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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

Septennat, ja sogar das "Äternat" zu verteidigen, dieses und nicht die jährliche
Bewilligung für den einzig normalen Zustand zu halten, ist an sich ganz und
gar nicht "antiliberal." Eine dauernde Staatseinrichtung, als die doch schlie߬
lich die Armee wohl auch in den Angen der freisinnigen Partei gelten wird,
bezüglich ihres ganzen Bestandes (dem Umfange nach wenigstens und in der
Wirkung möglicherweise auch dem Inhalte und Werte uach) jährlich in Frage
stellen zu lassen, ist doch an sich wahrhaftig kein liberaler Gedanke, und keinem
Freisinnigen möchte etwas ähnliches bei irgend einer andern Staatseinrichtung
in den Sinn kommen. Wohl kann man aus wirtschaftlichen und Zweckmäßig-
keits-, nicht aber aus politisch-liberalen Gründen eine längere als einjährige
(oder als drei-, oder fünf-, oder siebenjährige) Feststellung des Friedensstnndes
der Armee bekämpfen. Vom "Liberalismus" aber wendet sich kein National-
liberaler ab, wenn er selbst für das "Äternat" stimmte. Will aber der Freisinn
die jährliche Bewilligung als Machtmittel der Regierung gegenüber durchsetze."!,
so ist das freilich ein politisches Motiv, ein solches Streben ist aber wiederum
uicht liberal, sondern bereits demokratisch in dem oben entwickelten Sinne,
weil es auf die Mehrung der Macht des Parlaments und auf die Minderung
der Macht der Krone, beziehentlich der verbündeten Regierungen hinausläuft.

Übrigens lassen die bei der Erörterung der neuesten Militärforderungen
in allgemeinen Umrissen erschienenen Pläne des Kriegsministeriums wegen
"Durchführung des Scharuhorstschen Gedankens" recht deutlich erkennen, daß
unter Umstünden gerade das "Äternat" die Art der Feststellung der Friedens¬
präsenz sein kann, die um besten vor Überbürdung der Steuerzahler schützen
könnte.

Ein Steckenpferd altfortschrittlicher und jedenfalls auch, sobald die Frage
wieder einmal brennend wird, neufreisinniger Doktrin ist endlich auch -- und
damit wollen wir diese Betrachtungen schließen ^ die Einrichtung des Schwur¬
gerichts. Jeder Gegner desselben gilt ohne weiteres als nicht liberal, durchaus
und allein das Geschwvrncngericht soll das Palladium bürgerlicher Freiheit
auf dem Gebiete der Strafrechtspflege fein. Es läßt sich kaum noch neues
über diese Frage sagen; das aber sollte doch jeder Unbefangene zugeben, daß
der "liberale" Gedanke in der Bewegung, die in Preußen zu der Justiz-
reorganisativu von 1849 führte, nicht sowohl das Schwurgericht als solches,
sondern einerseits die Öffentlichkeit und Mündlichkeit, anderseits die Beteiligung
des Lnienelements an der Rechtsprechung gewesen ist. Diese wirklich liberalen
Gedanken wird auch kein Nativnalliberaler aufgeben wollen, ob aber die Thätig¬
keit des Laienelementes zu ihrem wahren Werte besser in dein gemischten
Schöffen- oder in dem bezüglich der Schuldfrage nur mit Laien besetzten
Schwurgericht gelangen kann, darüber werden auch wirkliche Liberale unter
einander verschiedner Ansicht sein können. Daß die für die gegenwärtige
Justizvrganiscition von den verbündeten Regierungen vorgeschlagen gewesene


Liberal und demokratisch

Septennat, ja sogar das „Äternat" zu verteidigen, dieses und nicht die jährliche
Bewilligung für den einzig normalen Zustand zu halten, ist an sich ganz und
gar nicht „antiliberal." Eine dauernde Staatseinrichtung, als die doch schlie߬
lich die Armee wohl auch in den Angen der freisinnigen Partei gelten wird,
bezüglich ihres ganzen Bestandes (dem Umfange nach wenigstens und in der
Wirkung möglicherweise auch dem Inhalte und Werte uach) jährlich in Frage
stellen zu lassen, ist doch an sich wahrhaftig kein liberaler Gedanke, und keinem
Freisinnigen möchte etwas ähnliches bei irgend einer andern Staatseinrichtung
in den Sinn kommen. Wohl kann man aus wirtschaftlichen und Zweckmäßig-
keits-, nicht aber aus politisch-liberalen Gründen eine längere als einjährige
(oder als drei-, oder fünf-, oder siebenjährige) Feststellung des Friedensstnndes
der Armee bekämpfen. Vom „Liberalismus" aber wendet sich kein National-
liberaler ab, wenn er selbst für das „Äternat" stimmte. Will aber der Freisinn
die jährliche Bewilligung als Machtmittel der Regierung gegenüber durchsetze.«!,
so ist das freilich ein politisches Motiv, ein solches Streben ist aber wiederum
uicht liberal, sondern bereits demokratisch in dem oben entwickelten Sinne,
weil es auf die Mehrung der Macht des Parlaments und auf die Minderung
der Macht der Krone, beziehentlich der verbündeten Regierungen hinausläuft.

