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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Wenn nun etwas in der Welt klar und unbestreitbar ist, so ist es die
Wahrheit, daß das so verstandene Kapital nicht durch Sparen entsteht und
niemals durch Sparen entstehen kann. Stellen wir uns die Produktion in
ihren rohesten Anfängen vor. Ein Wilder, der von Baumfrüchten lebt, bricht
sich einen Stab und giebt ihm eine solche Form, daß er sich sowohl zum
Herunterschlagen von Früchten wie zum Herbeiziehen entfernter Aste eignet.
Das ist sein erstes Werkzeug, sein erstes Kapital. Ist das durch Sparen ent¬
standen? Offenbar nicht. Wie viel oder wie wenig er von den Früchten, die
sein einziges Einkommen bilden, verzehrt, das hat mit der Zurichtung des
Steckens gar nichts zu schaffen. Ganz so verhält es sich, wenn der Mensch
später nicht mehr von Baumfrüchten, sondern vom Ertrage des Ackers lebt.
Was ihn reicher macht, das ist nicht ein ersparter Kornvorrat, sondern die
Verbesserung und Vermehrung seines Ackergeräts und seines kultivirten Bodens,
seine Arbeit. Nur mit Beziehung auf die Zeit kann hierbei das Wort sparen
angewendet werden. So lange der Grundbesitzer seine ganze Zeit auf die
Erzeugung seiner Lebensmittel verwendet, kann er sein Kapital nicht vergrößern.
Erst wenn er täglich einige Stunden erübrigt, um Werkzeuge herzustellen und
sein Produktionsgebiet zu erweitern, ist das möglich. Nur im Anfange des
Ackerbaues kann das Sparen unter Umständen zur Kapitalbilduug erforderlich
sein; wenn nämlich die erste Ernte so gering ausfällt, daß der Bauer hungern
muß, um das Saatgetreide zu erübrigen. Nodbertus will indes die Be¬
zeichnung Sparen für solches freiwilliges Entbehren nicht gelten lassen, und
jedenfalls hat diese Art des Sparens auf den spätern Stufen der Produktion
keine Bedeutung mehr.

Was in aller Welt sollte denn heilte gespart werden? Roggen, Vieh,
Wein? Was würde das denn nützen? Das nicht verbrauchte Getreide würde
verderben; verwendete man es aber zur Vergrößerung der Aussaat, so würde
die Erzeugung über den Bedarf nur die Wirkung haben, daß nächstes Jahr
ein Teil der Ernte um so sicherer verfaulte, wenn man nicht etwa den Überfluß
aus Mangel an Lagerraum ins Wasser zu werfen genötigt wäre. Oder sollen
Werkzeuge gespart werden? Das wäre erst recht Unsinn. Ein Tischler, der
seine Hobel im Glasschrank verwahrte, ein Fabrikant, der mehr Maschinen
aufstellte, als er braucht, eine Kreisverwaltnng, die Chausseen baute und Tafeln
mit der Inschrift davor stellte: "Darf nicht befahren werden," das wären noch
närrischere Käuze als der Geizhals, der seine Zwauzigmarkstücle in einen
Strumpf versteckt. Vorräte sind da, um verbraucht, Werkzeuge, um ange¬
wendet zu werden; gespart werden nur einzelne merkwürdige Stücke sür
Sammlungen.

Ein Verschwender schädigt zwar sich selbst, nicht aber das Nationalvermögen.
Die Handschuhe, die er zerreißt, die Zigarren, die er raucht, der Wein, den er
trinkt, alle diese. Dinge sind zum Verbrauchen bestimmt; indem er einen nn-


Grmzvoten II 1"90 ^
Die soziale Frage

Wenn nun etwas in der Welt klar und unbestreitbar ist, so ist es die
Wahrheit, daß das so verstandene Kapital nicht durch Sparen entsteht und
niemals durch Sparen entstehen kann. Stellen wir uns die Produktion in
ihren rohesten Anfängen vor. Ein Wilder, der von Baumfrüchten lebt, bricht
sich einen Stab und giebt ihm eine solche Form, daß er sich sowohl zum
Herunterschlagen von Früchten wie zum Herbeiziehen entfernter Aste eignet.
Das ist sein erstes Werkzeug, sein erstes Kapital. Ist das durch Sparen ent¬
standen? Offenbar nicht. Wie viel oder wie wenig er von den Früchten, die
sein einziges Einkommen bilden, verzehrt, das hat mit der Zurichtung des
Steckens gar nichts zu schaffen. Ganz so verhält es sich, wenn der Mensch
später nicht mehr von Baumfrüchten, sondern vom Ertrage des Ackers lebt.
Was ihn reicher macht, das ist nicht ein ersparter Kornvorrat, sondern die
Verbesserung und Vermehrung seines Ackergeräts und seines kultivirten Bodens,
seine Arbeit. Nur mit Beziehung auf die Zeit kann hierbei das Wort sparen
angewendet werden. So lange der Grundbesitzer seine ganze Zeit auf die
Erzeugung seiner Lebensmittel verwendet, kann er sein Kapital nicht vergrößern.
Erst wenn er täglich einige Stunden erübrigt, um Werkzeuge herzustellen und
sein Produktionsgebiet zu erweitern, ist das möglich. Nur im Anfange des
Ackerbaues kann das Sparen unter Umständen zur Kapitalbilduug erforderlich
sein; wenn nämlich die erste Ernte so gering ausfällt, daß der Bauer hungern
muß, um das Saatgetreide zu erübrigen. Nodbertus will indes die Be¬
zeichnung Sparen für solches freiwilliges Entbehren nicht gelten lassen, und
jedenfalls hat diese Art des Sparens auf den spätern Stufen der Produktion
keine Bedeutung mehr.

