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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

innerhalb der "freisinnigen" Theorie an jedem Verständnis zu fehlen scheint.
Diesen Unterschied recht bestimmt zu betonen, ist deshalb eine Aufgabe, der
gerade im Interesse des Einflusses des gesunden Liberalismus auf unser
Staatsleben jeder gemäßigt liberale Mann sich gar nicht oft und eindringlich
genug widmen kann. Es lohnt der Mühe, hauptsächlichen Fragen unsers
Staatslebens in dieser Beziehung einmal näher zu treten.

Da wollen wir uns denn zunächst fragen, was denn das Wesentliche des
liberalen Gedankens bezüglich unsrer Reichs- und Staatsverfassung im allgemeinen
ist. Doch wohl der Gedanke, daß der "Rechtsstaat" nach Möglichkeit verwirklicht
werde, daß das Gesetz für alle gleichmäßig die Grundsätze ordne, die das
öffentliche Leben auf seinen mannichfachen Gebieten beherrschen, daß keinerlei
Willkür einen Rechtsbruch herbeiführen dürfe. Ein solcher Gedanke führt mit
Notwendigkeit und hat deshalb auch geschichtlich bei uns geführt zu der For¬
derung eines Grundgesetzes, das will sagen zum Verfassungsstaat. Ein solcher
aber braucht seinem Wesen nach, wenn er eine Monarchie ist, keineswegs derart
eingerichtet zu sein, daß der Monarch mir der lebenslängliche Inhaber einer
Staatsgewalt ist, die er, was die Gesetzgebung, d. h. die Feststellung der das
Staatsleben beherrschenden Grundsätze betrifft, nur unes dem Willen der Volks¬
vertretung ausüben darf, selbst wenn dieser Wille dein seinigen entgegenläuft.
Freilich darf im Verfnssungsstaat der Monarch die gesetzgebende Gewalt mich
seinerseits nicht üben entgegen dem Willen der Volksvertretung. Diese Sätze
ergeben mit Notwendigkeit, daß zu positiven Maßnahmen der Gesetzgebung die
Übereinstimmung des Monarchen und der Volksvertretung nötig ist, daß jeder
von beiden solche positive Maßnahmen, die der andre wünscht, verhindern kann,
und daß auf dem Gebiete der Gesetzgebung ebenso wenig etwas geschehen kann
ohne oder gar gegen den Willen des Monarchen, wie ohne oder gegen den
Willen der Volksvertretung. Dies ist zweifellos -- und auch Herr Richter
wird nicht in der Lage sein, etwas andres zu beweisen -- der Nechtszustnud
in Preußen und ebenso -- nur daß an die Stelle des Monarchen begrifflich
der Regel nach der Bundesrat tritt -- im deutschen Reiche. Dies und nicht
mehr ist aber auch der liberale Gedanke, der sich auch dahin definiren läßt,
daß er für die Gesetzgebung das Erfordernis einer grundgesetzlich geordneten
Mitwirkung der Volksvertretung (und zwar einer nicht bloß beratenden Mit¬
wirkung) aufgestellt hat. Diesen seinem Ursprünge und seiner Tendenz nach
liberalen Gedanken haben sich die konservativen Parteien, gezwungen von der
Macht der Thatsachen, aneignen müssen, und heutzutage stehen auch sie -- und
zwar größtenteils ehrlich, wenn auch bei den Ultras der geheime Herzenswunsch
nach einer Schmälerung des so definirten Rechtes der Volksvertretung vor¬
handen sein mag auf diesem konstitutionellen Boden. Stimmen also die
Nativualliberalen mit deu .Konservativen darin überein, daß sie auf diesem
Boden feststehen, so ist das doch kein Grund, nun die Nativualliberalen zu


Liberal und demokratisch

innerhalb der „freisinnigen" Theorie an jedem Verständnis zu fehlen scheint.
Diesen Unterschied recht bestimmt zu betonen, ist deshalb eine Aufgabe, der
gerade im Interesse des Einflusses des gesunden Liberalismus auf unser
Staatsleben jeder gemäßigt liberale Mann sich gar nicht oft und eindringlich
genug widmen kann. Es lohnt der Mühe, hauptsächlichen Fragen unsers
Staatslebens in dieser Beziehung einmal näher zu treten.