Übrigens lassen die bei der Erörterung der neuesten Militärforderungen
in allgemeinen Umrissen erschienenen Pläne des Kriegsministeriums wegen
„Durchführung des Scharuhorstschen Gedankens" recht deutlich erkennen, daß
unter Umstünden gerade das „Äternat" die Art der Feststellung der Friedens¬
präsenz sein kann, die um besten vor Überbürdung der Steuerzahler schützen
könnte.

Ein Steckenpferd altfortschrittlicher und jedenfalls auch, sobald die Frage
wieder einmal brennend wird, neufreisinniger Doktrin ist endlich auch — und
damit wollen wir diese Betrachtungen schließen ^ die Einrichtung des Schwur¬
gerichts. Jeder Gegner desselben gilt ohne weiteres als nicht liberal, durchaus
und allein das Geschwvrncngericht soll das Palladium bürgerlicher Freiheit
auf dem Gebiete der Strafrechtspflege fein. Es läßt sich kaum noch neues
über diese Frage sagen; das aber sollte doch jeder Unbefangene zugeben, daß
der „liberale" Gedanke in der Bewegung, die in Preußen zu der Justiz-
reorganisativu von 1849 führte, nicht sowohl das Schwurgericht als solches,
sondern einerseits die Öffentlichkeit und Mündlichkeit, anderseits die Beteiligung
des Lnienelements an der Rechtsprechung gewesen ist. Diese wirklich liberalen
Gedanken wird auch kein Nativnalliberaler aufgeben wollen, ob aber die Thätig¬
keit des Laienelementes zu ihrem wahren Werte besser in dein gemischten
Schöffen- oder in dem bezüglich der Schuldfrage nur mit Laien besetzten
Schwurgericht gelangen kann, darüber werden auch wirkliche Liberale unter
einander verschiedner Ansicht sein können. Daß die für die gegenwärtige
Justizvrganiscition von den verbündeten Regierungen vorgeschlagen gewesene


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[0594] Liberal und demokratisch Septennat, ja sogar das „Äternat" zu verteidigen, dieses und nicht die jährliche Bewilligung für den einzig normalen Zustand zu halten, ist an sich ganz und gar nicht „antiliberal." Eine dauernde Staatseinrichtung, als die doch schlie߬ lich die Armee wohl auch in den Angen der freisinnigen Partei gelten wird, bezüglich ihres ganzen Bestandes (dem Umfange nach wenigstens und in der Wirkung möglicherweise auch dem Inhalte und Werte uach) jährlich in Frage stellen zu lassen, ist doch an sich wahrhaftig kein liberaler Gedanke, und keinem Freisinnigen möchte etwas ähnliches bei irgend einer andern Staatseinrichtung in den Sinn kommen. Wohl kann man aus wirtschaftlichen und Zweckmäßig- keits-, nicht aber aus politisch-liberalen Gründen eine längere als einjährige (oder als drei-, oder fünf-, oder siebenjährige) Feststellung des Friedensstnndes der Armee bekämpfen. Vom „Liberalismus" aber wendet sich kein National- liberaler ab, wenn er selbst für das „Äternat" stimmte. Will aber der Freisinn die jährliche Bewilligung als Machtmittel der Regierung gegenüber durchsetze.«!, so ist das freilich ein politisches Motiv, ein solches Streben ist aber wiederum uicht liberal, sondern bereits demokratisch in dem oben entwickelten Sinne, weil es auf die Mehrung der Macht des Parlaments und auf die Minderung der Macht der Krone, beziehentlich der verbündeten Regierungen hinausläuft. Übrigens lassen die bei der Erörterung der neuesten Militärforderungen in allgemeinen Umrissen erschienenen Pläne des Kriegsministeriums wegen „Durchführung des Scharuhorstschen Gedankens" recht deutlich erkennen, daß unter Umstünden gerade das „Äternat" die Art der Feststellung der Friedens¬ präsenz sein kann, die um besten vor Überbürdung der Steuerzahler schützen könnte. Ein Steckenpferd altfortschrittlicher und jedenfalls auch, sobald die Frage wieder einmal brennend wird, neufreisinniger Doktrin ist endlich auch — und damit wollen wir diese Betrachtungen schließen ^ die Einrichtung des Schwur¬ gerichts. Jeder Gegner desselben gilt ohne weiteres als nicht liberal, durchaus und allein das Geschwvrncngericht soll das Palladium bürgerlicher Freiheit auf dem Gebiete der Strafrechtspflege fein. Es läßt sich kaum noch neues über diese Frage sagen; das aber sollte doch jeder Unbefangene zugeben, daß der „liberale" Gedanke in der Bewegung, die in Preußen zu der Justiz- reorganisativu von 1849 führte, nicht sowohl das Schwurgericht als solches, sondern einerseits die Öffentlichkeit und Mündlichkeit, anderseits die Beteiligung des Lnienelements an der Rechtsprechung gewesen ist. Diese wirklich liberalen Gedanken wird auch kein Nativnalliberaler aufgeben wollen, ob aber die Thätig¬ keit des Laienelementes zu ihrem wahren Werte besser in dein gemischten Schöffen- oder in dem bezüglich der Schuldfrage nur mit Laien besetzten Schwurgericht gelangen kann, darüber werden auch wirkliche Liberale unter einander verschiedner Ansicht sein können. Daß die für die gegenwärtige Justizvrganiscition von den verbündeten Regierungen vorgeschlagen gewesene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/594>, abgerufen am 28.09.2024.