Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Liberal und demokratisch

Parlamentsmehrheit genehmen Ministerium Platz machen muß, dem dann die
unbedingt nötigen Mittel jedenfalls bewilligt werden. Das Budgctrecht soll
also eine Handhabe zur mittelbaren Einführung eben derjenigen Regierungs-
form bieten, die man mit Recht "Parlamentsregieruug" nennt und die nach
den klarsten Bestimmungen der Reichs- wie der preußischen Verfassung bei uns
nicht besteht, deren Einführung auf solchem Umwege also wohl ein demokra¬
tisches, nimmermehr aber ein liberales Gelüst sein kann. In richtiger Er¬
kenntnis der Natur der Dinge ist deshalb im Reiche sowohl wie in Preußen
dieses Recht der Volksvertretung als ein durch das Wesen des Staates und
durch die Gesetze selbst beschränktes Recht eingerichtet. Einerseits fließen der
Reichs- oder Staatskasse aus den auf Grund besondrer Gesetze eröffneten Ein¬
nahmequellen (Steuern, Zölle, Gerichtskosten, Strafe" u. s. w.) die Einnahmen
so lange zu, als nicht eben jene besondern Gesetze aufgehoben oder geändert
sind, anderseits sind ans der Staats- oder Reichskasse die (im Ordinarimn
des Etatsgesetzes eingestellten) Ausgaben für Einrichtungen, die auf Grund
besondrer Gesetze geschaffen sind, so lange fortznzahlen, als wiederum jene be¬
sondern Gesetze uicht aufgehoben oder geändert und dadurch die Einrichtungen
beseitigt oder beschränkt sind. Das "Budgetrccht" des Parlaments tritt also
in dein Umfange einer völlig freien Handhabung nur in Thätigkeit, insofern
es sich um Beschaffung neuer oder Änderung alter Einnahmen und um Be¬
willigung neuer oder Änderung alter Ausgaben handelt, und hierbei schadet
es nichts oder ruft wenigstens keinen unmöglichen Zustand hervor, wenn
das Gesetz nicht zu stände kommt, weil dann eben alles beim Alten bleibt,
keineswegs aber der Staatsmaschine ein Stillstehen zugemutet wird. Etwas
anders schon liegt es, wenn etwa die Summe der Ausgaben, die der Staat
gesetzlich verbunden ist zu machen, an denen also auch das Parlament ohne
Gcsetzesverletzung keine Abstriche machen kann, die Summe der zu Gebote
stehenden Einnahmen übersteigt und neue Einnahmen auf dem üblichen Wege
der Gesetzgebung nicht habe" beschafft werden können. In solchem Falle müßte
durch ein Anleihegesetz Rat geschafft werden.

Das so gestaltete Budgetrecht der Volksvertretung ist und bleibt bei
alledem eine gewaltige Waffe in deren Händen, sie ist aber bei weitem wirk¬
samer ans der Seite der Einnahmen- als der Ausgabenbewilligung. Bezüglich
der Ausgaben treten immer aufs neue an ein großes Staatswesen neue und
veränderte Bedürfnisse heran, denen keine Regierung, sie mag eine politische
Richtung haben, welche sie will, sich entziehen kann und die deshalb auch keine
Volksvertretung auf die Dauer unbefriedigt lassen kann; in der Bewilligung der
deswegen erforderlichen neuen Einnahmen aber behält die Volksvertretung, weil
die Regierung auf ihre Mitwirkung unter allen Umständen angewiesen bleibt,
ein Mittel in den Händen, das in gewisser Weise zu einer Zwangsbefugnis
gegen die Regierung werden kann. Das ganze Dasein des Staates kann von


Liberal und demokratisch

Parlamentsmehrheit genehmen Ministerium Platz machen muß, dem dann die
unbedingt nötigen Mittel jedenfalls bewilligt werden. Das Budgctrecht soll
also eine Handhabe zur mittelbaren Einführung eben derjenigen Regierungs-
form bieten, die man mit Recht „Parlamentsregieruug" nennt und die nach
den klarsten Bestimmungen der Reichs- wie der preußischen Verfassung bei uns
nicht besteht, deren Einführung auf solchem Umwege also wohl ein demokra¬
tisches, nimmermehr aber ein liberales Gelüst sein kann. In richtiger Er¬
kenntnis der Natur der Dinge ist deshalb im Reiche sowohl wie in Preußen
dieses Recht der Volksvertretung als ein durch das Wesen des Staates und
durch die Gesetze selbst beschränktes Recht eingerichtet. Einerseits fließen der
Reichs- oder Staatskasse aus den auf Grund besondrer Gesetze eröffneten Ein¬
nahmequellen (Steuern, Zölle, Gerichtskosten, Strafe» u. s. w.) die Einnahmen
so lange zu, als nicht eben jene besondern Gesetze aufgehoben oder geändert
sind, anderseits sind ans der Staats- oder Reichskasse die (im Ordinarimn
des Etatsgesetzes eingestellten) Ausgaben für Einrichtungen, die auf Grund
besondrer Gesetze geschaffen sind, so lange fortznzahlen, als wiederum jene be¬
sondern Gesetze uicht aufgehoben oder geändert und dadurch die Einrichtungen
beseitigt oder beschränkt sind. Das „Budgetrccht" des Parlaments tritt also
in dein Umfange einer völlig freien Handhabung nur in Thätigkeit, insofern
es sich um Beschaffung neuer oder Änderung alter Einnahmen und um Be¬
willigung neuer oder Änderung alter Ausgaben handelt, und hierbei schadet
es nichts oder ruft wenigstens keinen unmöglichen Zustand hervor, wenn
das Gesetz nicht zu stände kommt, weil dann eben alles beim Alten bleibt,
keineswegs aber der Staatsmaschine ein Stillstehen zugemutet wird. Etwas
anders schon liegt es, wenn etwa die Summe der Ausgaben, die der Staat
gesetzlich verbunden ist zu machen, an denen also auch das Parlament ohne
Gcsetzesverletzung keine Abstriche machen kann, die Summe der zu Gebote
stehenden Einnahmen übersteigt und neue Einnahmen auf dem üblichen Wege
der Gesetzgebung nicht habe» beschafft werden können. In solchem Falle müßte
durch ein Anleihegesetz Rat geschafft werden.

