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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die antiken Sarkophage

haft die Werke der Erwachsenen nachahmen, eine Hindeutung auf die Unsterb¬
lichkeit enthalten sollen; dieselben Darstellungen sehen wir schon auf griechischen
Sarkophagen und in pompejanischen Wandbildern, wo jede Anspielung auf deu
Unsterblichkeitsglauben ausgeschlossen ist. Schlverlich ist auch die Nuuahme
berechtigt, daß die Hunderte von bakchischen Sarkophagen mit den jubelnden
Zügen des Dionysos und der Ariadne, der Satyrn, Kentauren und Mänaden
als Andeutungen eines seligen Lebens aufzufassen seien. Und Sagen, wie
die oft wiederholten von Phüdra und Hippolytos oder Jason und Medea,
ferner die zahlreiche" Amazonenkämpfe, die häufigen Darstellungen der Musen
und Nereiden sind offenbar ohne jeden Bezug auf das Meuschcnlvs. Wie
in Rom die Sarkophage selbst zu bloßen Prachtstücken der Grabkammern wurden,
so wurden die Reliefs zu einem bloßen Schmuck der Sarkophage, und bei der
Auswahl der Darstellungen wirkte selten genug der Gedanke an ihre Bestimmung
mit. Was dnrch die dichtende Kunst in allen Kreisen bekannt geworden und
an andern Denkmälern zu sehen war, das wurde auch an deu Sarkophagen
gebildet. Man muß die Gefahr vermeiden, hinter diesen Haudwerkerarbeiten
zu viel zu suchen. Wie nahe liegt beim Rande des Ganymedes der Gedanke
an das Emporsteigen in den Himmel! Und doch läßt man diesen Gedanken
sofort schwinden, wenn man sehen muß, daß auf demselben Sarkophag als
Gegenstück zu dieser Gruppe die geradezu unanständig behandelte Vereinigung
der Leda mit dem Schwan ausgewählt ist. Auch unter den bakchischen Sarko¬
phagen sind einige unanständige. Man weiß nicht, ob man sich über die
Gedankenlosigkeit des Käufers wundern soll, der seine Gruft durch solche Särge
schändete, oder über die des Steinmetzen, der sich nicht scheute, derartige Dar¬
stellungen an Särgen anzubringen. Gedankenlos arbeiteten diese Handwerker
in vielen Fällen. Es waren überhaupt nicht ihre eignen Gedanken, die sie in
den Sarkvphagreliefs verbildlichten. Sie besaßen offenbar Vorlagen, denen sie
in freier Weise folgten, bald einfach entlehnend, bald hinzufügend, wenn der
Platz es verlangte, bald abschneidend und auslassend, wem: der Raum
mangelte. Daher bieten die Sarkophage so oft Füllfiguren und unvoll¬
ständige Darstellungen; selbst Mißverständnisse sind nicht selten, und wenn
man trotzdem auch bei schwächlichen Arbeiten häufig die sinnvolle Auswahl
und die wohlüberlegte Gliederung des Stoffes bewundern muß, so liegt das
eben an den Vorlagen, die, von bedeutenderen Künstlern ersonnen, in den
Werkstätten benutzt wurden. Welcher Art diese Vorlagen waren und von wo
sie ausgingen, laßt sich vorläufig noch nicht entscheiden. Man müßte vorher
die ganze große Masse der Sarkophage überblicken können lind verfolgen, wie
oft eine ähnlich behandelte Darstellung wiederkehrt, worin die einzelnen Sar¬
kophage übereinstimmen oder von einander abweichen, und welche Gruppen
schließlich als die ursprünglichen der Vorlage hinzustellen sind. Für einige
der beliebtesten Darstellungen liegen bereits derartige Zusammenstellungen vor.


