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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

aus dem Erwerbsleben, aus den Staatsverwaltungen kaum mehr auszu¬
treiben ist.

Das Vermögen eines Volkes, das man gewöhnlich sein Kapital nennt,
besteht ans kultivirten Boden, Nutzhölzern, Fruchtbäumen, Weinstöcken und
andern perennirende" Nutzpflanzen, Gebäuden, Viehherden, Düngerbeständen,
erschlossenen Erzaderu und Kohlenlagern (nicht erschlossene können wohl einmal
Vermögeusbestaudteile werden, sind es aber vorläufig so wenig wie Ödland
und Sümpfe), Fabriken. Eisenbahnen, Straßen, Verkehrsanstalten aller Art,
Maschinen und Werkzeugen, Wohlfahrtseinrichtungen, Kunstwerken, Büchern,
Erziehungsanstalten, Sicherheitseiurichtungen, Gemeinde-, Staats- und Kirchen-
anstalten, und natürlich gehört auch deren Gesamtheit, gehören Gemeinde,
Staat und Kirche selbst dazu. Nahrungsmittel und Kleider können nur dort
zum Kapital gerechnet werden, wo sie zum Verkauf oder Wirtschaftsbetriebe
aufgespeichert liegen: z. B, das Saatgetreide, das Korn auf dem Markte und
in der Mühle, die Baumwolle in der Fabrik. Dagegen bilden Vorräte, die
schon in den Verbrauch übergegangen sind, wie das Kleid am Leibe und das
Mehl im Kasten der Hausfrau, uicht einen Bestandteil des Kapitals, sondern
des Einkommens. Gold-, Silber-, Nickel- und Kupfermünzen bilden einen Teil
des Nationalkapitals, weil sie Metallwert haben; daß ihre Gesamtheit selbst
bei den geldreichsten Völkern nur einen winzigen Teil des Volksvermögens
ausmacht und bei der Abschätzung des Wohlstandes kaum in Betracht kommt,
ist seit 1870, wo viel über die Millinrdenzahlung berichtet wurde, allgemein
bekannt. Papiergeld, Banknoten, Staatsschnldscheine, Aktien, Hypotheken sind
an sich nicht mehr wert als das dazu verwendete Papier, d. h. im Vergleich
zum Vermögen eines Volkes so viel wie nichts. Ihr Wert ist nicht fürs
Volk, sondern nur sür den Inhaber vorhanden, dein sie den Anspruch auf eine
gewisse Gütermasse gewähren. Verbrennt mir ein Hundertmarkschein, so habe
ich zwar die Möglichkeit verloren, mir jenen Güteranteil zu verschaffen, der
durch diesen Schein Hütte erworben werden können, aber der Güteranteil selbst
ist noch da; das Volk hat nichts als einige Quadratzoll Papier verloren.
Nur bei ausländischen Papieren verhält sich die Sache anders. Werden solche
vernichtet, so verliert unser Volk so viel, als der Inhaber mit jenen Papieren
vom Vermögen eines andern Volkes in seine und mittelbar in seines Volkes
Gewalt hätte bringen können. Alle die genannten Gegenstände nun, vom
durchgepflügten Acker bis zum Baumwolleuvorrat und dem Hnndwerkszeuge,
haben lediglich dadurch Wert, daß einerseits auf ihre Herstellung menschliche
Arbeit verwendet worden ist, und daß sie anderseits dem Menschen seine fernere
Arbeit erleichtern, durch die er sich Gebrauchsgcgenstünde und Genußmittel
(Einkommen) verschaffen will. Sie sind also sämtlich Werkzeuge, wenn sie auch
gar nicht wie gewöhnlich so genannte Werkzeuge aussehen. Deshalb definirt
Nvdbertus das Kapital mit Recht als den Vorrat an Werkzeugen.


Die soziale Frage

aus dem Erwerbsleben, aus den Staatsverwaltungen kaum mehr auszu¬
treiben ist.

