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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die deutsche Sprache in (Österreich

er anderseits den nationalen Anforderungen so weit Rechnung, als nicht Lebens¬
interessen dadurch geschädigt werde". Und nun noch einige Bemerkungen zur
Begründung des Gesagten.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die in Österreich ebenso unentbehrliche
wie an Schwierigkeiten aller Art nnr allzu reiche deutsche Sprache uur dann
gründlich erlernt werden kann, wenn die Schule für den nichtdeutschen, soweit
dies überhaupt möglich ist, die Stelle der Familie vertritt. Indem das nicht¬
deutsche Kind während der ersten vier Jahre den Unterricht in seiner Mutter¬
sprache erhält und auch später, bis zum Austritt ans der Schule, sich täglich
eine Stunde damit beschäftigen muß, wird es durch die deutsche Unterrichts¬
sprache der höhern Klassen nicht nur nicht entnationalisirt, sondern es wird
in beiden Sprachen gleich sest, und wenn anderseits das in gemischtsprachigen
Ländern lebende deutsche Kind, vom Tage seines Eintritts in die Schule an,
eine Stunde täglich auf das Erlernen der andern Landessprache verwendet, die,
mit alleiniger Ausnahme des Italienischen, für den Deutschen genau so schwierig
ist, wie für den nichtdeutschen die deutsche Sprache, dann überwindet es fast
spielend die ärgsten der später so unendlich mühsam zu bewältigenden sprach-
lichen Schwierigkeiten. Ist auch der junge Deutsche uach Zurücklegung von
acht oder von elf oder zwölf Klassen (je nachdem er seine Studien in der
Volks- oder Bürgerschule, am Gymnasium, an der Realschule oder an einer
Fachschule macht) der andern Landessprache nicht ganz so mächtig, wie der
junge Tscheche, Pole, Italiener u. s. w. der deutschen, so besitzt er sie doch
jedenfalls hinreichend, um ohne besondre Schwierigkeiten mit den anders¬
sprachigen Landesgcnossen in deren Sprache Verkehren zu können, und wenn
er später bleibend' unter ihnen leben muß, kann er sich im Laufe der Zeit das
noch mangelnde leicht aneignen. In gemischtsprachigen Ländern ist für jeden
die Kenntnis der Landessprachen oft geradezu unentbehrlich und, wo dies viel¬
leicht nicht der Fall sein sollte, doch gewiß sehr wünschenswert. Es ist eine
verwünscht harte Arbeit, in spätern Lebensjahren eine fremde Sprache, besonders
eine slawische, erlernen zu müssen. Der des Lateinischen kundige Beamte wird,
wie Professor Zucker ganz richtig bemerkte, in Sttdtirol oder im Küstenlande
binnen zwei bis drei Jahren gewiß ganz bequem Italienisch lernen. Aber
Italienisch und Tschechisch, Polnisch oder Slowenisch sind gruudverschiedne
Dinge, und es ist sehr fraglich, ob jemand, der in zwei bis drei Jahren gut
Italienisch sprechen und schreiben gelernt hat, sich in acht bis zehn Jahren die
gleiche Fertigkeit in irgend einer slawischen Sprache anzueignen imstande ist!

Was die Hochschule betrifft, so ist diese in Österreich bereits zum Teile
nationalisirt. Prag hat neben den beiden deutschen Hochschulen eine tschechische
Universität und ein tschechisches Polytechnikum. In Krakau besteht eine polnische
Universität, in Lemberg desgleichen, daneben ein polnisches Polytechnikum.
Trieft hat eine italienische Haudelshvchschule. Schon seit Jahren petitivnireu


Die deutsche Sprache in (Österreich

er anderseits den nationalen Anforderungen so weit Rechnung, als nicht Lebens¬
interessen dadurch geschädigt werde». Und nun noch einige Bemerkungen zur
Begründung des Gesagten.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die in Österreich ebenso unentbehrliche
wie an Schwierigkeiten aller Art nnr allzu reiche deutsche Sprache uur dann
gründlich erlernt werden kann, wenn die Schule für den nichtdeutschen, soweit
dies überhaupt möglich ist, die Stelle der Familie vertritt. Indem das nicht¬
deutsche Kind während der ersten vier Jahre den Unterricht in seiner Mutter¬
sprache erhält und auch später, bis zum Austritt ans der Schule, sich täglich
eine Stunde damit beschäftigen muß, wird es durch die deutsche Unterrichts¬
sprache der höhern Klassen nicht nur nicht entnationalisirt, sondern es wird
in beiden Sprachen gleich sest, und wenn anderseits das in gemischtsprachigen
Ländern lebende deutsche Kind, vom Tage seines Eintritts in die Schule an,
eine Stunde täglich auf das Erlernen der andern Landessprache verwendet, die,
mit alleiniger Ausnahme des Italienischen, für den Deutschen genau so schwierig
ist, wie für den nichtdeutschen die deutsche Sprache, dann überwindet es fast
spielend die ärgsten der später so unendlich mühsam zu bewältigenden sprach-
lichen Schwierigkeiten. Ist auch der junge Deutsche uach Zurücklegung von
acht oder von elf oder zwölf Klassen (je nachdem er seine Studien in der
Volks- oder Bürgerschule, am Gymnasium, an der Realschule oder an einer
Fachschule macht) der andern Landessprache nicht ganz so mächtig, wie der
junge Tscheche, Pole, Italiener u. s. w. der deutschen, so besitzt er sie doch
jedenfalls hinreichend, um ohne besondre Schwierigkeiten mit den anders¬
sprachigen Landesgcnossen in deren Sprache Verkehren zu können, und wenn
er später bleibend' unter ihnen leben muß, kann er sich im Laufe der Zeit das
noch mangelnde leicht aneignen. In gemischtsprachigen Ländern ist für jeden
die Kenntnis der Landessprachen oft geradezu unentbehrlich und, wo dies viel¬
leicht nicht der Fall sein sollte, doch gewiß sehr wünschenswert. Es ist eine
verwünscht harte Arbeit, in spätern Lebensjahren eine fremde Sprache, besonders
eine slawische, erlernen zu müssen. Der des Lateinischen kundige Beamte wird,
wie Professor Zucker ganz richtig bemerkte, in Sttdtirol oder im Küstenlande
binnen zwei bis drei Jahren gewiß ganz bequem Italienisch lernen. Aber
Italienisch und Tschechisch, Polnisch oder Slowenisch sind gruudverschiedne
Dinge, und es ist sehr fraglich, ob jemand, der in zwei bis drei Jahren gut
Italienisch sprechen und schreiben gelernt hat, sich in acht bis zehn Jahren die
gleiche Fertigkeit in irgend einer slawischen Sprache anzueignen imstande ist!

