Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Die soziale Frage leben als auf schlechtem. Außerdem bietet er die Möglichkeit vielfacherer Ver¬ Grenzboten II 1390 69
Die soziale Frage leben als auf schlechtem. Außerdem bietet er die Möglichkeit vielfacherer Ver¬ Grenzboten II 1390 69
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207848"/> <fw type="header" place="top"> Die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1529" prev="#ID_1528" next="#ID_1530"> leben als auf schlechtem. Außerdem bietet er die Möglichkeit vielfacherer Ver¬<lb/> wertung durch Züchtung feiner Handelsgewächse dar, sodaß selbst ohne die<lb/> hinzukommende Industrie viele Menschen dort ihr Fortkommen finden, die ihr<lb/> Getreide nicht selbst bauen, sondern es von außen beziehen. Der Weinbauer<lb/> würde aus Ackerbau und Viehzucht ganz verzichten, wenn er nicht Dünger<lb/> brauchte. Je dichter nun die Bevölkerung des Landes wird, desto stärker<lb/> machen sich die Vorteile des guten und die Nachteile des schlechten Bodens<lb/> bemerklich. Auf dem schlechten wird der Druck der Not infolge der Verkleinerung<lb/> der Portionen zuerst empfunden. Hier zuerst tritt die Verschuldung der Guts¬<lb/> besitzer ein. Sie können nicht so hohe Löhne zahlen, wie ihre Konkurrenten<lb/> in den bessern Gegenden, das entzieht ihnen die Arbeiter. In Sachsen legt<lb/> der Schnitter mit jedem Sensenschnitt vielleicht viermal soviel an Stroh und<lb/> Körnern in die Schwaden, wie auf oberschlesischen oder märkischen Sandboden.<lb/> Zahlt ihm der sächsische Gutsbesitzer doppelt soviel Lohn wie der vberschlesische<lb/> oder märkische, so hat er deu Manu immer noch doppelt so billig wie jene<lb/> beiden. Und wie es in solchen Lagen zu gehen pflegt, ein Unglück gebiert das<lb/> andre. Weil der Gutsbesitzer im Osten schlechten Lohn zahlt, verliert er seine<lb/> Leute, und um sie zu fesseln, muß, er höhere Löhne zahlen, als seine Verhält¬<lb/> nisse gestatten. Seinen Boden so gut zu machen wie den mittel- und west¬<lb/> deutschen, ist nicht möglich, und ihn nur in dem bisherigen Stande zu erhalten,<lb/> sehr kostspielig. Denn dieser Boden bekommt ja das nicht wieder, was er<lb/> getragen hat; es muß dnrch künstlichen Dünger ersetzt werden. In den Städten<lb/> häuft sich der Dünger an, sie wissen nicht, wohin damit. Der natürliche<lb/> Kreislauf, dnrch den der Boden imstande erhalten wird, ist gestört. Wenn es<lb/> nicht gelingt, die Düngstoffe regelmäßig wieder ihrem Ursprungsorte zuzuführen,<lb/> sagt ein älterer Vvlkswirtschnftslehrer, so muß sich dereinst die Pest aus unsern<lb/> Flüssen und der Hunger aus unsern Furchen erheben. Nebenbei gesagt, nichts<lb/> thörichter als die Gegnerschaft der liberalen Großstädter und der konservativen<lb/> Großgrundbesitzer; jene müßten ohne diese verhungern, da die Kleinbauern gar<lb/> kein Getreide verlausen und die größern höchstens die Kleinstädte versorgen,<lb/> die Großgrundbesitzer aber müßten ohne jene ihren Roggen und Weizen ver¬<lb/> faulen lassen. Großstädte und Latifundien bedingen sich gegenseitig; je mehr<lb/> die einen wachsen, desto nötiger werden die andern. Endlich kommt hinzu, daß<lb/> die geographische Lage und Gestalt des Landes im Westen die Industrie und<lb/> damit den Mcnschenzusammensluß begünstigt, im Osten beides hemmt. Das<lb/> bstlich gelegene Berlin freilich hat den toten Punkt überwunden, seitdem es,<lb/> durch politische Verhältnisse begünstigt, Millionenstadt geworden ist, und wächst<lb/> nun rapid weiter. Je größer das Gedränge, desto zahlreicher und mannich-<lb/> faltiger die Gelegenheiten zum Erwerb, freilich auch desto größer die Gefahr,<lb/> erdrückt zu werden oder über Bord zu fallen. Wo vier Millionen Menschen<lb/> sitzen, sagt sich der Engländer, wenn er aus der Provinz nach London zieht,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1390 69</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0553]
