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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

der Art und Weise abhängen, wie dieses Recht des Parlaments ausgeübt wird,
und man sollte meinen, darin läge so viel parlamentarische Macht, daß man
nicht davon reden sollte, das "Budgetrecht" sei in Deutschland, sei in Preußen
nur ein leerer Schein. Ein solcher ist es keineswegs und soll es nicht sein.
Wiederum eine liberale Einrichtung ist es, dieses Bndgetrecht, wie es bei uns
besteht, und kein Nationalliberaler wird es beschränken oder gar opfern wollen,
denn es sichert allerdings dem Volke (in seiner gewählten Vertretung) den¬
jenigen Grad von "Selbstregiermig," der, ohne die Stärke der Krone zu be¬
einträchtigen, beansprucht werden muß, wenn man in einem Verfassnngsstaate
leben will. Ein Bndgetrecht aber, das keine Pflichten des Parlaments kennt,
sondern ein jederzeit disponibles Machtmittel zu willkürlichem Zwange gegen
die Krone bilden soll, ist keine liberale Forderung, sondern höchstens eine
demokratische. Sagt uns nun ein Deutschfreisinniger, ein solches Budgetrecht
erstrebe er auch nicht für das Parlament, so fragen wir billig: wozu dann
das Geschrei über unkvnstitntionelle Zustände bei uns, über die Gefährdung
des geheiligten Budgetrechts? Wer will es antasten? Wessen versieht sich
die dentschfreisinnige Partei insbesondre von den "pseudvliberalen Heidel¬
bergern?"

Wenn im vorstehenden versucht worden ist, klarzumachen, wie sich die
liberale Auffassung von der demokratischen bezüglich der allgemeinen Ver-
fassungsfragen unterscheidet, so wird es noch wünschenswert sein, im folgenden
auch einige wesentliche einzelne Fragen zu berühren, wegen deren mit Vorliebe
immer und immer wieder von freisinniger Seite der Vorwurf der Preisgebung
des liberalen Prinzips gegen die Nativnalliberalen erhoben wird. Als solche
bieten sich besonders dar das Wahlsystem, die Wirtschaftspolitik, die soziale
Gesetzgebung, die Militürfrage und in gewissem Sinne endlich auch die Ein¬
richtung des Schwurgerichts. Es giebt natürlich noch mehr Punkte, deren
Erörterung eine Abweichung der Ansichten über das, was "liberal" ist, zwischen
Freisinnigen und Nativnalliberalen zu Tage bringt; die genannten sind aber
besonders interessant.

Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung ist
eine Einrichtung, die sür die Reichstagswahlen dein deutschen Volte in der
Verfassung und dem Neichswahlgesetze verliehen ist. Es ist, obwohl seinerzeit
niemand anders als Fürst Bismarck es mit kühnem Griff und kühnem Ver¬
trauen den Deutschen verschafft hat, recht eigentlich eine demokratische Einrich¬
tung, die z. B. in dem Lande des parlamentarischen Ideals, in England, nicht
besteht, die also schon deshalb nicht immer als das Palladium konstitutioneller
und liberaler Staatseinrichtungen dargestellt werden sollte. Es ist aber einmal
gesetzlich bei uns eingeführt, die große Masse des Volkes schätzt es und würde
es sich uicht ohne heftige Erschütterungen entreißen lassen. Das Gerede von
einer Gefährdung dieser Einrichtung dnrch die Regierung und eine etwaige


Liberal und demokratisch

der Art und Weise abhängen, wie dieses Recht des Parlaments ausgeübt wird,
und man sollte meinen, darin läge so viel parlamentarische Macht, daß man
nicht davon reden sollte, das „Budgetrecht" sei in Deutschland, sei in Preußen
nur ein leerer Schein. Ein solcher ist es keineswegs und soll es nicht sein.
Wiederum eine liberale Einrichtung ist es, dieses Bndgetrecht, wie es bei uns
besteht, und kein Nationalliberaler wird es beschränken oder gar opfern wollen,
denn es sichert allerdings dem Volke (in seiner gewählten Vertretung) den¬
jenigen Grad von „Selbstregiermig," der, ohne die Stärke der Krone zu be¬
einträchtigen, beansprucht werden muß, wenn man in einem Verfassnngsstaate
leben will. Ein Bndgetrecht aber, das keine Pflichten des Parlaments kennt,
sondern ein jederzeit disponibles Machtmittel zu willkürlichem Zwange gegen
die Krone bilden soll, ist keine liberale Forderung, sondern höchstens eine
demokratische. Sagt uns nun ein Deutschfreisinniger, ein solches Budgetrecht
erstrebe er auch nicht für das Parlament, so fragen wir billig: wozu dann
das Geschrei über unkvnstitntionelle Zustände bei uns, über die Gefährdung
des geheiligten Budgetrechts? Wer will es antasten? Wessen versieht sich
die dentschfreisinnige Partei insbesondre von den „pseudvliberalen Heidel¬
bergern?"