Was die Hochschule betrifft, so ist diese in Österreich bereits zum Teile
nationalisirt. Prag hat neben den beiden deutschen Hochschulen eine tschechische
Universität und ein tschechisches Polytechnikum. In Krakau besteht eine polnische
Universität, in Lemberg desgleichen, daneben ein polnisches Polytechnikum.
Trieft hat eine italienische Haudelshvchschule. Schon seit Jahren petitivnireu


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[0543] Die deutsche Sprache in (Österreich er anderseits den nationalen Anforderungen so weit Rechnung, als nicht Lebens¬ interessen dadurch geschädigt werde». Und nun noch einige Bemerkungen zur Begründung des Gesagten. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die in Österreich ebenso unentbehrliche wie an Schwierigkeiten aller Art nnr allzu reiche deutsche Sprache uur dann gründlich erlernt werden kann, wenn die Schule für den nichtdeutschen, soweit dies überhaupt möglich ist, die Stelle der Familie vertritt. Indem das nicht¬ deutsche Kind während der ersten vier Jahre den Unterricht in seiner Mutter¬ sprache erhält und auch später, bis zum Austritt ans der Schule, sich täglich eine Stunde damit beschäftigen muß, wird es durch die deutsche Unterrichts¬ sprache der höhern Klassen nicht nur nicht entnationalisirt, sondern es wird in beiden Sprachen gleich sest, und wenn anderseits das in gemischtsprachigen Ländern lebende deutsche Kind, vom Tage seines Eintritts in die Schule an, eine Stunde täglich auf das Erlernen der andern Landessprache verwendet, die, mit alleiniger Ausnahme des Italienischen, für den Deutschen genau so schwierig ist, wie für den nichtdeutschen die deutsche Sprache, dann überwindet es fast spielend die ärgsten der später so unendlich mühsam zu bewältigenden sprach- lichen Schwierigkeiten. Ist auch der junge Deutsche uach Zurücklegung von acht oder von elf oder zwölf Klassen (je nachdem er seine Studien in der Volks- oder Bürgerschule, am Gymnasium, an der Realschule oder an einer Fachschule macht) der andern Landessprache nicht ganz so mächtig, wie der junge Tscheche, Pole, Italiener u. s. w. der deutschen, so besitzt er sie doch jedenfalls hinreichend, um ohne besondre Schwierigkeiten mit den anders¬ sprachigen Landesgcnossen in deren Sprache Verkehren zu können, und wenn er später bleibend' unter ihnen leben muß, kann er sich im Laufe der Zeit das noch mangelnde leicht aneignen. In gemischtsprachigen Ländern ist für jeden die Kenntnis der Landessprachen oft geradezu unentbehrlich und, wo dies viel¬ leicht nicht der Fall sein sollte, doch gewiß sehr wünschenswert. Es ist eine verwünscht harte Arbeit, in spätern Lebensjahren eine fremde Sprache, besonders eine slawische, erlernen zu müssen. Der des Lateinischen kundige Beamte wird, wie Professor Zucker ganz richtig bemerkte, in Sttdtirol oder im Küstenlande binnen zwei bis drei Jahren gewiß ganz bequem Italienisch lernen. Aber Italienisch und Tschechisch, Polnisch oder Slowenisch sind gruudverschiedne Dinge, und es ist sehr fraglich, ob jemand, der in zwei bis drei Jahren gut Italienisch sprechen und schreiben gelernt hat, sich in acht bis zehn Jahren die gleiche Fertigkeit in irgend einer slawischen Sprache anzueignen imstande ist! Was die Hochschule betrifft, so ist diese in Österreich bereits zum Teile nationalisirt. Prag hat neben den beiden deutschen Hochschulen eine tschechische Universität und ein tschechisches Polytechnikum. In Krakau besteht eine polnische Universität, in Lemberg desgleichen, daneben ein polnisches Polytechnikum. Trieft hat eine italienische Haudelshvchschule. Schon seit Jahren petitivnireu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/543>, abgerufen am 01.07.2024.