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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

nicht -- aber sie ist es nicht, weil sie aristokratisch ist. Beides sind aber
Gegensätze zur Monarchie, und zwar auch zur konstitutionellen, wie unsre Ver¬
fassung sie aufbaut. England hat von der Monarchie doch nur deu Namen
und von ihrem Wesen so wenig, daß es wunder nehmen muß, wie jemand mit
dem Scheine ehrlicher Überzeugung England als Beweis einer "Monarchie trotz
Parlamentsregierung," also einer Vereinbarkeit beider Begriffe hinstellen kann!
Die Parlamentsregierung aber, die in England das Wesen einer im weitern
Sinne aristokratischen Staatsform ausmacht, würde bei uus ein demokratisches
Staatswesen schaffen, und das hat seinen Grund in der Verschiedenheit der
Wahlsysteme, Ein aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen
hervorgehendes Parlament kann nicht auf die Dauer aristokratisch sein, sondern
muß sich demokratisch entwickeln -- dieser Satz wird wohl kaum angefochten
werden können. Neben einem solchen Parlament nun, das schließlich -- sei
es weil schon formell der Monarch nur ein suspensives Veto hat, wie z. B.
in Norwegen, sei es weil der Monarch thatsächlich kein Ministerium bekommen
kann, das seiner politischen Tendenz nach ihm nicht vom Parlament aufgenötigt
ist, wie in England -- auch gegen den wirklichen Willen des Monarchen die
Gesetzgebung durchführe!: kann, ist für den Monarchen, der ein solcher ist,
d. h. der einen Willen hat, der uicht nur das erbliche, mit inhaltlosen Ehren¬
vorzügen ausgestattete, persönlicher Gewalt entbehrende Staatsoberhaupt ist,
kein Platz; das sollte niemand bestreikn, der es mit politischen Begriffen
ehrlich meint.

Wir in Preußen, in Deutschland haben einen Monarchen, wir wollen ihn
behalten; ihm Rechte nehmen wollen, nachdem die Verfassung sie begrenzt
hat, was ja eben eine liberale Errungenschaft war, heißt nicht "liberal,"
sondern "demokratisch" denken, und darum ist das Streben nach einer Parla¬
mentsregierung demokratisch und nicht liberal. Mögen sich die rechtsstehenden
Deutschfreisinnigen das klar machen! Oder sollten sie wirklich überzeugt sein,
die alten Fortschrittsleute wollten die verfassungsmäßigen Rechte des Parla¬
ments nicht nach englischem Vorbilde auszudehnen versuchen? Wohl gemerkt,
natürlich "auf gesetzlichem Wege";- nichts liegt dem Schreiber dieses ferner,
als die Annahme, der Freisinn sei "revolutionär." Aber auch ohne das zu
sein, kann man der demokratischen Idee huldigen und vergessen, daß diese nicht
ein und dieselbe mit der liberalen ist.

Wenn bisher dargelegt worden ist, wie liberale und demokratische An¬
schauung die Thätigkeit der Gesetzgebung im allgemeinen im Verfassungsstaate
doch in recht verschiedner Weise geordnet wissen wollen, so bedarf eine besondre
und regelmäßige Thätigkeit der Gesetzgebung einer besondern Betrachtung, weil
sie vou allen andern eben ihrer Periodischen gleichartigen Wiederkehr halber
sich wesentlich unterscheidet und, insofern sie ans dem Wesen des Staates
heraus den Faktoren der Gesetzgebung auch positive Pflichten auferlegt, an


Liberal und demokratisch

nicht — aber sie ist es nicht, weil sie aristokratisch ist. Beides sind aber
Gegensätze zur Monarchie, und zwar auch zur konstitutionellen, wie unsre Ver¬
fassung sie aufbaut. England hat von der Monarchie doch nur deu Namen
und von ihrem Wesen so wenig, daß es wunder nehmen muß, wie jemand mit
dem Scheine ehrlicher Überzeugung England als Beweis einer „Monarchie trotz
Parlamentsregierung," also einer Vereinbarkeit beider Begriffe hinstellen kann!
Die Parlamentsregierung aber, die in England das Wesen einer im weitern
Sinne aristokratischen Staatsform ausmacht, würde bei uus ein demokratisches
Staatswesen schaffen, und das hat seinen Grund in der Verschiedenheit der
Wahlsysteme, Ein aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen
hervorgehendes Parlament kann nicht auf die Dauer aristokratisch sein, sondern
muß sich demokratisch entwickeln — dieser Satz wird wohl kaum angefochten
werden können. Neben einem solchen Parlament nun, das schließlich — sei
es weil schon formell der Monarch nur ein suspensives Veto hat, wie z. B.
in Norwegen, sei es weil der Monarch thatsächlich kein Ministerium bekommen
kann, das seiner politischen Tendenz nach ihm nicht vom Parlament aufgenötigt
ist, wie in England — auch gegen den wirklichen Willen des Monarchen die
Gesetzgebung durchführe!: kann, ist für den Monarchen, der ein solcher ist,
d. h. der einen Willen hat, der uicht nur das erbliche, mit inhaltlosen Ehren¬
vorzügen ausgestattete, persönlicher Gewalt entbehrende Staatsoberhaupt ist,
kein Platz; das sollte niemand bestreikn, der es mit politischen Begriffen
ehrlich meint.

