vou umsichtigen und wohlwollende» Regierungen geleitet wurde. In unserm Falle ist aber das gesetzliche Verfahren nicht anwendbar, weil es sich uicht um eine juristisch definirbare Klasse von Besitzern handelt. Was geist¬ licher Besitz ist, läßt sich genau angeben, aber welche der vorhandenen Kapitalien unfruchtbar sind oder schädlich wirken, das wird sich weder ein Regierungs-, noch ein Richter-, noch ein Sachverständigenkollegium festzustellen getrauen, und wo die Ungerechtigkeit des Mammons anfängt, das weiß, von einzelnen ganz klaren Fällen abgesehen, nur Gott allein. Zum Glück wird ein Gewaltstreich des Staates gar nicht erfordert. So¬ bald einmal die richtigen Begriffe von Vvlksvermögen und Kapital allgemein bekannt und überall durchgedrungen sind, wird sich die wünschenswerte Vesitz- titelübertragung bei jedem tüchtigen, intelligenten und charakterfestem Volke allmählich von selbst vollziehen auf dein Boden der bestehenden Gesetzgebung, die nur hie und da ein wenig nachgebessert zu werden braucht. Einige An¬ deutungen werden genügen, den Weg zu bezeichnen. Wir haben soeben wieder einen Krach hinter uns. Man spricht ja nicht davon, aber ich weiß aus Privntmitteilungen eines Fachmannes, daß bei dein plötzlichen Kurssturz der Mvntanaktieu sehr viele Personen große Summen und manche beinahe ihr ganzes Vermögen eingebüßt haben. Wer den Haudels- teil der großen Zeitungen verfolgte, der wußte seit Monaten voraus, daß es so kommen würde, daß nur Schwindel die Aktien zu so unnatürlicher Höhe emporgetrieben haben konnte. Sogar ein Blatt wie die „Neue Freie Presse" sah sich durch die Vorgänge an der Berliner Börse veranlaßt, ihren Juliner die beiden Wahrheiten einzuschärfen, daß die Börse niemals Werte schaffen kann, und daß beim Vörsenspiel das nicht eingeweihte Publikum immer und unter allen Umstünden verliert. Natürlich nur den Juliner werden solche Wahrheiten eingestanden im „Ekvnomist"; im Leitartikel so etwas zu sagen, werden die kapitalistischen Blätter sich hüten; der Phraseuschwall des Leit¬ artikels hat ja die Bestimmung, durch Fragen der hohen Politik oder durch den Kampf für Freiheit und Menschenrechte die Aufmerksamkeit der zu rupfenden Gänse von den Operationen der Börse abzulenken. Wie in Frankreich die berüchtigte Nothschildgruppe ihre Sang- und Druckpumpe handhabt, um in gemessene» Zeitabständen der arbeitende» Bevölkerung ihren Nahn: von der Milch abzuschöpfen, das ist in den Grenzboten schon wiederholt dargestellt worden. Man braucht sich daher nicht darüber zu wundern, daß in diesen, mäßig bevölkerten Lande sowohl bei den Bauern wie bei einem Teile der gewerblichen Bevölkerung über drückende Not geklagt wird; das Land reicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/598>, abgerufen am 22.07.2024.