Da wollen wir uns denn zunächst fragen, was denn das Wesentliche des
liberalen Gedankens bezüglich unsrer Reichs- und Staatsverfassung im allgemeinen
ist. Doch wohl der Gedanke, daß der „Rechtsstaat" nach Möglichkeit verwirklicht
werde, daß das Gesetz für alle gleichmäßig die Grundsätze ordne, die das
öffentliche Leben auf seinen mannichfachen Gebieten beherrschen, daß keinerlei
Willkür einen Rechtsbruch herbeiführen dürfe. Ein solcher Gedanke führt mit
Notwendigkeit und hat deshalb auch geschichtlich bei uns geführt zu der For¬
derung eines Grundgesetzes, das will sagen zum Verfassungsstaat. Ein solcher
aber braucht seinem Wesen nach, wenn er eine Monarchie ist, keineswegs derart
eingerichtet zu sein, daß der Monarch mir der lebenslängliche Inhaber einer
Staatsgewalt ist, die er, was die Gesetzgebung, d. h. die Feststellung der das
Staatsleben beherrschenden Grundsätze betrifft, nur unes dem Willen der Volks¬
vertretung ausüben darf, selbst wenn dieser Wille dein seinigen entgegenläuft.
Freilich darf im Verfnssungsstaat der Monarch die gesetzgebende Gewalt mich
seinerseits nicht üben entgegen dem Willen der Volksvertretung. Diese Sätze
ergeben mit Notwendigkeit, daß zu positiven Maßnahmen der Gesetzgebung die
Übereinstimmung des Monarchen und der Volksvertretung nötig ist, daß jeder
von beiden solche positive Maßnahmen, die der andre wünscht, verhindern kann,
und daß auf dem Gebiete der Gesetzgebung ebenso wenig etwas geschehen kann
ohne oder gar gegen den Willen des Monarchen, wie ohne oder gegen den
Willen der Volksvertretung. Dies ist zweifellos — und auch Herr Richter
wird nicht in der Lage sein, etwas andres zu beweisen — der Nechtszustnud
in Preußen und ebenso — nur daß an die Stelle des Monarchen begrifflich
der Regel nach der Bundesrat tritt — im deutschen Reiche. Dies und nicht
mehr ist aber auch der liberale Gedanke, der sich auch dahin definiren läßt,
daß er für die Gesetzgebung das Erfordernis einer grundgesetzlich geordneten
Mitwirkung der Volksvertretung (und zwar einer nicht bloß beratenden Mit¬
wirkung) aufgestellt hat. Diesen seinem Ursprünge und seiner Tendenz nach
liberalen Gedanken haben sich die konservativen Parteien, gezwungen von der
Macht der Thatsachen, aneignen müssen, und heutzutage stehen auch sie — und
zwar größtenteils ehrlich, wenn auch bei den Ultras der geheime Herzenswunsch
nach einer Schmälerung des so definirten Rechtes der Volksvertretung vor¬
handen sein mag auf diesem konstitutionellen Boden. Stimmen also die
Nativualliberalen mit deu .Konservativen darin überein, daß sie auf diesem
Boden feststehen, so ist das doch kein Grund, nun die Nativualliberalen zu


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[0586] Liberal und demokratisch innerhalb der „freisinnigen" Theorie an jedem Verständnis zu fehlen scheint. Diesen Unterschied recht bestimmt zu betonen, ist deshalb eine Aufgabe, der gerade im Interesse des Einflusses des gesunden Liberalismus auf unser Staatsleben jeder gemäßigt liberale Mann sich gar nicht oft und eindringlich genug widmen kann. Es lohnt der Mühe, hauptsächlichen Fragen unsers Staatslebens in dieser Beziehung einmal näher zu treten. Da wollen wir uns denn zunächst fragen, was denn das Wesentliche des liberalen Gedankens bezüglich unsrer Reichs- und Staatsverfassung im allgemeinen ist. Doch wohl der Gedanke, daß der „Rechtsstaat" nach Möglichkeit verwirklicht werde, daß das Gesetz für alle gleichmäßig die Grundsätze ordne, die das öffentliche Leben auf seinen mannichfachen Gebieten beherrschen, daß keinerlei Willkür einen Rechtsbruch herbeiführen dürfe. Ein solcher Gedanke führt mit Notwendigkeit und hat deshalb auch geschichtlich bei uns geführt zu der For¬ derung eines Grundgesetzes, das will sagen zum Verfassungsstaat. Ein solcher aber braucht seinem Wesen nach, wenn er eine Monarchie ist, keineswegs derart eingerichtet zu sein, daß der Monarch mir der lebenslängliche Inhaber einer Staatsgewalt ist, die er, was die Gesetzgebung, d. h. die Feststellung der das Staatsleben beherrschenden Grundsätze betrifft, nur unes dem Willen der Volks¬ vertretung ausüben darf, selbst wenn dieser Wille dein seinigen entgegenläuft. Freilich darf im Verfnssungsstaat der Monarch die gesetzgebende Gewalt mich seinerseits nicht üben entgegen dem Willen der Volksvertretung. Diese Sätze ergeben mit Notwendigkeit, daß zu positiven Maßnahmen der Gesetzgebung die Übereinstimmung des Monarchen und der Volksvertretung nötig ist, daß jeder von beiden solche positive Maßnahmen, die der andre wünscht, verhindern kann, und daß auf dem Gebiete der Gesetzgebung ebenso wenig etwas geschehen kann ohne oder gar gegen den Willen des Monarchen, wie ohne oder gegen den Willen der Volksvertretung. Dies ist zweifellos — und auch Herr Richter wird nicht in der Lage sein, etwas andres zu beweisen — der Nechtszustnud in Preußen und ebenso — nur daß an die Stelle des Monarchen begrifflich der Regel nach der Bundesrat tritt — im deutschen Reiche. Dies und nicht mehr ist aber auch der liberale Gedanke, der sich auch dahin definiren läßt, daß er für die Gesetzgebung das Erfordernis einer grundgesetzlich geordneten Mitwirkung der Volksvertretung (und zwar einer nicht bloß beratenden Mit¬ wirkung) aufgestellt hat. Diesen seinem Ursprünge und seiner Tendenz nach liberalen Gedanken haben sich die konservativen Parteien, gezwungen von der Macht der Thatsachen, aneignen müssen, und heutzutage stehen auch sie — und zwar größtenteils ehrlich, wenn auch bei den Ultras der geheime Herzenswunsch nach einer Schmälerung des so definirten Rechtes der Volksvertretung vor¬ handen sein mag auf diesem konstitutionellen Boden. Stimmen also die Nativualliberalen mit deu .Konservativen darin überein, daß sie auf diesem Boden feststehen, so ist das doch kein Grund, nun die Nativualliberalen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/586>, abgerufen am 28.09.2024.