Die soziale Frage
leben als auf schlechtem. Außerdem bietet er die Möglichkeit vielfacherer Ver¬
wertung durch Züchtung feiner Handelsgewächse dar, sodaß selbst ohne die
hinzukommende Industrie viele Menschen dort ihr Fortkommen finden, die ihr
Getreide nicht selbst bauen, sondern es von außen beziehen. Der Weinbauer
würde aus Ackerbau und Viehzucht ganz verzichten, wenn er nicht Dünger
brauchte. Je dichter nun die Bevölkerung des Landes wird, desto stärker
machen sich die Vorteile des guten und die Nachteile des schlechten Bodens
bemerklich. Auf dem schlechten wird der Druck der Not infolge der Verkleinerung
der Portionen zuerst empfunden. Hier zuerst tritt die Verschuldung der Guts¬
besitzer ein. Sie können nicht so hohe Löhne zahlen, wie ihre Konkurrenten
in den bessern Gegenden, das entzieht ihnen die Arbeiter. In Sachsen legt
der Schnitter mit jedem Sensenschnitt vielleicht viermal soviel an Stroh und
Körnern in die Schwaden, wie auf oberschlesischen oder märkischen Sandboden.
Zahlt ihm der sächsische Gutsbesitzer doppelt soviel Lohn wie der vberschlesische
oder märkische, so hat er deu Manu immer noch doppelt so billig wie jene
beiden. Und wie es in solchen Lagen zu gehen pflegt, ein Unglück gebiert das
andre. Weil der Gutsbesitzer im Osten schlechten Lohn zahlt, verliert er seine
Leute, und um sie zu fesseln, muß, er höhere Löhne zahlen, als seine Verhält¬
nisse gestatten. Seinen Boden so gut zu machen wie den mittel- und west¬
deutschen, ist nicht möglich, und ihn nur in dem bisherigen Stande zu erhalten,
sehr kostspielig. Denn dieser Boden bekommt ja das nicht wieder, was er
getragen hat; es muß dnrch künstlichen Dünger ersetzt werden. In den Städten
häuft sich der Dünger an, sie wissen nicht, wohin damit. Der natürliche
Kreislauf, dnrch den der Boden imstande erhalten wird, ist gestört. Wenn es
nicht gelingt, die Düngstoffe regelmäßig wieder ihrem Ursprungsorte zuzuführen,
sagt ein älterer Vvlkswirtschnftslehrer, so muß sich dereinst die Pest aus unsern
Flüssen und der Hunger aus unsern Furchen erheben. Nebenbei gesagt, nichts
thörichter als die Gegnerschaft der liberalen Großstädter und der konservativen
Großgrundbesitzer; jene müßten ohne diese verhungern, da die Kleinbauern gar
kein Getreide verlausen und die größern höchstens die Kleinstädte versorgen,
die Großgrundbesitzer aber müßten ohne jene ihren Roggen und Weizen ver¬
faulen lassen. Großstädte und Latifundien bedingen sich gegenseitig; je mehr
die einen wachsen, desto nötiger werden die andern. Endlich kommt hinzu, daß
die geographische Lage und Gestalt des Landes im Westen die Industrie und
damit den Mcnschenzusammensluß begünstigt, im Osten beides hemmt. Das
bstlich gelegene Berlin freilich hat den toten Punkt überwunden, seitdem es,
durch politische Verhältnisse begünstigt, Millionenstadt geworden ist, und wächst
nun rapid weiter. Je größer das Gedränge, desto zahlreicher und mannich-
faltiger die Gelegenheiten zum Erwerb, freilich auch desto größer die Gefahr,
erdrückt zu werden oder über Bord zu fallen. Wo vier Millionen Menschen
sitzen, sagt sich der Engländer, wenn er aus der Provinz nach London zieht,
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