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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Liberal und demokratisch

s gehört schon lange zu den Gepflogenheiten deutschfreisinniger
Orthodoxie, die Nativnalliberalen des Verrath an der liberalen
Sache zu beschuldigen, sich so zu gebärden, als ob diese unter
falscher Flagge segelten und nur die deutschfreisinnige Partei das
Recht hätte, die Bezeichnung einer liberalen Richtung für sich
zu beanspruchen. Der häusliche Streit, der neuerdings in der dentschfreisinnigen
Partei ausgebrochen ist, sollte in dieser Beziehung die Politiker und die Organe
der Presse, die einst als Vertreter der "liberalen Vereinigung" galten, belehren,
daß sie, wenn sie sich nicht vor dem Parteidespoten, der in der freisinnigen
Partei "sein wird, was er bisher war, oder nicht sein wird" (das hat er ja
Herrn l)r. Barth gesagt!), mit einem xatsr xeoeiivi beugen, Gefahr laufen,
ebenfalls des Rechtes verlustig zu gehn, sich liberal zu nennen -- wenigstens
in den Augen ihrer jetzigen Parteigenossen Richterscher Observanz. Die Nickert
und Vamberger, die Forckenbeck und Stauffenberg (ja anch die Hamel und
Genossen!), insbesondre aber die erstern, die ja selber einst nationnllibernl ge¬
wesen sind, sollten sich ernstlich die Frage vorlegen, ob die einstige "Sezession"
und dann gar die "Fusion" wohlgethan war, und ob jemand nicht doch "voll
und ganz" ein Liberaler sem kann, ohne in demselben Fahrwasser zu segeln,
wie sie. Wollen sich die rechtsstehenden Elemente der deutschfreisinuigeu Partei
trennen von den Radikalen ihres Lagers, wollen sie sich auf ihre einstige Zu¬
sammengehörigkeit mit den Nationallibernlen besinnen und Fühlung nach rechts
suchen, sei es daß sie in die nationalliberale Partei eintreten, sei es daß sie,
diesen Schritt scheuend, eine neue Partei bilden, so wird das sicher allen denen
hoch willkommen sein, die eine gesunde Entwicklung unsrer politischen Partei-
Verhältnisse wünschen. Mögen sich diese Politiker vor allem wieder des Unter¬
schiedes der Begriffe "liberal" und "demokratisch" bewußt werden, wofür es


Grenzboten 11 1890 73


Liberal und demokratisch

s gehört schon lange zu den Gepflogenheiten deutschfreisinniger
Orthodoxie, die Nativnalliberalen des Verrath an der liberalen
Sache zu beschuldigen, sich so zu gebärden, als ob diese unter
falscher Flagge segelten und nur die deutschfreisinnige Partei das
Recht hätte, die Bezeichnung einer liberalen Richtung für sich
zu beanspruchen. Der häusliche Streit, der neuerdings in der dentschfreisinnigen
Partei ausgebrochen ist, sollte in dieser Beziehung die Politiker und die Organe
der Presse, die einst als Vertreter der „liberalen Vereinigung" galten, belehren,
daß sie, wenn sie sich nicht vor dem Parteidespoten, der in der freisinnigen
Partei „sein wird, was er bisher war, oder nicht sein wird" (das hat er ja
Herrn l)r. Barth gesagt!), mit einem xatsr xeoeiivi beugen, Gefahr laufen,
ebenfalls des Rechtes verlustig zu gehn, sich liberal zu nennen — wenigstens
in den Augen ihrer jetzigen Parteigenossen Richterscher Observanz. Die Nickert
und Vamberger, die Forckenbeck und Stauffenberg (ja anch die Hamel und
Genossen!), insbesondre aber die erstern, die ja selber einst nationnllibernl ge¬
wesen sind, sollten sich ernstlich die Frage vorlegen, ob die einstige „Sezession"
und dann gar die „Fusion" wohlgethan war, und ob jemand nicht doch „voll
und ganz" ein Liberaler sem kann, ohne in demselben Fahrwasser zu segeln,
wie sie. Wollen sich die rechtsstehenden Elemente der deutschfreisinuigeu Partei
trennen von den Radikalen ihres Lagers, wollen sie sich auf ihre einstige Zu¬
sammengehörigkeit mit den Nationallibernlen besinnen und Fühlung nach rechts
suchen, sei es daß sie in die nationalliberale Partei eintreten, sei es daß sie,
diesen Schritt scheuend, eine neue Partei bilden, so wird das sicher allen denen
hoch willkommen sein, die eine gesunde Entwicklung unsrer politischen Partei-
Verhältnisse wünschen. Mögen sich diese Politiker vor allem wieder des Unter¬
schiedes der Begriffe „liberal" und „demokratisch" bewußt werden, wofür es


Grenzboten 11 1890 73
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[0585] [Abbildung] Liberal und demokratisch s gehört schon lange zu den Gepflogenheiten deutschfreisinniger Orthodoxie, die Nativnalliberalen des Verrath an der liberalen Sache zu beschuldigen, sich so zu gebärden, als ob diese unter falscher Flagge segelten und nur die deutschfreisinnige Partei das Recht hätte, die Bezeichnung einer liberalen Richtung für sich zu beanspruchen. Der häusliche Streit, der neuerdings in der dentschfreisinnigen Partei ausgebrochen ist, sollte in dieser Beziehung die Politiker und die Organe der Presse, die einst als Vertreter der „liberalen Vereinigung" galten, belehren, daß sie, wenn sie sich nicht vor dem Parteidespoten, der in der freisinnigen Partei „sein wird, was er bisher war, oder nicht sein wird" (das hat er ja Herrn l)r. Barth gesagt!), mit einem xatsr xeoeiivi beugen, Gefahr laufen, ebenfalls des Rechtes verlustig zu gehn, sich liberal zu nennen — wenigstens in den Augen ihrer jetzigen Parteigenossen Richterscher Observanz. Die Nickert und Vamberger, die Forckenbeck und Stauffenberg (ja anch die Hamel und Genossen!), insbesondre aber die erstern, die ja selber einst nationnllibernl ge¬ wesen sind, sollten sich ernstlich die Frage vorlegen, ob die einstige „Sezession" und dann gar die „Fusion" wohlgethan war, und ob jemand nicht doch „voll und ganz" ein Liberaler sem kann, ohne in demselben Fahrwasser zu segeln, wie sie. Wollen sich die rechtsstehenden Elemente der deutschfreisinuigeu Partei trennen von den Radikalen ihres Lagers, wollen sie sich auf ihre einstige Zu¬ sammengehörigkeit mit den Nationallibernlen besinnen und Fühlung nach rechts suchen, sei es daß sie in die nationalliberale Partei eintreten, sei es daß sie, diesen Schritt scheuend, eine neue Partei bilden, so wird das sicher allen denen hoch willkommen sein, die eine gesunde Entwicklung unsrer politischen Partei- Verhältnisse wünschen. Mögen sich diese Politiker vor allem wieder des Unter¬ schiedes der Begriffe „liberal" und „demokratisch" bewußt werden, wofür es Grenzboten 11 1890 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/585>, abgerufen am 27.12.2024.