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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

rein konservative Mehrheit Vorbedingung solcher Besorgnisse gewesen wäre.
Die im Monopol liegende Verstärkung eines von der Regierung abhängigen
Beamtentums und die Verdrängung der Privatindustrie von großen Gebieten
ihrer Thätigkeit sind nun allerdings Dinge, die -- das kann ohne weiteres
zugegeben werden -- dem liberalen Gedanken widersprechen; nichts berechtigte
aber die Freisinnigen zu der Meinung, die Nationalliberaleu seien in dieser
Beziehung nicht "sicher." Das freilich unterscheidet die Nationalliberaleu von den
Freisinnigen, daß sie prinzipiell von ihrem Programm als politische Partei
die wirtschaftlichen Fragen ausgeschieden haben. Freihändler, und Schutzzöllner
sind mit nichten ein Gegensatz, der dasselbe wäre wie liberal und konservativ,
und es ist Verwahrung einzulegen dagegen, daß, wer für diese oder jene
"schutzzöllnerische" Maßregel gestimmt hat, deshalb aufgehört habe, liberal
zu sein.

Erst in allerneuester Zeit hat auf dem hochwichtigen, für die nächsten
Jahre und Jahrzehnte vielleicht alles andre in den Hintergrund drängende
Gebiet der sozialen Gesetzgebung eine gewisse Bekehrung der Deutschfreisinnigen
stattgefunden. Sehr allmählich und zuletzt unter den Parteien haben sie
-- insbesondre nach dem Erscheinen der kaiserlichen Februarerlasse -- die Un¬
möglichkeit eingesehen, noch ferner ans einem Standpunkte zu verbleiben, der
dem Staate Nichtsthun zumutet auf einem Felde, auf dem der Streit um die
fernere Entwicklung der ganzen menschlichen Kultur entschieden werden muß.
So freudig die Bereitwilligkeit der Deutschfrcisinnigen zu positiver Mitarbeit
auch auf diesem Gebiete zu begrüßen ist, so bedeutungsvoll erscheint es doch,
daran zu erinnern, daß eben diese Bereitwilligkeit noch vor gar nicht langer
Zeit den Nationalliberaleu als ein reaktionäres Gebaren zum schweren Vor¬
würfe von allen Deutschfreisinnigen gemacht wurde und daß ihnen keine Ent¬
rüstung groß genug schien, den "Staatssozialismus" zu brandmarken.

Ein ähnlicher Umschwung freisinniger Anschauungen vollzieht sich neuer¬
dings oder hat sich zum Teil vollzogen in Bezug auf die Militärfrnge. Die
Opposition auf diesem Gebiete galt bisher als ein Verhalten, das jeder Frei¬
sinnige bei Verlust seiner Eigenschaft als solcher zu beobachten hatte. Heute
ist sachliche Prüfung der neuesten, doch recht stattlichen Mehrforderungen eine
Aufgabe, die auch im freisinnigen Lager geboten scheint, ohne daß man die Schlag¬
worte hörte, die besonders im 1887er Wahlknmpfe dem "Militarismus" galten.
Was dabei das sogenannte Septennat betrifft, so hat es ja freilich nicht den
Anschein, als ob selbst die gemäßigter" Elemente der freisinnigen Partei die
Forderung der jährlichen Feststellung der Friedenspräsenzstärke des Heeres
fallen lassei? wollten, gerade bei dieser Frage aber, die wesentlich in die oben
behandelte vom Bndgetrecht hincinspielt, kann gar nicht laut und oft genug
betont werden, daß das Verlangen nach jährlicher Feststellung der Präsenzstärke
durchaus keine notwendige Forderung des Liberalismus als solchen ist. Das


Grenzboten 11 1890 74
Liberal und demokratisch

rein konservative Mehrheit Vorbedingung solcher Besorgnisse gewesen wäre.
Die im Monopol liegende Verstärkung eines von der Regierung abhängigen
Beamtentums und die Verdrängung der Privatindustrie von großen Gebieten
ihrer Thätigkeit sind nun allerdings Dinge, die — das kann ohne weiteres
zugegeben werden — dem liberalen Gedanken widersprechen; nichts berechtigte
aber die Freisinnigen zu der Meinung, die Nationalliberaleu seien in dieser
Beziehung nicht „sicher." Das freilich unterscheidet die Nationalliberaleu von den
Freisinnigen, daß sie prinzipiell von ihrem Programm als politische Partei
die wirtschaftlichen Fragen ausgeschieden haben. Freihändler, und Schutzzöllner
sind mit nichten ein Gegensatz, der dasselbe wäre wie liberal und konservativ,
und es ist Verwahrung einzulegen dagegen, daß, wer für diese oder jene
„schutzzöllnerische" Maßregel gestimmt hat, deshalb aufgehört habe, liberal
zu sein.

Erst in allerneuester Zeit hat auf dem hochwichtigen, für die nächsten
Jahre und Jahrzehnte vielleicht alles andre in den Hintergrund drängende
Gebiet der sozialen Gesetzgebung eine gewisse Bekehrung der Deutschfreisinnigen
stattgefunden. Sehr allmählich und zuletzt unter den Parteien haben sie
— insbesondre nach dem Erscheinen der kaiserlichen Februarerlasse — die Un¬
möglichkeit eingesehen, noch ferner ans einem Standpunkte zu verbleiben, der
dem Staate Nichtsthun zumutet auf einem Felde, auf dem der Streit um die
fernere Entwicklung der ganzen menschlichen Kultur entschieden werden muß.
So freudig die Bereitwilligkeit der Deutschfrcisinnigen zu positiver Mitarbeit
auch auf diesem Gebiete zu begrüßen ist, so bedeutungsvoll erscheint es doch,
daran zu erinnern, daß eben diese Bereitwilligkeit noch vor gar nicht langer
Zeit den Nationalliberaleu als ein reaktionäres Gebaren zum schweren Vor¬
würfe von allen Deutschfreisinnigen gemacht wurde und daß ihnen keine Ent¬
rüstung groß genug schien, den „Staatssozialismus" zu brandmarken.

Ein ähnlicher Umschwung freisinniger Anschauungen vollzieht sich neuer¬
dings oder hat sich zum Teil vollzogen in Bezug auf die Militärfrnge. Die
Opposition auf diesem Gebiete galt bisher als ein Verhalten, das jeder Frei¬
sinnige bei Verlust seiner Eigenschaft als solcher zu beobachten hatte. Heute
ist sachliche Prüfung der neuesten, doch recht stattlichen Mehrforderungen eine
Aufgabe, die auch im freisinnigen Lager geboten scheint, ohne daß man die Schlag¬
worte hörte, die besonders im 1887er Wahlknmpfe dem „Militarismus" galten.
Was dabei das sogenannte Septennat betrifft, so hat es ja freilich nicht den
Anschein, als ob selbst die gemäßigter« Elemente der freisinnigen Partei die
Forderung der jährlichen Feststellung der Friedenspräsenzstärke des Heeres
fallen lassei? wollten, gerade bei dieser Frage aber, die wesentlich in die oben
behandelte vom Bndgetrecht hincinspielt, kann gar nicht laut und oft genug
betont werden, daß das Verlangen nach jährlicher Feststellung der Präsenzstärke
durchaus keine notwendige Forderung des Liberalismus als solchen ist. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/593>, abgerufen am 28.12.2024.