Das so gestaltete Budgetrecht der Volksvertretung ist und bleibt bei
alledem eine gewaltige Waffe in deren Händen, sie ist aber bei weitem wirk¬
samer ans der Seite der Einnahmen- als der Ausgabenbewilligung. Bezüglich
der Ausgaben treten immer aufs neue an ein großes Staatswesen neue und
veränderte Bedürfnisse heran, denen keine Regierung, sie mag eine politische
Richtung haben, welche sie will, sich entziehen kann und die deshalb auch keine
Volksvertretung auf die Dauer unbefriedigt lassen kann; in der Bewilligung der
deswegen erforderlichen neuen Einnahmen aber behält die Volksvertretung, weil
die Regierung auf ihre Mitwirkung unter allen Umständen angewiesen bleibt,
ein Mittel in den Händen, das in gewisser Weise zu einer Zwangsbefugnis
gegen die Regierung werden kann. Das ganze Dasein des Staates kann von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207885"/>
          <fw type="header" place="top"> Liberal und demokratisch</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1637" prev="#ID_1636"> Parlamentsmehrheit genehmen Ministerium Platz machen muß, dem dann die<lb/>
unbedingt nötigen Mittel jedenfalls bewilligt werden. Das Budgctrecht soll<lb/>
also eine Handhabe zur mittelbaren Einführung eben derjenigen Regierungs-<lb/>
form bieten, die man mit Recht &#x201E;Parlamentsregieruug" nennt und die nach<lb/>
den klarsten Bestimmungen der Reichs- wie der preußischen Verfassung bei uns<lb/>
nicht besteht, deren Einführung auf solchem Umwege also wohl ein demokra¬<lb/>
tisches, nimmermehr aber ein liberales Gelüst sein kann. In richtiger Er¬<lb/>
kenntnis der Natur der Dinge ist deshalb im Reiche sowohl wie in Preußen<lb/>
dieses Recht der Volksvertretung als ein durch das Wesen des Staates und<lb/>
durch die Gesetze selbst beschränktes Recht eingerichtet. Einerseits fließen der<lb/>
Reichs- oder Staatskasse aus den auf Grund besondrer Gesetze eröffneten Ein¬<lb/>
nahmequellen (Steuern, Zölle, Gerichtskosten, Strafe» u. s. w.) die Einnahmen<lb/>
so lange zu, als nicht eben jene besondern Gesetze aufgehoben oder geändert<lb/>
sind, anderseits sind ans der Staats- oder Reichskasse die (im Ordinarimn<lb/>
des Etatsgesetzes eingestellten) Ausgaben für Einrichtungen, die auf Grund<lb/>
besondrer Gesetze geschaffen sind, so lange fortznzahlen, als wiederum jene be¬<lb/>
sondern Gesetze uicht aufgehoben oder geändert und dadurch die Einrichtungen<lb/>
beseitigt oder beschränkt sind. Das &#x201E;Budgetrccht" des Parlaments tritt also<lb/>
in dein Umfange einer völlig freien Handhabung nur in Thätigkeit, insofern<lb/>
es sich um Beschaffung neuer oder Änderung alter Einnahmen und um Be¬<lb/>
willigung neuer oder Änderung alter Ausgaben handelt, und hierbei schadet<lb/>
es nichts oder ruft wenigstens keinen unmöglichen Zustand hervor, wenn<lb/>
das Gesetz nicht zu stände kommt, weil dann eben alles beim Alten bleibt,<lb/>
keineswegs aber der Staatsmaschine ein Stillstehen zugemutet wird. Etwas<lb/>
anders schon liegt es, wenn etwa die Summe der Ausgaben, die der Staat<lb/>
gesetzlich verbunden ist zu machen, an denen also auch das Parlament ohne<lb/>
Gcsetzesverletzung keine Abstriche machen kann, die Summe der zu Gebote<lb/>
stehenden Einnahmen übersteigt und neue Einnahmen auf dem üblichen Wege<lb/>
der Gesetzgebung nicht habe» beschafft werden können. In solchem Falle müßte<lb/>
durch ein Anleihegesetz Rat geschafft werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1638" next="#ID_1639"> Das so gestaltete Budgetrecht der Volksvertretung ist und bleibt bei<lb/>
alledem eine gewaltige Waffe in deren Händen, sie ist aber bei weitem wirk¬<lb/>
samer ans der Seite der Einnahmen- als der Ausgabenbewilligung. Bezüglich<lb/>
der Ausgaben treten immer aufs neue an ein großes Staatswesen neue und<lb/>