Wir in Preußen, in Deutschland haben einen Monarchen, wir wollen ihn
behalten; ihm Rechte nehmen wollen, nachdem die Verfassung sie begrenzt
hat, was ja eben eine liberale Errungenschaft war, heißt nicht „liberal,"
sondern „demokratisch" denken, und darum ist das Streben nach einer Parla¬
mentsregierung demokratisch und nicht liberal. Mögen sich die rechtsstehenden
Deutschfreisinnigen das klar machen! Oder sollten sie wirklich überzeugt sein,
die alten Fortschrittsleute wollten die verfassungsmäßigen Rechte des Parla¬
ments nicht nach englischem Vorbilde auszudehnen versuchen? Wohl gemerkt,
natürlich „auf gesetzlichem Wege";- nichts liegt dem Schreiber dieses ferner,
als die Annahme, der Freisinn sei „revolutionär." Aber auch ohne das zu
sein, kann man der demokratischen Idee huldigen und vergessen, daß diese nicht
ein und dieselbe mit der liberalen ist.

Wenn bisher dargelegt worden ist, wie liberale und demokratische An¬
schauung die Thätigkeit der Gesetzgebung im allgemeinen im Verfassungsstaate
doch in recht verschiedner Weise geordnet wissen wollen, so bedarf eine besondre
und regelmäßige Thätigkeit der Gesetzgebung einer besondern Betrachtung, weil
sie vou allen andern eben ihrer Periodischen gleichartigen Wiederkehr halber
sich wesentlich unterscheidet und, insofern sie ans dem Wesen des Staates
heraus den Faktoren der Gesetzgebung auch positive Pflichten auferlegt, an


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[0588] Liberal und demokratisch nicht — aber sie ist es nicht, weil sie aristokratisch ist. Beides sind aber Gegensätze zur Monarchie, und zwar auch zur konstitutionellen, wie unsre Ver¬ fassung sie aufbaut. England hat von der Monarchie doch nur deu Namen und von ihrem Wesen so wenig, daß es wunder nehmen muß, wie jemand mit dem Scheine ehrlicher Überzeugung England als Beweis einer „Monarchie trotz Parlamentsregierung," also einer Vereinbarkeit beider Begriffe hinstellen kann! Die Parlamentsregierung aber, die in England das Wesen einer im weitern Sinne aristokratischen Staatsform ausmacht, würde bei uus ein demokratisches Staatswesen schaffen, und das hat seinen Grund in der Verschiedenheit der Wahlsysteme, Ein aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen hervorgehendes Parlament kann nicht auf die Dauer aristokratisch sein, sondern muß sich demokratisch entwickeln — dieser Satz wird wohl kaum angefochten werden können. Neben einem solchen Parlament nun, das schließlich — sei es weil schon formell der Monarch nur ein suspensives Veto hat, wie z. B. in Norwegen, sei es weil der Monarch thatsächlich kein Ministerium bekommen kann, das seiner politischen Tendenz nach ihm nicht vom Parlament aufgenötigt ist, wie in England — auch gegen den wirklichen Willen des Monarchen die Gesetzgebung durchführe!: kann, ist für den Monarchen, der ein solcher ist, d. h. der einen Willen hat, der uicht nur das erbliche, mit inhaltlosen Ehren¬ vorzügen ausgestattete, persönlicher Gewalt entbehrende Staatsoberhaupt ist, kein Platz; das sollte niemand bestreikn, der es mit politischen Begriffen ehrlich meint. Wir in Preußen, in Deutschland haben einen Monarchen, wir wollen ihn behalten; ihm Rechte nehmen wollen, nachdem die Verfassung sie begrenzt hat, was ja eben eine liberale Errungenschaft war, heißt nicht „liberal," sondern „demokratisch" denken, und darum ist das Streben nach einer Parla¬ mentsregierung demokratisch und nicht liberal. Mögen sich die rechtsstehenden Deutschfreisinnigen das klar machen! Oder sollten sie wirklich überzeugt sein, die alten Fortschrittsleute wollten die verfassungsmäßigen Rechte des Parla¬ ments nicht nach englischem Vorbilde auszudehnen versuchen? Wohl gemerkt, natürlich „auf gesetzlichem Wege";- nichts liegt dem Schreiber dieses ferner, als die Annahme, der Freisinn sei „revolutionär." Aber auch ohne das zu sein, kann man der demokratischen Idee huldigen und vergessen, daß diese nicht ein und dieselbe mit der liberalen ist. Wenn bisher dargelegt worden ist, wie liberale und demokratische An¬ schauung die Thätigkeit der Gesetzgebung im allgemeinen im Verfassungsstaate doch in recht verschiedner Weise geordnet wissen wollen, so bedarf eine besondre und regelmäßige Thätigkeit der Gesetzgebung einer besondern Betrachtung, weil sie vou allen andern eben ihrer Periodischen gleichartigen Wiederkehr halber sich wesentlich unterscheidet und, insofern sie ans dem Wesen des Staates heraus den Faktoren der Gesetzgebung auch positive Pflichten auferlegt, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/588>, abgerufen am 28.12.2024.