Wenn im vorstehenden versucht worden ist, klarzumachen, wie sich die
liberale Auffassung von der demokratischen bezüglich der allgemeinen Ver-
fassungsfragen unterscheidet, so wird es noch wünschenswert sein, im folgenden
auch einige wesentliche einzelne Fragen zu berühren, wegen deren mit Vorliebe
immer und immer wieder von freisinniger Seite der Vorwurf der Preisgebung
des liberalen Prinzips gegen die Nativnalliberalen erhoben wird. Als solche
bieten sich besonders dar das Wahlsystem, die Wirtschaftspolitik, die soziale
Gesetzgebung, die Militürfrage und in gewissem Sinne endlich auch die Ein¬
richtung des Schwurgerichts. Es giebt natürlich noch mehr Punkte, deren
Erörterung eine Abweichung der Ansichten über das, was „liberal" ist, zwischen
Freisinnigen und Nativnalliberalen zu Tage bringt; die genannten sind aber
besonders interessant.

Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung ist
eine Einrichtung, die sür die Reichstagswahlen dein deutschen Volte in der
Verfassung und dem Neichswahlgesetze verliehen ist. Es ist, obwohl seinerzeit
niemand anders als Fürst Bismarck es mit kühnem Griff und kühnem Ver¬
trauen den Deutschen verschafft hat, recht eigentlich eine demokratische Einrich¬
tung, die z. B. in dem Lande des parlamentarischen Ideals, in England, nicht
besteht, die also schon deshalb nicht immer als das Palladium konstitutioneller
und liberaler Staatseinrichtungen dargestellt werden sollte. Es ist aber einmal
gesetzlich bei uns eingeführt, die große Masse des Volkes schätzt es und würde
es sich uicht ohne heftige Erschütterungen entreißen lassen. Das Gerede von
einer Gefährdung dieser Einrichtung dnrch die Regierung und eine etwaige


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[0591] Liberal und demokratisch der Art und Weise abhängen, wie dieses Recht des Parlaments ausgeübt wird, und man sollte meinen, darin läge so viel parlamentarische Macht, daß man nicht davon reden sollte, das „Budgetrecht" sei in Deutschland, sei in Preußen nur ein leerer Schein. Ein solcher ist es keineswegs und soll es nicht sein. Wiederum eine liberale Einrichtung ist es, dieses Bndgetrecht, wie es bei uns besteht, und kein Nationalliberaler wird es beschränken oder gar opfern wollen, denn es sichert allerdings dem Volke (in seiner gewählten Vertretung) den¬ jenigen Grad von „Selbstregiermig," der, ohne die Stärke der Krone zu be¬ einträchtigen, beansprucht werden muß, wenn man in einem Verfassnngsstaate leben will. Ein Bndgetrecht aber, das keine Pflichten des Parlaments kennt, sondern ein jederzeit disponibles Machtmittel zu willkürlichem Zwange gegen die Krone bilden soll, ist keine liberale Forderung, sondern höchstens eine demokratische. Sagt uns nun ein Deutschfreisinniger, ein solches Budgetrecht erstrebe er auch nicht für das Parlament, so fragen wir billig: wozu dann das Geschrei über unkvnstitntionelle Zustände bei uns, über die Gefährdung des geheiligten Budgetrechts? Wer will es antasten? Wessen versieht sich die dentschfreisinnige Partei insbesondre von den „pseudvliberalen Heidel¬ bergern?" Wenn im vorstehenden versucht worden ist, klarzumachen, wie sich die liberale Auffassung von der demokratischen bezüglich der allgemeinen Ver- fassungsfragen unterscheidet, so wird es noch wünschenswert sein, im folgenden auch einige wesentliche einzelne Fragen zu berühren, wegen deren mit Vorliebe immer und immer wieder von freisinniger Seite der Vorwurf der Preisgebung des liberalen Prinzips gegen die Nativnalliberalen erhoben wird. Als solche bieten sich besonders dar das Wahlsystem, die Wirtschaftspolitik, die soziale Gesetzgebung, die Militürfrage und in gewissem Sinne endlich auch die Ein¬ richtung des Schwurgerichts. Es giebt natürlich noch mehr Punkte, deren Erörterung eine Abweichung der Ansichten über das, was „liberal" ist, zwischen Freisinnigen und Nativnalliberalen zu Tage bringt; die genannten sind aber besonders interessant. Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung ist eine Einrichtung, die sür die Reichstagswahlen dein deutschen Volte in der Verfassung und dem Neichswahlgesetze verliehen ist. Es ist, obwohl seinerzeit niemand anders als Fürst Bismarck es mit kühnem Griff und kühnem Ver¬ trauen den Deutschen verschafft hat, recht eigentlich eine demokratische Einrich¬ tung, die z. B. in dem Lande des parlamentarischen Ideals, in England, nicht besteht, die also schon deshalb nicht immer als das Palladium konstitutioneller und liberaler Staatseinrichtungen dargestellt werden sollte. Es ist aber einmal gesetzlich bei uns eingeführt, die große Masse des Volkes schätzt es und würde es sich uicht ohne heftige Erschütterungen entreißen lassen. Das Gerede von einer Gefährdung dieser Einrichtung dnrch die Regierung und eine etwaige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/591>, abgerufen am 22.07.2024.