veränderte Bedürfnisse heran, denen keine Regierung, sie mag eine politische<lb/>
Richtung haben, welche sie will, sich entziehen kann und die deshalb auch keine<lb/>
Volksvertretung auf die Dauer unbefriedigt lassen kann; in der Bewilligung der<lb/>
deswegen erforderlichen neuen Einnahmen aber behält die Volksvertretung, weil<lb/>
die Regierung auf ihre Mitwirkung unter allen Umständen angewiesen bleibt,<lb/>
ein Mittel in den Händen, das in gewisser Weise zu einer Zwangsbefugnis<lb/>
gegen die Regierung werden kann. Das ganze Dasein des Staates kann von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0590] Liberal und demokratisch Parlamentsmehrheit genehmen Ministerium Platz machen muß, dem dann die unbedingt nötigen Mittel jedenfalls bewilligt werden. Das Budgctrecht soll also eine Handhabe zur mittelbaren Einführung eben derjenigen Regierungs- form bieten, die man mit Recht „Parlamentsregieruug" nennt und die nach den klarsten Bestimmungen der Reichs- wie der preußischen Verfassung bei uns nicht besteht, deren Einführung auf solchem Umwege also wohl ein demokra¬ tisches, nimmermehr aber ein liberales Gelüst sein kann. In richtiger Er¬ kenntnis der Natur der Dinge ist deshalb im Reiche sowohl wie in Preußen dieses Recht der Volksvertretung als ein durch das Wesen des Staates und durch die Gesetze selbst beschränktes Recht eingerichtet. Einerseits fließen der Reichs- oder Staatskasse aus den auf Grund besondrer Gesetze eröffneten Ein¬ nahmequellen (Steuern, Zölle, Gerichtskosten, Strafe» u. s. w.) die Einnahmen so lange zu, als nicht eben jene besondern Gesetze aufgehoben oder geändert sind, anderseits sind ans der Staats- oder Reichskasse die (im Ordinarimn des Etatsgesetzes eingestellten) Ausgaben für Einrichtungen, die auf Grund besondrer Gesetze geschaffen sind, so lange fortznzahlen, als wiederum jene be¬ sondern Gesetze uicht aufgehoben oder geändert und dadurch die Einrichtungen beseitigt oder beschränkt sind. Das „Budgetrccht" des Parlaments tritt also in dein Umfange einer völlig freien Handhabung nur in Thätigkeit, insofern es sich um Beschaffung neuer oder Änderung alter Einnahmen und um Be¬ willigung neuer oder Änderung alter Ausgaben handelt, und hierbei schadet es nichts oder ruft wenigstens keinen unmöglichen Zustand hervor, wenn das Gesetz nicht zu stände kommt, weil dann eben alles beim Alten bleibt, keineswegs aber der Staatsmaschine ein Stillstehen zugemutet wird. Etwas anders schon liegt es, wenn etwa die Summe der Ausgaben, die der Staat gesetzlich verbunden ist zu machen, an denen also auch das Parlament ohne Gcsetzesverletzung keine Abstriche machen kann, die Summe der zu Gebote stehenden Einnahmen übersteigt und neue Einnahmen auf dem üblichen Wege der Gesetzgebung nicht habe» beschafft werden können. In solchem Falle müßte durch ein Anleihegesetz Rat geschafft werden. Das so gestaltete Budgetrecht der Volksvertretung ist und bleibt bei alledem eine gewaltige Waffe in deren Händen, sie ist aber bei weitem wirk¬ samer ans der Seite der Einnahmen- als der Ausgabenbewilligung. Bezüglich der Ausgaben treten immer aufs neue an ein großes Staatswesen neue und veränderte Bedürfnisse heran, denen keine Regierung, sie mag eine politische Richtung haben, welche sie will, sich entziehen kann und die deshalb auch keine Volksvertretung auf die Dauer unbefriedigt lassen kann; in der Bewilligung der deswegen erforderlichen neuen Einnahmen aber behält die Volksvertretung, weil die Regierung auf ihre Mitwirkung unter allen Umständen angewiesen bleibt, ein Mittel in den Händen, das in gewisser Weise zu einer Zwangsbefugnis gegen die Regierung werden kann. Das ganze Dasein des Staates kann von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/590
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/590>, abgerufen am 22.07.2024.