Das Vermögen eines Volkes, das man gewöhnlich sein Kapital nennt,
besteht ans kultivirten Boden, Nutzhölzern, Fruchtbäumen, Weinstöcken und
andern perennirende» Nutzpflanzen, Gebäuden, Viehherden, Düngerbeständen,
erschlossenen Erzaderu und Kohlenlagern (nicht erschlossene können wohl einmal
Vermögeusbestaudteile werden, sind es aber vorläufig so wenig wie Ödland
und Sümpfe), Fabriken. Eisenbahnen, Straßen, Verkehrsanstalten aller Art,
Maschinen und Werkzeugen, Wohlfahrtseinrichtungen, Kunstwerken, Büchern,
Erziehungsanstalten, Sicherheitseiurichtungen, Gemeinde-, Staats- und Kirchen-
anstalten, und natürlich gehört auch deren Gesamtheit, gehören Gemeinde,
Staat und Kirche selbst dazu. Nahrungsmittel und Kleider können nur dort
zum Kapital gerechnet werden, wo sie zum Verkauf oder Wirtschaftsbetriebe
aufgespeichert liegen: z. B, das Saatgetreide, das Korn auf dem Markte und
in der Mühle, die Baumwolle in der Fabrik. Dagegen bilden Vorräte, die
schon in den Verbrauch übergegangen sind, wie das Kleid am Leibe und das
Mehl im Kasten der Hausfrau, uicht einen Bestandteil des Kapitals, sondern
des Einkommens. Gold-, Silber-, Nickel- und Kupfermünzen bilden einen Teil
des Nationalkapitals, weil sie Metallwert haben; daß ihre Gesamtheit selbst
bei den geldreichsten Völkern nur einen winzigen Teil des Volksvermögens
ausmacht und bei der Abschätzung des Wohlstandes kaum in Betracht kommt,
ist seit 1870, wo viel über die Millinrdenzahlung berichtet wurde, allgemein
bekannt. Papiergeld, Banknoten, Staatsschnldscheine, Aktien, Hypotheken sind
an sich nicht mehr wert als das dazu verwendete Papier, d. h. im Vergleich
zum Vermögen eines Volkes so viel wie nichts. Ihr Wert ist nicht fürs
Volk, sondern nur sür den Inhaber vorhanden, dein sie den Anspruch auf eine
gewisse Gütermasse gewähren. Verbrennt mir ein Hundertmarkschein, so habe
ich zwar die Möglichkeit verloren, mir jenen Güteranteil zu verschaffen, der
durch diesen Schein Hütte erworben werden können, aber der Güteranteil selbst
ist noch da; das Volk hat nichts als einige Quadratzoll Papier verloren.
Nur bei ausländischen Papieren verhält sich die Sache anders. Werden solche
vernichtet, so verliert unser Volk so viel, als der Inhaber mit jenen Papieren
vom Vermögen eines andern Volkes in seine und mittelbar in seines Volkes
Gewalt hätte bringen können. Alle die genannten Gegenstände nun, vom
durchgepflügten Acker bis zum Baumwolleuvorrat und dem Hnndwerkszeuge,
haben lediglich dadurch Wert, daß einerseits auf ihre Herstellung menschliche
Arbeit verwendet worden ist, und daß sie anderseits dem Menschen seine fernere
Arbeit erleichtern, durch die er sich Gebrauchsgcgenstünde und Genußmittel
(Einkommen) verschaffen will. Sie sind also sämtlich Werkzeuge, wenn sie auch
gar nicht wie gewöhnlich so genannte Werkzeuge aussehen. Deshalb definirt
Nvdbertus das Kapital mit Recht als den Vorrat an Werkzeugen.


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[0560] Die soziale Frage aus dem Erwerbsleben, aus den Staatsverwaltungen kaum mehr auszu¬ treiben ist. Das Vermögen eines Volkes, das man gewöhnlich sein Kapital nennt, besteht ans kultivirten Boden, Nutzhölzern, Fruchtbäumen, Weinstöcken und andern perennirende» Nutzpflanzen, Gebäuden, Viehherden, Düngerbeständen, erschlossenen Erzaderu und Kohlenlagern (nicht erschlossene können wohl einmal Vermögeusbestaudteile werden, sind es aber vorläufig so wenig wie Ödland und Sümpfe), Fabriken. Eisenbahnen, Straßen, Verkehrsanstalten aller Art, Maschinen und Werkzeugen, Wohlfahrtseinrichtungen, Kunstwerken, Büchern, Erziehungsanstalten, Sicherheitseiurichtungen, Gemeinde-, Staats- und Kirchen- anstalten, und natürlich gehört auch deren Gesamtheit, gehören Gemeinde, Staat und Kirche selbst dazu. Nahrungsmittel und Kleider können nur dort zum Kapital gerechnet werden, wo sie zum Verkauf oder Wirtschaftsbetriebe aufgespeichert liegen: z. B, das Saatgetreide, das Korn auf dem Markte und in der Mühle, die Baumwolle in der Fabrik. Dagegen bilden Vorräte, die schon in den Verbrauch übergegangen sind, wie das Kleid am Leibe und das Mehl im Kasten der Hausfrau, uicht einen Bestandteil des Kapitals, sondern des Einkommens. Gold-, Silber-, Nickel- und Kupfermünzen bilden einen Teil des Nationalkapitals, weil sie Metallwert haben; daß ihre Gesamtheit selbst bei den geldreichsten Völkern nur einen winzigen Teil des Volksvermögens ausmacht und bei der Abschätzung des Wohlstandes kaum in Betracht kommt, ist seit 1870, wo viel über die Millinrdenzahlung berichtet wurde, allgemein bekannt. Papiergeld, Banknoten, Staatsschnldscheine, Aktien, Hypotheken sind an sich nicht mehr wert als das dazu verwendete Papier, d. h. im Vergleich zum Vermögen eines Volkes so viel wie nichts. Ihr Wert ist nicht fürs Volk, sondern nur sür den Inhaber vorhanden, dein sie den Anspruch auf eine gewisse Gütermasse gewähren. Verbrennt mir ein Hundertmarkschein, so habe ich zwar die Möglichkeit verloren, mir jenen Güteranteil zu verschaffen, der durch diesen Schein Hütte erworben werden können, aber der Güteranteil selbst ist noch da; das Volk hat nichts als einige Quadratzoll Papier verloren. Nur bei ausländischen Papieren verhält sich die Sache anders. Werden solche vernichtet, so verliert unser Volk so viel, als der Inhaber mit jenen Papieren vom Vermögen eines andern Volkes in seine und mittelbar in seines Volkes Gewalt hätte bringen können. Alle die genannten Gegenstände nun, vom durchgepflügten Acker bis zum Baumwolleuvorrat und dem Hnndwerkszeuge, haben lediglich dadurch Wert, daß einerseits auf ihre Herstellung menschliche Arbeit verwendet worden ist, und daß sie anderseits dem Menschen seine fernere Arbeit erleichtern, durch die er sich Gebrauchsgcgenstünde und Genußmittel (Einkommen) verschaffen will. Sie sind also sämtlich Werkzeuge, wenn sie auch gar nicht wie gewöhnlich so genannte Werkzeuge aussehen. Deshalb definirt Nvdbertus das Kapital mit Recht als den Vorrat an Werkzeugen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/560>, abgerufen am 03.07.2024.