Was in aller Welt sollte denn heilte gespart werden? Roggen, Vieh,
Wein? Was würde das denn nützen? Das nicht verbrauchte Getreide würde
verderben; verwendete man es aber zur Vergrößerung der Aussaat, so würde
die Erzeugung über den Bedarf nur die Wirkung haben, daß nächstes Jahr
ein Teil der Ernte um so sicherer verfaulte, wenn man nicht etwa den Überfluß
aus Mangel an Lagerraum ins Wasser zu werfen genötigt wäre. Oder sollen
Werkzeuge gespart werden? Das wäre erst recht Unsinn. Ein Tischler, der
seine Hobel im Glasschrank verwahrte, ein Fabrikant, der mehr Maschinen
aufstellte, als er braucht, eine Kreisverwaltnng, die Chausseen baute und Tafeln
mit der Inschrift davor stellte: „Darf nicht befahren werden," das wären noch
närrischere Käuze als der Geizhals, der seine Zwauzigmarkstücle in einen
Strumpf versteckt. Vorräte sind da, um verbraucht, Werkzeuge, um ange¬
wendet zu werden; gespart werden nur einzelne merkwürdige Stücke sür
Sammlungen.

Ein Verschwender schädigt zwar sich selbst, nicht aber das Nationalvermögen.
Die Handschuhe, die er zerreißt, die Zigarren, die er raucht, der Wein, den er
trinkt, alle diese. Dinge sind zum Verbrauchen bestimmt; indem er einen nn-


Grmzvoten II 1»90 ^
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[0561] Die soziale Frage Wenn nun etwas in der Welt klar und unbestreitbar ist, so ist es die Wahrheit, daß das so verstandene Kapital nicht durch Sparen entsteht und niemals durch Sparen entstehen kann. Stellen wir uns die Produktion in ihren rohesten Anfängen vor. Ein Wilder, der von Baumfrüchten lebt, bricht sich einen Stab und giebt ihm eine solche Form, daß er sich sowohl zum Herunterschlagen von Früchten wie zum Herbeiziehen entfernter Aste eignet. Das ist sein erstes Werkzeug, sein erstes Kapital. Ist das durch Sparen ent¬ standen? Offenbar nicht. Wie viel oder wie wenig er von den Früchten, die sein einziges Einkommen bilden, verzehrt, das hat mit der Zurichtung des Steckens gar nichts zu schaffen. Ganz so verhält es sich, wenn der Mensch später nicht mehr von Baumfrüchten, sondern vom Ertrage des Ackers lebt. Was ihn reicher macht, das ist nicht ein ersparter Kornvorrat, sondern die Verbesserung und Vermehrung seines Ackergeräts und seines kultivirten Bodens, seine Arbeit. Nur mit Beziehung auf die Zeit kann hierbei das Wort sparen angewendet werden. So lange der Grundbesitzer seine ganze Zeit auf die Erzeugung seiner Lebensmittel verwendet, kann er sein Kapital nicht vergrößern. Erst wenn er täglich einige Stunden erübrigt, um Werkzeuge herzustellen und sein Produktionsgebiet zu erweitern, ist das möglich. Nur im Anfange des Ackerbaues kann das Sparen unter Umständen zur Kapitalbilduug erforderlich sein; wenn nämlich die erste Ernte so gering ausfällt, daß der Bauer hungern muß, um das Saatgetreide zu erübrigen. Nodbertus will indes die Be¬ zeichnung Sparen für solches freiwilliges Entbehren nicht gelten lassen, und jedenfalls hat diese Art des Sparens auf den spätern Stufen der Produktion keine Bedeutung mehr. Was in aller Welt sollte denn heilte gespart werden? Roggen, Vieh, Wein? Was würde das denn nützen? Das nicht verbrauchte Getreide würde verderben; verwendete man es aber zur Vergrößerung der Aussaat, so würde die Erzeugung über den Bedarf nur die Wirkung haben, daß nächstes Jahr ein Teil der Ernte um so sicherer verfaulte, wenn man nicht etwa den Überfluß aus Mangel an Lagerraum ins Wasser zu werfen genötigt wäre. Oder sollen Werkzeuge gespart werden? Das wäre erst recht Unsinn. Ein Tischler, der seine Hobel im Glasschrank verwahrte, ein Fabrikant, der mehr Maschinen aufstellte, als er braucht, eine Kreisverwaltnng, die Chausseen baute und Tafeln mit der Inschrift davor stellte: „Darf nicht befahren werden," das wären noch närrischere Käuze als der Geizhals, der seine Zwauzigmarkstücle in einen Strumpf versteckt. Vorräte sind da, um verbraucht, Werkzeuge, um ange¬ wendet zu werden; gespart werden nur einzelne merkwürdige Stücke sür Sammlungen. Ein Verschwender schädigt zwar sich selbst, nicht aber das Nationalvermögen. Die Handschuhe, die er zerreißt, die Zigarren, die er raucht, der Wein, den er trinkt, alle diese. Dinge sind zum Verbrauchen bestimmt; indem er einen nn- Grmzvoten II 1»90 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/561>, abgerufen am 01.07.2024.