Die antiken Sarkophage

haft die Werke der Erwachsenen nachahmen, eine Hindeutung auf die Unsterb¬
lichkeit enthalten sollen; dieselben Darstellungen sehen wir schon auf griechischen
Sarkophagen und in pompejanischen Wandbildern, wo jede Anspielung auf deu
Unsterblichkeitsglauben ausgeschlossen ist. Schlverlich ist auch die Nuuahme
berechtigt, daß die Hunderte von bakchischen Sarkophagen mit den jubelnden
Zügen des Dionysos und der Ariadne, der Satyrn, Kentauren und Mänaden
als Andeutungen eines seligen Lebens aufzufassen seien. Und Sagen, wie
die oft wiederholten von Phüdra und Hippolytos oder Jason und Medea,
ferner die zahlreiche» Amazonenkämpfe, die häufigen Darstellungen der Musen
und Nereiden sind offenbar ohne jeden Bezug auf das Meuschcnlvs. Wie
in Rom die Sarkophage selbst zu bloßen Prachtstücken der Grabkammern wurden,
so wurden die Reliefs zu einem bloßen Schmuck der Sarkophage, und bei der
Auswahl der Darstellungen wirkte selten genug der Gedanke an ihre Bestimmung
mit. Was dnrch die dichtende Kunst in allen Kreisen bekannt geworden und
an andern Denkmälern zu sehen war, das wurde auch an deu Sarkophagen
gebildet. Man muß die Gefahr vermeiden, hinter diesen Haudwerkerarbeiten
zu viel zu suchen. Wie nahe liegt beim Rande des Ganymedes der Gedanke
an das Emporsteigen in den Himmel! Und doch läßt man diesen Gedanken
sofort schwinden, wenn man sehen muß, daß auf demselben Sarkophag als
Gegenstück zu dieser Gruppe die geradezu unanständig behandelte Vereinigung
der Leda mit dem Schwan ausgewählt ist. Auch unter den bakchischen Sarko¬
phagen sind einige unanständige. Man weiß nicht, ob man sich über die
Gedankenlosigkeit des Käufers wundern soll, der seine Gruft durch solche Särge
schändete, oder über die des Steinmetzen, der sich nicht scheute, derartige Dar¬
stellungen an Särgen anzubringen. Gedankenlos arbeiteten diese Handwerker
in vielen Fällen. Es waren überhaupt nicht ihre eignen Gedanken, die sie in
den Sarkvphagreliefs verbildlichten. Sie besaßen offenbar Vorlagen, denen sie
in freier Weise folgten, bald einfach entlehnend, bald hinzufügend, wenn der
Platz es verlangte, bald abschneidend und auslassend, wem: der Raum
mangelte. Daher bieten die Sarkophage so oft Füllfiguren und unvoll¬
ständige Darstellungen; selbst Mißverständnisse sind nicht selten, und wenn
man trotzdem auch bei schwächlichen Arbeiten häufig die sinnvolle Auswahl
und die wohlüberlegte Gliederung des Stoffes bewundern muß, so liegt das
eben an den Vorlagen, die, von bedeutenderen Künstlern ersonnen, in den
Werkstätten benutzt wurden. Welcher Art diese Vorlagen waren und von wo
sie ausgingen, laßt sich vorläufig noch nicht entscheiden. Man müßte vorher
die ganze große Masse der Sarkophage überblicken können lind verfolgen, wie
oft eine ähnlich behandelte Darstellung wiederkehrt, worin die einzelnen Sar¬
kophage übereinstimmen oder von einander abweichen, und welche Gruppen
schließlich als die ursprünglichen der Vorlage hinzustellen sind. Für einige
der beliebtesten Darstellungen liegen bereits derartige Zusammenstellungen vor.


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[0571] Die antiken Sarkophage haft die Werke der Erwachsenen nachahmen, eine Hindeutung auf die Unsterb¬ lichkeit enthalten sollen; dieselben Darstellungen sehen wir schon auf griechischen Sarkophagen und in pompejanischen Wandbildern, wo jede Anspielung auf deu Unsterblichkeitsglauben ausgeschlossen ist. Schlverlich ist auch die Nuuahme berechtigt, daß die Hunderte von bakchischen Sarkophagen mit den jubelnden Zügen des Dionysos und der Ariadne, der Satyrn, Kentauren und Mänaden als Andeutungen eines seligen Lebens aufzufassen seien. Und Sagen, wie die oft wiederholten von Phüdra und Hippolytos oder Jason und Medea, ferner die zahlreiche» Amazonenkämpfe, die häufigen Darstellungen der Musen und Nereiden sind offenbar ohne jeden Bezug auf das Meuschcnlvs. Wie in Rom die Sarkophage selbst zu bloßen Prachtstücken der Grabkammern wurden, so wurden die Reliefs zu einem bloßen Schmuck der Sarkophage, und bei der Auswahl der Darstellungen wirkte selten genug der Gedanke an ihre Bestimmung mit. Was dnrch die dichtende Kunst in allen Kreisen bekannt geworden und an andern Denkmälern zu sehen war, das wurde auch an deu Sarkophagen gebildet. Man muß die Gefahr vermeiden, hinter diesen Haudwerkerarbeiten zu viel zu suchen. Wie nahe liegt beim Rande des Ganymedes der Gedanke an das Emporsteigen in den Himmel! Und doch läßt man diesen Gedanken sofort schwinden, wenn man sehen muß, daß auf demselben Sarkophag als Gegenstück zu dieser Gruppe die geradezu unanständig behandelte Vereinigung der Leda mit dem Schwan ausgewählt ist. Auch unter den bakchischen Sarko¬ phagen sind einige unanständige. Man weiß nicht, ob man sich über die Gedankenlosigkeit des Käufers wundern soll, der seine Gruft durch solche Särge schändete, oder über die des Steinmetzen, der sich nicht scheute, derartige Dar¬ stellungen an Särgen anzubringen. Gedankenlos arbeiteten diese Handwerker in vielen Fällen. Es waren überhaupt nicht ihre eignen Gedanken, die sie in den Sarkvphagreliefs verbildlichten. Sie besaßen offenbar Vorlagen, denen sie in freier Weise folgten, bald einfach entlehnend, bald hinzufügend, wenn der Platz es verlangte, bald abschneidend und auslassend, wem: der Raum mangelte. Daher bieten die Sarkophage so oft Füllfiguren und unvoll¬ ständige Darstellungen; selbst Mißverständnisse sind nicht selten, und wenn man trotzdem auch bei schwächlichen Arbeiten häufig die sinnvolle Auswahl und die wohlüberlegte Gliederung des Stoffes bewundern muß, so liegt das eben an den Vorlagen, die, von bedeutenderen Künstlern ersonnen, in den Werkstätten benutzt wurden. Welcher Art diese Vorlagen waren und von wo sie ausgingen, laßt sich vorläufig noch nicht entscheiden. Man müßte vorher die ganze große Masse der Sarkophage überblicken können lind verfolgen, wie oft eine ähnlich behandelte Darstellung wiederkehrt, worin die einzelnen Sar¬ kophage übereinstimmen oder von einander abweichen, und welche Gruppen schließlich als die ursprünglichen der Vorlage hinzustellen sind. Für einige der beliebtesten Darstellungen liegen bereits derartige Zusammenstellungen vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/571>, abgerufen am 22.07.2024.