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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

Stelle der Freiheit dieser Faktoren einen gewissen Zwang setzt, und zwar um
deswillen, weil der Staatsorganismus unter allen Umständen an diesem Punkte
ein positives Ergebnis der Gesetzgebung Jahr sür Jahr verlangt und nicht
bestehen kann, wenn das Ergebnis der Arbeiten der gesetzgebenden Faktoren
negativ bleibt, mit andern Worten, wenn das Gesetz wegen mangelnder Über¬
einstimmung dieser Faktoren nicht zu stände kommt. Diese Thätigkeit ist die
Herstellung des Etatsgesetzes, bei der das sogenannte "Budgetrecht" der Volks-
Vertretung, welches so gern als "der Angelpunkt des ganzen parlamentarischen
Systems" bezeichnet wird, in hervorragendem Maße in Frage kommt.

Wenn man die Redner und die Presse der deutschfreisinnigen oder
gelegentlich auch der ultramontanen Partei hört -- von den intransigenten
Elementen, wie Volkspartei, Sozialdemokratin u. s. w. ganz abgesehen --, so
empfängt man, wenn man sich Wesen und Bedeutung des Budgetrechts nicht
klar gemacht hat und, wie es doch ein recht bedeutender Prozentsatz der Wähler
vermöge seines allgemeinen Bildungsgrades unzweifelhaft thut, sich mit dem
ganz allgemeinen dunkeln Rechtsbewußtsein begnügt, die Regierung dürfe die
Staatsgelder nur nach Maßgabe des im Etatsgesetze niedergelegten Willens
der gesetzgebenden Gewalt einnehmen und ausgeben, unwillkürlich den Eindruck,
als ob es in dem freien Belieben der Volksvertretung stehe, durch "Abstriche"
im Etat irgend welche zu Recht bestehende Staatseinrichtungen zu beseitigen.
Man empfängt die Vorstellung, als könnte dnrch Streichung der Ausgaben
beliebig dort im Neichsetat ein Regiment oder eine Oberpvstdirektion, hier im
Landesetat ein Oberlandcsgericht oder eine Prvvinzialstenerdirektion durch ein¬
seitigen Beschluß des Parlaments beseitigt werden. Daß dem aber nicht so
ist, kann bei der im großen Publikum herrschenden Unklarheit der Rechts-
begriffe in diesen Dingen gar nicht laut und oft genug wiederholt werden.
Wohl wird es keinem Deutschfreisinnigeu einfallen, die Behauptung aufzustellen,
es bestehe bei uns ein im obigen gekennzeichneter Rechtszustand z das große
Publikum aber, das von dentschfreisinnigen Rednern oder Preßorganen über
das "Bndgetrecht" gelehrte Auseinandersetzungen vernimmt, gewinnt mit Not¬
wendigkeit jene widersinnige Vorstellung, weil ihm nie von diesen Seiten die
Grenzen des Budgetrechts, die daraus fließenden Pflichten des Parlaments
aus einander gesetzt werden, sondern die Sache immer nur so dargestellt wird,
als ob bei Feststellung des Etatsgesetzes das Parlament lediglich Rechte hätte
und als ob das "Bndgetrecht" eine Waffe wäre, womit das Parlament die
Regierung durch ein plötzliches Stillsteheulassen der Staatsmaschinerie zu allein
und jedem zwingen könne. Die Konsequenz davon, daß die Staatsmaschine
weiterläuft, weil sie eben nicht festgehalten werden kann, sich klar zu machen,
haben Vertreter dieser Anschauung nicht nötig, denn für sie liegt die Sache
einfach so, daß das Ministerium, dessen Budget verwarfen oder so zugerichtet
ist, daß damit das Regieren unmöglich wäre, abtreten und einem andern, der


Liberal und demokratisch

Stelle der Freiheit dieser Faktoren einen gewissen Zwang setzt, und zwar um
deswillen, weil der Staatsorganismus unter allen Umständen an diesem Punkte
ein positives Ergebnis der Gesetzgebung Jahr sür Jahr verlangt und nicht
bestehen kann, wenn das Ergebnis der Arbeiten der gesetzgebenden Faktoren
negativ bleibt, mit andern Worten, wenn das Gesetz wegen mangelnder Über¬
einstimmung dieser Faktoren nicht zu stände kommt. Diese Thätigkeit ist die
Herstellung des Etatsgesetzes, bei der das sogenannte „Budgetrecht" der Volks-
Vertretung, welches so gern als „der Angelpunkt des ganzen parlamentarischen
Systems" bezeichnet wird, in hervorragendem Maße in Frage kommt.

Wenn man die Redner und die Presse der deutschfreisinnigen oder
gelegentlich auch der ultramontanen Partei hört — von den intransigenten
Elementen, wie Volkspartei, Sozialdemokratin u. s. w. ganz abgesehen —, so
empfängt man, wenn man sich Wesen und Bedeutung des Budgetrechts nicht
klar gemacht hat und, wie es doch ein recht bedeutender Prozentsatz der Wähler
vermöge seines allgemeinen Bildungsgrades unzweifelhaft thut, sich mit dem
ganz allgemeinen dunkeln Rechtsbewußtsein begnügt, die Regierung dürfe die
Staatsgelder nur nach Maßgabe des im Etatsgesetze niedergelegten Willens
der gesetzgebenden Gewalt einnehmen und ausgeben, unwillkürlich den Eindruck,
als ob es in dem freien Belieben der Volksvertretung stehe, durch „Abstriche"
im Etat irgend welche zu Recht bestehende Staatseinrichtungen zu beseitigen.
Man empfängt die Vorstellung, als könnte dnrch Streichung der Ausgaben
beliebig dort im Neichsetat ein Regiment oder eine Oberpvstdirektion, hier im
Landesetat ein Oberlandcsgericht oder eine Prvvinzialstenerdirektion durch ein¬
seitigen Beschluß des Parlaments beseitigt werden. Daß dem aber nicht so
ist, kann bei der im großen Publikum herrschenden Unklarheit der Rechts-
begriffe in diesen Dingen gar nicht laut und oft genug wiederholt werden.
Wohl wird es keinem Deutschfreisinnigeu einfallen, die Behauptung aufzustellen,
es bestehe bei uns ein im obigen gekennzeichneter Rechtszustand z das große
Publikum aber, das von dentschfreisinnigen Rednern oder Preßorganen über
das „Bndgetrecht" gelehrte Auseinandersetzungen vernimmt, gewinnt mit Not¬
wendigkeit jene widersinnige Vorstellung, weil ihm nie von diesen Seiten die
Grenzen des Budgetrechts, die daraus fließenden Pflichten des Parlaments
aus einander gesetzt werden, sondern die Sache immer nur so dargestellt wird,
als ob bei Feststellung des Etatsgesetzes das Parlament lediglich Rechte hätte
und als ob das „Bndgetrecht" eine Waffe wäre, womit das Parlament die
Regierung durch ein plötzliches Stillsteheulassen der Staatsmaschinerie zu allein
und jedem zwingen könne. Die Konsequenz davon, daß die Staatsmaschine
weiterläuft, weil sie eben nicht festgehalten werden kann, sich klar zu machen,
haben Vertreter dieser Anschauung nicht nötig, denn für sie liegt die Sache
einfach so, daß das Ministerium, dessen Budget verwarfen oder so zugerichtet
ist, daß damit das Regieren unmöglich wäre, abtreten und einem andern, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/589>, abgerufen am 22.07.2024.